Prozess:Jenseits der Vorstellung

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Er schweigt noch immer: Silvio S., der zwei Jungen getötet haben soll. (Foto: Bernd Settnik/dpa)

"Man dachte, Kinder liegen ihm": Im Prozess gegen Silvio S. beschreiben mehrere Zeugen das Leben des mutmaßlichen Mörders zweier kleiner Jungen.

Von Verena Mayer, Potsdam

Der Richter wendet sich an den Angeklagten. "Ich bitte Sie eindringlich, sich zu äußern", sagt er. Es ist der dritte Tag im Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder Silvio S., und noch immer ist nicht klar, warum 2015 zwei kleine Jungen sterben mussten, erst Elias, sechs, und dann Mohamed, vier Jahre alt. Die Eltern von Elias wissen bis heute nicht einmal, wie ihr Sohn zu Tode gekommen ist, nachdem er vom Spielplatz direkt vor dem Wohnhaus verschwunden war. Silvio S. hat das Kind offenbar in einer Kiste in seinen Kleingarten gebracht und im Teich verscharrt, wo es Monatelang lag.

Silvio S. sagt nichts. Auch am Dienstag sitzt er wieder im hellen Kapuzenpulli da und guckt zu seinem Verteidiger, als könne der ihm die Antwort einflüstern.

Vor dem Potsdamer Landgericht wird dafür deutlich, wer Silvio S. ist. Zeugen beschreiben ihn als verschlossenen Einzelgänger, der keine Ausbildung hatte und mal diesen, mal jenen Job machte. Zuletzt fuhr er nachts für eine Sicherheitsfirma in Brandenburg Streife. "Von den Dokumenten her war er in Ordnung", sagt sein früherer Chef. Wenn Silvio S. nicht unterwegs war, saß er zu Hause auf seinem Zimmer, mit Anfang 30 wohnte er noch bei seinen Eltern. Silvio S. hatte keine Freundin, auf Dorffesten oder Familienfeiern war er selten. Hin und wieder traf er sich mit einem Kumpel in einer Werkstatt und schraubte an Autos herum.

"Wie waren Mutter und Vater mit ihm?", fragt der Richter einen Mann, der mit der Schwester von Silvio S. verheiratet war. "Liebe hat man nicht gespürt", sagt der Zeuge. Der Vater sei ein "Haustyrann" gewesen, der die Mutter anbrüllte und Silvio S. getriezt habe. Wegen seines Lebenswandels, seines Äußeren, weil er sein Zimmer nicht in Ordnung hielt, weil er keine Frau fand. "Die Mutter hatte Angst, Silvio hatte Angst, alle haben vor ihm gekuscht", sagt der Zeuge. S. schloss sich in seinem Zimmer ein oder rannte vom Hof. Manchmal ging er zu einer Bekannten seiner Eltern und heulte sich bis spät nachts aus. Zur Mutter hatte er ein gutes Verhältnis, sie war es auch, die Ende Oktober die Polizei holte, nachdem sie Silvio S. auf Fahndungsbildern vom Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) erkannt hatte, wo S. den Flüchtlingsjungen Mohamed weggelockt hatte. In einem Brief gestand Silvio S. der Mutter später "meine Taten".

Stets suchte S. die Nähe zu Kindern. Zu den Töchtern seiner Schwester oder den Kindern von Freunden, mit denen der sonst so verschlossene S. plötzlich "fließend redete", wie eine junge Frau erzählt, die mit S. über Jahre gut befreundet war. Einmal sah sie ihn, wie er auf einer Hollywoodschaukel saß und mit einem achtjährigen Mädchen Händchen hielt. Ob ihr das nicht seltsam vorgekommen sei, will der Staatsanwalt wissen. Die Frau schüttelt den Kopf. "Das war alles außerhalb meiner Vorstellungskraft", sagt sie.

Auch sonst hat auf dem Dorf keiner nachgefragt, wenn der Außenseiter Silvio S. wieder stundenlang mit Kindern spielte. Auf Ebay suchte Silvio S. nach Kinderkleidung, immer wieder kam er mit Geschenken an. "Man dachte, Kinder liegen ihm", sagt ein Zeuge. Der Prozess wird kommende Woche fortgesetzt.

© SZ vom 22.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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