Prozess in Oslo:Breivik schildert Planung seiner Anschläge

Der norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik erläutert vor Gericht viele mögliche Anschlagsszenarien. Dass er schließlich Utøya als Ziel wählte, lag seiner Aussage zufolge an seinem mangelnden Erfolg als Bombenbauer. Nach den Ausführungen zu seinen Plänen für Utøya wird die weitere Vernehmung zum Massaker auf der Insel vertagt.

Die Kapitel seines Lebens, zu denen der norwegische Attentäter Anders Behring Breivik vor dem Gericht in Oslo befragt wird, werden zunehmend konkret. Schritt für Schritt nähert sich das Verfahren so den Attentaten des 22. Juli 2011. An diesem Donnerstag, dem vierten von sechs Tagen, die im Prozess der Aussage des Angeklagten eingeräumt werden, geht es um die Vorbereitung der Terroranschläge.

Public prosecutors Holden and Engh attend a news conference after the third day of the terrorism and murder trial of Norwegian mass killer Breivik in Oslo

Die Staatsanwälte Svein Holden (links) und Inga Bejer Engh: Am vierten Prozesstag soll es um die Planung der Anschläge vom 22. Juli 2011 gehen.

(Foto: REUTERS)

Nachdem TV-Kameras vom Auftakt des Verfahrens am Montag Live-Bilder aus dem Gerichtssaal gesendet hatten, wurden diese vom zweiten Prozesstag an verbannt. Wie und wie viel aus dem Gericht berichtet werden sollte, ist Gegenstand hitziger Debatten, auch unter den Journalisten vor Ort.

Woher hatte der Attentäter die Schusswaffen, mit denen er auf Utøya 69 Menschen tötete? Woher das Material für die 950 Kilogramm schwere Bombe, die er zuvor im Osloer Regierungsviertel gezündet hatte? Auf diese Fragen will die Staatsanwaltschaft um die Ankläger Inga Bejer Engh und Svein Holden Antworten finden. Als Breivik den Saal betritt, sind einige der Plätze in den Reihen der Angehörigen leer. Und noch etwas ist anders an diesem Morgen: Der Angeklagte verzichtet zum ersten Mal auf die provokante Geste der geballten Faust.

Computerspiele als "Geschenk" und Training

Als Breivik von Staatsanwalt Holden vernommen wird, berichtet er davon, wie er sich vom Sommer 2006 an ein Jahr lang fast ausschließlich dem Online-Computerspiel World of Warcraft gewidmet habe, Tag um Tag, bis zu 16 Stunden. Diese Auszeit sei eine Art Geschenk an sich selbst gewesen, sagt der Angeklagte, für den "Märtyrertod", den er zu diesem Zeitpunkt bereits fest plante. Zudem sei es ein willkommener Vorwand gewesen, sich sozial zurückzuziehen, in Vorbereitung auf den geplanten Anschlag. Verwandte und Bekannte hätten entsetzt auf das exzessive Zocken reagiert. Ein anderes Computerspiel, den Ego-Shooter Call of Duty: Modern Warfare, nutzte Breivik nach eigenen Angaben zur Vorbereitung seiner Taten.

"Sie lächeln."

Von der Ungeduld, die sich Breivik am dritten Prozesstag anmerken ließ, ist nichts mehr zu spüren, als der Angeklagte schildert, wie er in einen Osloer Pistolenklub eintrat, um sich auf legalem Weg Waffen zu besorgen. Er lächelt, als er die Vorzüge des holographischen Zielsystems beschreibt, das er kaufte. "Sie lächeln", konstatiert Staatsanwalt Svein Holden. "Ja, weil ich sehe, worauf Sie hinauswollen", antwortet Breivik. Wie seiner Meinung nach die Hinterbliebenen auf diese Schilderungen reagieren, will Holden wissen. "Völlig normal, mit Abscheu und Horror", antwortet Breivik.

Nach einigem Zögern gibt der Angeklagte zu, seinen Waffen nach "großartiger europäischer Tradition" Namen gegeben zu haben. Sie entstammen allesamt der nordischen Mythologie: Mjölnir, Thors Hammer, Gungnir, Odins Speer. Den Fiat, in dem er den Sprengsatz im Osloer Regierungsviertel platzierte, nannte Breivik Sleipnir, in der nordischen Mythologie der Name von Odins achtbeinigem Pferd.

Erkundungsgänge eines Terroristen

Die Attentate, wie sie Breivik am 22. Juli 2011 verübte, waren nur ein Szenario unter vielen, die er in Erwägung zog. Im Verhör berichtet er von drei Bomben, die zu bauen er plante, von Journalisten, Hausbesetzern und Politikern, die er als Ziele in Erwägung zog, von Erkundungsgängen im Regierungsviertel, auf denen er nach Schwachstellen der Gebäude Ausschau hielt. Er habe den "Effekt des World Trade Centers" rekreieren wollen, zitiert der norwegische Journalist Trygve Sorvaag den Angeklagten.

