Prozess um Boston-Attentat:"Er hatte Mord in seinem Herzen"

Lesezeit: 2 min

  • Vor dem Bundesgericht in Boston hat der Prozess gegen Dschochar Zarnajew begonnen, der mit seinem Bruder Tamerlan den Anschlag auf den Boston-Marathon verübt haben soll.
  • Der 21-Jährige ist in 30 Punkten angeklagt - 17 davon wiegen so schwer, dass ihm die Todesstrafe droht.
  • In ihren Eröffnungsplädoyers schildern Anklage und Verteidigung unterschiedliche Motive, die Zarnajew zu seiner Tat verleitet haben sollen.

Zarnajew folgt Plädoyers nahezu regungslos

Fast zwei Jahre hat es gedauert - jetzt hat in Boston der Prozess gegen Dschochar Zarnajew begonnen, der gemeinsam mit seinem Bruder den Anschlag auf den Marathon verübt haben soll. Drei Menschen kamen damals ums Leben, mehr als 260 wurden verletzt, bei der anschließenden Verfolgungsjagd mit der Polizei wurde ein Sicherheitsmann getötet. Es war der schwerwiegendste Anschlag in den USA nach dem Terrorakt vom 11. September 2001. Der Angeklagte erscheint in Jackett und offenem Hemd zum ersten Verhandlungstag, den Ausführungen von Anklage und Verteidigung folgt er weitgehend regungslos. Auch zahlreiche Opfer und Angehörige sitzen in dem brechend vollen Gerichtssaal.

Die Staatsanwaltschaft: Töten aus Mordlust

Für die Anklage ist Dschochar Zarnajew ein radikaler junger Mann mit extremistischen muslimischen Idealen. Der damals 19-Jährige habe gedacht, mit dem Anschlag "seinen Platz im Paradies zu verdienen", indem er Amerikaner töte und die US-Regierung davon abhalte, Terroristen im Ausland ins Visier zu nehmen.

"Er hatte Mord in seinem Herzen", sagt Staatsanwalt William Weinreb in seinem Eröffnungsplädoyer über den Angeklagten, Zarnajew habe so viele Menschen töten wollen wie möglich. "Er legte eine Bombe direkt neben eine Reihe von Kindern." Einige seien auf dem Bürgersteig verblutet, während der Angeklagte davonlief. Während Opfer des Attentats im Krankenhaus darauf gewartet hätten, zu erfahren, ob ihre Gliedmaßen amputiert werden müssten, habe sich Zarnajew benommen, "als habe er nicht eine Sorge auf der Welt", sagt Weinreb.

Tatsächlich war Zarnajew nach dem Anschlag auf den Campus seiner Universität zurückgekehrt, hatte Sport gemacht, sich ausgeruht - und mehr oder weniger tiefgründige Twitternachrichten abgesetzt.

Die Verteidigung: "Es war Dschochar, der folgte"

Chronologie zu Anschlag von Boston
:Vier Tage, sechs Stunden, acht Minuten

Um 14.50 Uhr am Montag, 15. März 2013, explodiert die erste Bombe, um 20.58 Uhr am darauffolgenden Freitag der erlösende Tweet: "Captured" - der Verdächtige ist gefasst. Was in den vier Tagen des Bostoner Albtraums geschah: Versuch einer Rekonstruktion per Storify - mit Tweets, Bildern und Videos.

Von Lena Jakat

Dschochar Zarnajews Verteidiger stellen gleich zu Beginn fest, dass ihren Mandant die Taten, die ihm zur Last gelegt werden, begangen hat. Es gehe bei dem Prozess aber nicht um das "ob" - sondern um das "warum". Wie angekündigt zeichnet Verteidigerin Judy Clarke daraufhin das Bild eines naiven Jungen, der seinem dominanten großen Bruder folgte. "Tamerlan wurde besessen vom gewalttätigen radikalen Islam", sagt Clarke über den älteren Zarnajew-Bruder, der nach dem Anschlag auf der Flucht vor der Polizei getötet wurde. "Es war Tamerlan Zarnajew, der sich selbst radikalisierte, es war Dschochar, der ihm folgte."

Clarke bezeichnet das Attentat als "sinnlose, schreckliche, fehlgeleitete Tat zweier Brüder", das "drei Menschenleben ausgelöscht" und das Leben anderer für immer verändert habe. Der Angeklagte sei aber "auf einem sehr anderen Weg" zu seiner Rolle gekommen, als von der Staatsanwaltschaft angedeutet. Diesen Weg habe sein älterer Bruder geebnet.

Die Jury: Älter und weißer als der Durchschnitt

Terror in den USA
:Boston macht Zarnajew den Prozess

Es ist einer der größten Terrorismus-Prozesse in den USA: Zwei Jahre nach dem Anschlag auf den Marathonlauf in Boston muss sich der mutmaßliche Attentäter Dschochar Zarnajew vor Gericht verantworten. Ihm droht die Todesstrafe.

Von Oliver Klasen und Manuel Stark

Der Beginn des Prozesses hatte sich wegen mehrerer Schneestürme hingezogen, vor allem aber wegen der Schwierigkeit, geeignete Geschworene zu finden. 12 Laien entscheiden über Zarnajews Verurteilung. Was am Ende dabei herausgekommen ist, entspricht exakt dem, was sich die Anklage vorgestellt hat, sagt CNN-Jurist Mark Geragos. Die Jury spiegle nicht den Durchschnitt der Einwohner Bostons wieder, sondern sei ein Stück älter und weißer - und damit eher bereit, ein Todesurteil zu fällen.

Hintergrund: Warum die Todesstrafe droht

Zarnajew ist in 30 Punkten angeklagt, 17 davon wiegen so schwer, das sie ihm die Todesstrafe einbringen könnten. Der Bundesstaat Massachusetts, dessen Hauptstadt Boston ist, hat die Todesstrafe in den frühen 1980er Jahren abgeschafft; die letzte Hinrichtung fand 1947 statt. Zarnajew muss sich allerdings in einem Bundesverfahren verantworten, und das Bundesrecht erlaubt in den USA generell die Todesstrafe. Der Angeklagte plädiert auf nicht schuldig.

Linktipps:

Eine Übersicht aller Prozessbeteiligten gibt es auf der Internetseite der Bostoner Radiostation Wbur.

Ein umfassendes Porträt der Zarnajew-Familie hat der Boston Globe recherchiert.

Die Schicksale einiger Opfer des Anschlags hat die Washington Post aufgeschrieben.

© Süddeutsche.de/AFP/dpa/feko - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: