Prozess:Schuld und Sühne

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Ein Stromgenerator des Typs, wie ihn P. in der Hütte einbaute. Er darf nur im Freien verwendet werden. (Foto: OH)

Ein Vater kauft für die Party seiner Kinder einen Stromgenerator, bastelt eine Abgasleitung - bald darauf sind sechs Jugendliche tot. Auftakt eines emotionalen Prozesses.

Von Claudia Henzler, Würzburg

"Was im Januar passiert ist, ist die schlimmste Katastrophe meines Lebens." Das sagt Andreas P., der für den Tod von sechs Jugendlichen verantwortlich sein soll, zwei davon waren seine eigenen Kinder. Diese Katastrophe, "sie verfolgt mich ständig. Am Tag, besonders aber in der Nacht". Er sagt das nicht selbst, er lässt seinen Anwalt Hubertus Krause sprechen. Der verliest am Mittwoch vor dem Landgericht Würzburg eine lange Erklärung, in der P. schildert, wie es im Januar aus seiner Sicht zu jener Katastrophe im unterfränkischen Arnstein kommen konnte.

Der Vater gab sich Mühe, "es sollte ein schöner Geburtstag werden", sagt er

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 52-Jährigen vor, einen benzinbetriebenen Stromgenerator "derart unfachmännisch" in der Hütte seines Freizeitgrundstücks aufgestellt zu haben, dass sich dort das giftige Abgas Kohlenmonoxid ausbreiten konnte und deshalb seine beiden Kinder Rebecca und Florian und vier ihrer Freunde starben, als sie in der Hütte den 18. Geburtstag Rebeccas feierten. Die Freunde waren Michael R., Felix K., Kevin D. und Rene S., sie waren 18 und 19 Jahre alt und am Anfang ihres Berufslebens.

Laut Staatsanwaltschaft und den ausgewerteten Handydaten der Jugendlichen - sie hatten in einer Chatgruppe noch Nachrichten und Fotos verschickt - kam der Tod vermutlich zwischen 23 Uhr und 24 Uhr, die Feiernden hätten das Gas im Laufe des Abends unbemerkt aufgenommen, es habe sich im Blut angereichert, bis die sechs ohnmächtig wurden. Sie starben im Wohnzimmer und in der Küche. Die Teller mit Resten der Pizzabrötchen standen noch auf dem Tisch. Es waren wohl auch Drogen im Spiel, Marihuana und ein weißes Pulver, doch die sollen keine verstärkende Wirkung gehabt haben.

Der Angeklagte, lange Haare, angegrauter Bart, ist im grobkarierten Hemd und Jeans vor dem Landgericht Würzburg erschienen, flankiert von seinen beiden Rechtsanwälten, das Gesicht vor den Kameras mit einer Aktenhülle verborgen. Ihm wird fahrlässige Tötung in sechs Fällen vorgeworfen. Auch er selbst hält sich für den Tod der Jugendlichen für verantwortlich, das macht er in einer ausführlichen schriftlichen Erklärung deutlich. "Ich will keine Schuld von mir weisen", heißt es dort. Und es sei ihm wichtig, dass die Eltern uneingeschränkt Antworten erhalten. Zwei von ihnen treten im Prozess als Nebenkläger auf. Die Anklage wirft dem Mann eine "nicht nachvollziehbare Nachlässigkeit" vor, als er den Generator in einem Nebenraum der Hütte aufstellte, dem sogenannten Technikraum des fast 50 Quadratmeter großen Häuschens.

