Prozess um Schülermord:Ein Mord als Liebesbeweis

Drei Jugendliche töteten in Stuttgart einen Abiturienten aus Eifersucht. Jetzt fordert der Staatsanwalt die Höchststrafen.

Bernd Dörries

Es scheint eine andere Welt zu sein. Eine fremde Welt, in der sich die Menschen in einer Art SMS-Sprache unterhalten, in der es offenbar keine Ziele gibt, außer vielleicht den nächsten Joint, einen neuen Klingelton oder ein paar coole Turnschuhe. In der aber Ehre und Freundschaft, oder das, was manche dafür halten, ein hohes Gut sind. Weil sonst nicht viel da ist im Leben.

Prozess um Schülermord; Stuttgart; dpa

Freunde des ermordeten Jugendlichen Yvan S. bei einer Schweigeminute vor dem Landgericht Stuttgart.

(Foto: Foto: dpa)

Einmal fragt der Richter einen Zeugen, wie denn der Hauptangeklagte so sei, als Mensch. "Deniz war aggressiv, was weiß ich, ey, hat geschlagen meine Tür, macht immer schmutzig Wohnung und so", sagt der Zeuge. Und wahrscheinlich war da auch nicht viel mehr. Die Freundin von Deniz, Sessen, sagt, er sei halt immer da gewesen.

Nun sitzen Deniz E., Sessen K. und die Freunde Kajetan M. und Roman K. auf der Anklagebank des Stuttgarter Landgerichts und sind des gemeinschaftlichen Mordes angeklagt. Deniz, zur Tatzeit 18 Jahre alt, ist nicht besonders groß und etwas pummelig. Sein Hauptschulzeugnis hat er sich nicht einmal abgeholt. Bei Mädchen hält sich sein Erfolg in Grenzen.

Anfang des vergangenen Jahres trifft er aber Sessen, eine damals 16-Jährige, deren Eltern vor Jahrzehnten aus Eritrea kamen. Sie hatte schon einige Freunde, es dauerte aber nie sehr lange. Der türkischstämmige Deniz sei ihre große Chance gewesen, sagt der Oberstaatsanwalt Gernot Blessing in seinem Plädoyer am Freitag. Weil seine Eltern Geld hatten, für Geschenke und einen Mercedes CLK, was Sessen wohl gut gefiel. Für Deniz war es die erste große Liebe.

Zerstückelt, einbetoniert und in den Neckar geworfen

Wegen dieser Liebe, oder was immer es sonst war, musste Yvan S. sterben. Am 21. August 2007 rief Sessen ihn an und lockte Yvan in ein Waldstück, dort wartete Deniz und brachte ihn gemeinsam mit einem Freund, dem damals 17-jährigen Russlanddeutschen Roman um. Mit einem Baseballschläger prügelten sie auf ihn ein. Einmal hielt Deniz inne und sagte zu Sessen "Siehst du, wie ich dich liebe." In seiner Welt war der Mord ein Beweis, der einzig mögliche. Roman sagte vor Gericht: "Deniz war mein Freund, ich musste ihm doch helfen."

Die nächsten Tage waren sie damit beschäftigt, die Leiche zu zerstückeln, einzubetonieren und in den Neckar zu werfen. Das alles, sagt der Oberstaatsanwalt Blessing, sei nicht einmal das Furchtbarste gewesen, das Schlimmste sei, dass es für die Tat gar keinen Grund gegeben habe.

Für die drei Haupttäter Deniz, Sessen und Roman fordert er die Höchststrafe nach dem Jugendstrafrecht: zehn Jahre. Der polnischstämmige Kajetan, 23, der dabei geholfen hatte, die Leiche zu zerstückeln, soll für drei Jahre in Haft. Letzterem könne man nicht mehr beweisen; es bleibe ein fader Geschmack, sagt der Staatsanwalt.

Kajetan ist der beste Freund von Deniz. Ihm sagte der Sohn türkisch-kroatischer Eltern einmal, dass er alle Jungen, die vor ihm was mit seiner neuen Freundin Sessen hatten, "verschlagen" wolle, vielleicht sogar töten. Eine Liste soll es gegeben haben mit sieben Namen. Im vergangenen Sommer klingelte Deniz bei zwei Jungen, die mit Sessen geschlafen hatten. Den einen prügelte er, der andere öffnete nicht die Tür.

Ganz oben auf der Liste stand der Name von Yvan. Der 19-Jährige lebte in einer anderen Welt als Deniz und seine Kumpels. Er war groß, sah gut aus, war überall beliebt und machte gerade Abitur, hatte Ziele im Leben. In gewisser Weise war er das Gegenteil von Deniz. Yvan stand an erster Stelle der Liste, weil er es gewesen sein soll, der Sessen gegen ihren Willen entjungferte.

In Wahrheit scheint das Einzige, das Yvan mit Sessen gemeinsam hatte, der Heimatort gewesen zu sein, ein paar Kilometer östlich von Stuttgart, und vielleicht mal ein flüchtiger Kuss auf einem Gartenfest. Aus Sicht des Staatsanwalts habe Sessen den Namen Yvans genannt, weil Deniz Namen hören wollte, irgendwelche, und sie Angst hatte, ihn zu verlieren. Die Eltern kamen vor Jahrzehnten aus Eritrea, haben als Arbeiter geschuftet.

Die ersten beiden Kinder haben es in Deutschland geschafft, waren gut in der Schule, machten eine Ausbildung. Sessen hat die Hauptschule gerade so bestanden und keine Lehrstelle gefunden. Sie habe ihre Chance in Deniz gesehen, so der Staatsanwalt. Deniz ist erst glücklich über die Beziehung, dann eifersüchtig.

Schließlich steht er nachts im Auto vor dem Elternhaus von Yvan und weint, weil er es nicht ertrage, dass ein anderer vor ihm mit Sessen geschlafen habe. Er fasst den Entschluss, Yvan zu töten. Seine Freunde helfen ihm, weil sie Freunde sind.

Alle vier Angeklagten haben im Laufe des Verfahrens Geständnisse abgelegt. Ein Sachverständiger sprach sich für die Einweisung von Deniz E. in die Psychiatrie aus. Er leide an einem "narzisstischen Machtanspruch". Anwalt Maximilian Pauls sagte, sein Mandant sei vermindert schuldfähig gewesen. "Er war gefangen in der Beziehung." Pauls forderte sieben Jahre Jugendstrafe für ihn. Sessen K.s Anwältin sagte, die heute 17-Jährige habe keinen klaren Tötungsvorsatz gehabt und forderte eine mildere Strafe.

Der Anwalt des 18-jährigen Roman K. sieht in der Tat eine Körperverletzung mit Todesfolge und plädierte für eine Strafe von deutlich unter zehn Jahren. Pierre S., der Vater des getöteten Yvan, sagte in seinem Schlusswort, er werde das Urteil, das am kommenden Mittwoch gesprochen wird, akzeptieren. Erleichterung in seinem Schmerz werde ihm das Urteil nicht bringen.

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