Ein Szenario, so schildert es Breivik, habe vorgesehen, dass er, verkleidet als Postzusteller, eine Bombe im Fahrstuhl der Aftenposten-Redaktion zünde. In anderen sind der öffentlich-rechtliche Rundfunk oder ein Journalismuskongress Anschlagssziele. Helen Pidd, Korrespondentin des britischen Guardian, twittert: "Die norwegischen Journalisten im Gerichtssaal sehen bemerkenswert entspannt aus. Ich weiß nicht, ob ich so ruhig bleiben würde, spräche Breivik darüber, es auf die BBC abgesehen zu haben, oder auf den Guardian."

Doch diese Pläne scheiterten an Breivik selbst: Er habe erhebliche Probleme beim Bau der Bomben gehabt, sagt er aus. Als die Sommerferien immer näher rückten und die Zeit drängte, rückte das Zeltlager auf Utøya in seinen Fokus. Nach der Mittagspause wird Breivik zu seinen Attentatsplänen für die Insel im Tyrifjorden-See befragt. Ohne jedwede sichtbare emotionale Regung schildert er diese in allen grausamen Details. Einige Menschen im Saal 250 beginnen zu weinen.

Vernehmung zu Utøya vertagt

Nach Breiviks Schilderungen seiner eigentlichen Pläne für Utøya, die vorsahen, alle Menschen auf der Insel zu töten, wird die weitere Vernehmung zum Tattag auf den fünften Prozesstag verschoben.

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Dritter Prozesstag: Kreuzverhör zeigt Wirkung

Der Frage, wie aus dem Angeklagten jener rechtsextremistische Massenmörder werden konnte, der das schlimmste Verbrechen in Norwegens jüngerer Geschichte verübte, war der dritte Prozesstag gewidmet. Es ging um das angebliche Netzwerk der "Knights Templar", um Breiviks Kontakte zu Gesinnungsgenossen und um eine Reise nach Liberia. Das Kreuzverhör der Anklage zeigte erstmals Wirkung, Breivik reagierte nervös und gereizt auf Fragen. Indirekt forderte er die Todesstrafe für sich: "In einem Fall wie diesem kann es nur zwei Entscheidungen geben: Freispruch oder Todesstrafe." 21 Jahre Haft - das ist in Norwegen die Höchststrafe, falls er als zurechnungsfähig beurteilt wird - seien ein "lächerliches Urteil".

Zweiter Prozesstag: Breivik verliest Manuskript

Am Dienstag hatte Breivik Gelegenheit erhalten, sich zu seiner Ideologie einzulassen. 13 Seiten lang war sein Manuskript, seine Redezeit auf 30 Minuten beschränkt. Eine halbe Stunde, in der der Attentäter die "Meinungstyrannei" der Medien und ihre "multikulturalistische Ideologie" beklagt, Verbrecher wie die Mitglieder des NSU als Vorbilder und "Ritter der nationalistischen Revolution" preist. Die Richterin Wenche Elizabeth Arntzen muss ihn ermahnen, seine Rhetorik zu zügeln.

Prozessauftakt: Videos und Tonbänder dokumentieren den Terror

Knapp neun Monate nach dem 22. Juli sind die Attentate Breiviks wieder präsent: In Oslo begann an diesem Montag der Prozess gegen den 33-Jährigen. Er bekannte sich der Tötung von 77 Menschen schuldig, beharrte aber darauf, in Nothilfe für das norwegische Volk gehandelt zu haben. Zu Beginn der Verhandlung wurden Videoaufnahmen und Mitschnitte der Notrufe von Utøya im Gerichtssaal abgespielt. Für einige Hinterbliebene im Saal zu viel: Sie mussten den Verhandlungsraum zwischenzeitlich verlassen.

Deutsche Breivik-Sympathisantin ausgewiesen

Unterdessen wurde norwegischen Medienberichten zufolge eine deutsche Sympathisantin Breiviks des Landes verwiesen. Die Frau habe zu Prozessbeginn versucht, in das Gerichtsgebäude zu gelangen, berichtete die Zeitung VG. Die Polizei bestätigte dem Blatt, dass die Frau in Abschiebehaft genommen wurde. "Sie wollte rein, um Breivik zu sehen. Sie behauptete, sie sei seine Geliebte", sagte ein Sprecher der Osloer Polizei dem Fernsehsender TV2. Überprüfungen hätten ergeben, dass die Frau in Deutschland mehrmals wegen Störung der öffentlichen Ordnung verurteilt worden sei, hieß es. Laut VG soll sie einen Tag vor dem Prozess aus Stuttgart angereist sein.

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