Prozess um getöteten 17-Jährigen in Florida:Schüsse an der Tankstelle

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Ist in Jacksonville im US-Bundesstaat Florida des Mordes an einen 17-jährigen schwarzen Jugendlichen angeklagt: Michael Dunn. (Foto: REUTERS)

Acht oder neun Schüsse feuert Michael Dunn in das Innere eines Geländewagens, sie töten einen 17-Jährigen. Das Opfer ist schwarz, der Täter ist weiß. Jetzt muss die Jury im US-Bundesstaat Florida entscheiden, wie weit das Recht auf Notwehr geht.

Von Oliver Klasen

Am 23. November 2012, dem Tag nach Thanksgiving, parkt der 47-jährige Software-Ingenieur Michael Dunn seinen Wagen an einer Tankstelle am Southside Boulevard in Jacksonville, Florida. Dunns Freundin Rhonda Rouer steigt aus dem Wagen, geht in den Liquor Store, der zur Tankstelle gehört, um für den Abend eine Flasche Wein zu kaufen.

Als sie wenige Minuten später zum Auto zurückkehrt, hat ihr Freund einen Menschen erschossen. Der 17-jährige Jordan Davis liegt, getroffen von zwei Kugeln, auf dem Rücksitz eines Jeeps, der neben Dunns Wagen geparkt ist. Die anderen drei Insassen sind unverletzt, Davis allerdings wird kurze Zeit später von Ärzten für tot erklärt.

Was genau ist in der kurzen Zeit passiert, in der Dunns Freundin in dem Laden war? Hat Dunn aus Notwehr gehandelt, wie er selbst sagt, oder ist er ein Mörder? Das muss jetzt das Gericht in Jacksonville klären. Am Montag wurden die Geschworenen ausgewählt. Beobachter rechnen damit, dass noch in dieser Woche der Prozess beginnt, möglicherweise schon an diesem Donnerstag. Sollte Dunn des Mordes für schuldig befunden werden, dann droht ihm eine lebenslange Haftstrafe.

Acht oder neun Schüsse ins Wageninnere

In den Gerichtsakten werden die Ereignisse an jenem 23. November wie folgt rekonstruiert: Aus dem Auto, in dem das Opfer saß, habe laute Musik getönt. Dunn soll die vier Teenager aufgefordert haben, die Musik leiser zu stellen. Erst sind sie dem offenbar nachgekommen, doch dann hätten sie die Anlage wieder aufgedreht. Es soll dann zum Streit gekommen sein zwischen Dunn und Davis, der auf der Rückbank saß. Plötzlich habe Dunn ins Handschuhfach gegriffen, eine Pistole herausgezogen und acht oder neun Schüsse - so genau ließ sich das offenbar nicht feststellen - auf das Auto abgefeuert.

Dunn sieht sich nicht als Täter, sondern als Opfer. "In diesem Fall geht es nicht einfach um laute Musik. Es geht um einen Gangster, der drohte, mich zu töten, weil ich es wagte, ihn zu bitten, die Musik leiser zu drehen", schreibt der 47-Jährige in einem Brief an einen TV-Reporter.

Er will durch die Scheiben des Geländewagens eine Pistole erkannt haben, die auf ihn gerichtet gewesen sei. "Ich war sicher, dass mein Leben in Gefahr ist", heißt es in dem Brief. "Ich hatte keine Wahl, als mich zu verteidigen. Ich bin kein Mörder. Ich bin ein Überlebender".

Bei einer anschließenden Durchsuchung des Autos konnte die Polizei allerdings keine Waffe finden. Ob die Ermittler gründlich genug suchten, wird eine der Fragen sein, mit denen sich die Geschworenen beschäftigen werden.

Es ist ein Prozess, der im ganzen Land für Aufregung sorgt. Dunn ist weiß, Davis war schwarz. Das große Rassismus-Thema spielt also eine Rolle in diesem Fall. Ähnlich wie damals bei Trayvon Martin, einem schwarzen Jugendlichen, der von einem weißen Mitglied einer Bürgerwehr erschossen wurde. Auch diese Tat ereignete sich in Florida, in der Stadt Sanford, im Februar 2012, nur wenige Monate, bevor die Schüsse auf Davis fielen.

Der Schütze, der damals 28-jährige George Zimmerman, wurde im Juli vergangenen Jahres freigesprochen, was eine hitzig geführte Debatte auslöste, über Geschworene mit Vorurteilen, über die Waffengesetzte, die gerade in Florida besonders lax sind, und über den Stellenwert der Notwehr, auf die sich Zimmerman erfolgreich berufen konnte.

Es geht um das höchst umstrittene Stand Your Ground-Gesetz, jenen Grundsatz, der in Florida 2005 eingeführt wurde und der inzwischen in mehr als 30 US-Bundesstaaten gilt. Er besagt, dass niemand zurückweichen muss, wenn er sich bedroht fühlt. Im Zweifel ist demnach auch die Anwendung tödlicher Gewalt gegen einen Angreifer legitimiert. Vor allem weil die Regelung von Juristen in Florida besonders weit ausgelegt wird, konnte George Zimmmerman straffrei bleiben.

Zwischen den Fällen von Dunn und Zimmerman gibt es offensichtlich viele Parallelen. Sogar die Staatsanwältin ist die gleiche: Angela Corey versuchte damals, Zimmerman hinter Gitter zu bringen. Kritiker hatten ihr vorgeworfen, ihre Anklage sei zu offensiv gewesen. Statt auf Mord hätte sie lieber auf Totschlag plädieren sollen. Doch auch im aktuellen Fall entschied sie sich für eine Mordanklage.

Angeblich rassistische Äußerungen im Gefängnis

Trotz aller Gemeinsamkeiten glauben einige Juristen nicht, dass der Fall Dunn mit einem Freispruch ausgehen wird. "Sie werden ihn verurteilen", sagt der Jura-Professor der renommierten Harvard-Universität, Alan Dershowitz, im CNN-Interview. Anders als bei Zimmerman, der erst mit seinem Opfer rangelte und angab, geschlagen worden zu sein, habe Dunn keinerlei Verletzungen aufgewiesen. Da dürfte es schwierig nachzuweisen sein, dass er sich in einer akuten Notlage befand, die ihm keine andere Wahl ließ, als von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.

Hinzu kommt, dass er sich Berichten zufolge im Gefängnis und in mehreren Telefongesprächen angeblich rassistisch geäußert haben soll. Dunns Anwältin hat vor Gericht bereits einen Antrag gestellt und fordert, dass solcherlei Aussagen ihres Mandanten im Prozess nicht verwertet werden dürfen. Außerdem dürfte Davis nicht von vornherein als "Opfer" bezeichnet werden.

Die Eltern des getöteten 17-Jährigen, die sich seit der Tat für schärfere Waffengesetze einsetzen und beide an dem Prozess teilnehmen wollen, sind indes fest überzeugt, dass Ressentiments gegenüber Schwarzen beim Tod ihres Sohns eine Rolle spielten. "Es war ein ganz bestimmter Hass, den dieser Mensch auf meinen Sohn als schwarzes Kind hatte", sagte Ron Davis, der Vater.

Der Prozess in Jacksonville ist einem Gerichtssprecher zufolge zunächst auf zwei Wochen angesetzt. Während dieser Zeit werden die Jurymitglieder von der Öffentlichkeit isoliert.

(Mit Material der dpa)

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