Dort hatte P. ein Loch in die Wand gebohrt und den Auspuff des Generators so verlängert, dass die Abgase nach draußen geführt werden sollten. Er verwendete dazu Stücke aus Metallrohren, wie man sie für Wasserleitungen nutzt. Offenbar waren die Rohrteile und der Auspuff nur zusammengesteckt, ohne Abdichtung. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft unverantwortlich: "Diese Konstruktion war derart unfachmännisch", dass sie "für den Angeklagten erkennbar und vermeidbar nicht dazu geeignet war", Abgase vollständig abzuleiten. Außerdem habe der Angeklagte gut sichtbare Warnhinweise, dass das Gerät nicht in Innenräumen betrieben werden darf, ignoriert. Nach den Erkenntnissen der Ermittler fiel ein Teil der Leitung im Laufe der Feier zu Boden, sodass sich die Abgase irgendwann völlig ungehindert ausbreiten konnten.

P. hat eine abgeschlossene Ausbildung als Maurer. Er arbeitet als Fahrer im eigenen Fuhrbetrieb, seine Frau kümmert sich dort um die kaufmännischen Angelegenheiten. Zusammen haben die beiden drei weitere Kinder, die jünger sind als Rebecca und Florian. Außerdem gibt es zwei Stiefkinder.

In seiner schriftlichen Erklärung schildert P. ausführlich, dass die Konstruktion mit dem verlängerten Abgasrohr aus seiner Sicht nicht nur durchdacht, sondern auch getestet war. Er habe sich eine ähnliche Konstruktion von einem Rentner mit technischem Hintergrund zeigen lassen, den er beim Baumarkt getroffen hatte und der einen Generator im Keller aufgestellt hatte. Die Familie hatte bis 2013 eine andere Gartenhütte, dort habe er selbst einen Stromgenerator benutzt, mit genau dieser Abgasrohrkonstruktion. Beides habe er dann 2013 in die neu erworbene Hütte auf dem Sommerberg oberhalb von Arnstein umgezogen. Vor der Silvesternacht 2016 habe er im Baumarkt den neuen, größeren Generator gekauft, der vier Wochen später den Tod brachte. Beim alten Aggregat habe es Probleme mit dem Backofen gegeben.

"Selbstverständlich habe ich das Ganze getestet, bevor ich es das erste Mal in Betrieb nahm", lässt P. aussagen. Das Vorgängermodell sei häufig in Betrieb gewesen, und auch der Nachfolger, ein Gerät mit 25-Liter-Tank, 85 Kilogramm schwer, sei schon vor der Party angeschaltet worden. Er habe es am 31. Dezember zusammen mit seinem Sohn Florian und dessen Freund Felix montiert. Beide hätten ihm am nächsten Tag berichtet, dass der neue Generator "einwandfrei" gelaufen sei.

P. schildert auch, wie viel Mühe er sich für die Feier gegeben habe. "Es sollte ein schöner Geburtstag werden." Wie er morgens um 10 Uhr das erste Mal auf den Sonnenberg hinauffuhr, den Holzofen anheizte und den Generator anschmiss, weil die Wasserleitungen gefroren waren. Wie er noch zwei Mal kam, Getränke brachte, und der Generator die ganze Zeit lief. Wie er Benzin nachfüllte. Seine Kinder und ihre Freunde waren da noch beim Minigolf. Gegen 22 Uhr habe er sich verabschiedet. "Ich habe ihnen eine schöne Feier gewünscht und gesagt, sie sollen es nicht übertreiben." Zwei Stunden später waren sie tot.

Als er sie am Morgen gefunden habe, sei er davon ausgegangen, dass sie noch schliefen. "Mein erster Gedanke war, dass sie zu viel getrunken hatten, ich nahm auch Geruch von Erbrochenem wahr." Als er seine Tochter wecken wollte, fühlte sie sich kalt an, obwohl es warm war in der Hütte.

Für den Prozess sind zwei weitere Tage angesetzt, das Urteil soll am 26. Oktober fallen. Staatsanwaltschaft und Gericht haben davon abgesehen, das Verfahren wegen des eigenen Verlustes einzustellen, wohl wegen der vier weiteren Toten. Sollten die Richter P.s Schuld feststellen, können sie eine Geldstrafe oder eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren verhängen.

© SZ vom 19.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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