Prozess in Lüneburg:Kindesentführung im Namen Gottes

"Ich stehe zu dem, was ich getan habe": Axel H. muss sich in Lüneburg vor Gericht verantworten, weil er seine Kinder in den Sudan verschleppte, um sie dort christlich zu erziehen. Reue zeigt der Fundamentalist zum Verfahrensauftakt jedoch nicht - stattdessen verunglimpft er seine Ex-Frau als Ehebrecherin, die für ihre Taten in die Hölle kommen werde.

Annette Ramelsberger, Lüneburg

Katja H. muss das mit der Nächstenliebe ziemlich ernst nehmen. Sie schreit nicht, hier vor Gericht. Sie klagt nicht einmal. Sie berichtet nur, wie alles kam. Wie sie ihre Kinder nicht mehr in den evangelischen Kindergarten schicken sollte, später auch nicht mehr in den Fußballverein. Wie ihr Mann ihr verbot, dass sie sonntagmittags kocht. Das sei gegen die Vorschriften der Bibel. Dass ihre Haare und die der zwei Töchter nicht kurz sein durften. Dass er nicht mehr Auto fahren werde - und sie auch nicht. Und deshalb kam auch kein Job für ihren Mann in Frage, obwohl er Krankenpfleger gelernt hatte. Und irgendwann sagte er ihr, dass er Missionar werden wolle. Aber seine Frau wollte die Ehe nicht aufgeben, nicht mit vier Kindern.

Prozess gegen Vater wegen Kindesentführung, Landgericht Lüneburg

Axel H. muss sich vor Gericht verantworten, weil er seine Kinder entführte, um sie christlich zu erziehen.

(Foto: dpa)

Katja H., 31, gelernte Altenpflegerin, ist eine Frau, die tief im Christentum verwurzelt ist. Und vermutlich hat sie deshalb alles ziemlich lange ausgehalten. Dann, sehr spät, im Frühjahr 2009, trennte sie sich von Axel H. Sie bekam das Sorgerecht für Jonas, 9, Benjamin, 7, Miriam, 5, und Lisa, 4.

136 Tage qualvolle Ungewissheit

Und dann entführte ihr Mann die Kinder. 136 Tage lang, ohne Lebenszeichen. 136 Tage, in denen der Vater mit den Kindern durch Ägypten und den Sudan reiste. 136 Tage, in denen die Mutter zuhause verging vor Angst.

An diesem Dienstag steht der Mann, der die Bibel so sehr liebt, vor Gericht. Angeklagt der Kindesentziehung und des Einbruchsdiebstahls - denn ein paar Tage vor der Entführung seiner vier Kinder ist Axel H., 38, mit einem Nachschlüssel in das Haus seiner Familie eingedrungen, die schon zwei Jahre getrennt von ihm lebte. Er hat unbemerkt die Pässe und die Sparbücher der Kinder mitgenommen und dann am nächsten Besuchstag so getan, als wolle er eine Fahrradtour mit den Kindern machen. Er fuhr mit ihnen sofort zum Flughafen Hannover, bestieg ein Flugzeug nach Hurghada am Roten Meer.

Erst am 7. September entdeckten ihn Fahnder in einem Internet-Café in Kairo. Die Kinder verschwanden am Ostermontag, dem 25. April 2011. Später wird die Mutter sagen: "Der Ostermontag war der schrecklichste Tag in meinem Leben." Als sie nun vor Gericht davon erzählen soll, kommen ihr schon nach ein paar Sätzen die Tränen.

136 Tage lang lebte Katja H. in einem leeren Haus, dessen Stille sie nicht aushielt. "Ich bin nicht in die Kinderzimmer gegangen und habe die Türen zugelassen", berichtete sie bei ihrem einzigen öffentlichen Auftritt kurz nach der Rückkehr der Kinder. "Die leeren Betten, das Spielzeug, die Fußballfotos, die selbst gemalten Bilder, der Kickertisch, die Schulsachen, die Bücher - das zerriss mir das Herz. Ich habe auch ganz schnell das ganze Spielzeug, das im Haus verteilt war, in die Kinderzimmer gebracht, damit ich nicht täglich darauf stoße."

Das alles sagte sie, als die Entführung vorbei war. Vor Gericht ist sie viel zurückhaltender. Ihr fehlt das, was Juristen "Belastungseifer" nennen, der Wunsch, den Angeklagten in möglichst schlechtem Licht erscheinen zu lassen.

Nein, den Kindern gehe es wieder gut. Nur Jonas, der Älteste, habe Loyalitätskonflikte, weil der Vater ihn in die Reisepläne eingeweiht hatte und der Junge ihm gesagt hatte, wo die Pässe und die Sparbücher liegen. "Auf ihm liegt eine schwere Last", sagt die Mutter. Der Junge hänge am Vater. Ihr selbst gehe es gut, sie habe einen neuen Lebensgefährten.

"Er hat ihnen gesagt, dass ich eine Ehebrecherin bin"

Dieser Lebensgefährte ist offenbar der eigentliche Stein des Anstoßes. Wenn Axel H. am Wochenende seine Kinder abholte, dann machte er sich, so seine Frau, keinen schönen Nachmittag. "Er hat ihnen gesagt, dass ich eine Ehebrecherin bin und dass jemand wie ich in anderen Ländern gehängt oder gesteinigt werde." Sie sagt das ruhig, ein wenig traurig.

Axel H. steht vor der Großen Jugendkammer des Landgerichts Lüneburg und ist geständig. Er ist noch mehr: selbstbewusst, deutlich. Axel H. bereut seine Tat nicht, er rechtfertigt sie. "Ich stehe zu dem, was ich getan habe", sagt er. Mit geradem Blick, das Kinn vorgereckt.

"Ich habe den Kindern nur die Wahrheit gesagt"

Und er verwahrt sich gegen die Berichte seiner Frau: "Ich habe die Mutter nicht schlecht gemacht, ich habe den Kindern nur die Wahrheit gesagt." Ehebruch sei nun mal Sünde. Mit den Kindern hat er auch die Geschichte von der Ehebrecherin gelesen, die gesteinigt werden soll. "Und wer war dagegen?" fragt Richter Thomas Wolter den Angeklagten. "War das nicht Jesus selbst?" Axel H. antwortet: "Er hat gesagt: Geh hin und sündige nicht mehr." Das sei etwas anderes. Und seine Frau? "Wenn sie ihr Leben nicht ändert, wird darauf die Hölle stehen."

2002 haben die beiden geheiratet, sie haben sich im Krankenhaus bei der Ausbildung kennengelernt. Dann kamen kurz hintereinander die Kinder. Seit 2004 zog sich Axel H. immer mehr zurück, surfte im Internet, interpretierte nur noch die Bibel. Sie ist für ihn der Maßstab allen Handelns.

"Ich weiß nicht, ob sie schon mal in der Bibel gelesen haben", sagt er zu Richter Wolter. "Dort steht: Der Glaube ist ohne Werke tot." Deswegen habe er die Kinder entführt, um sie christlich zu erziehen. "Steht da, dass Väter ihre Kinder allein erziehen müssen?", fragt der Richter. Axel H. sagt: "Meine Frau hat sich getrennt. Vor Gott ist das nicht korrekt. Sie hat nicht das Recht, die Kinder an sich zu reißen." Der Richter setzt nach: "Wo steht, dass Sie mit den Kindern nach Ägypten fliehen müssen?" Axel H. sagt: "Dort steht: Man soll andere nicht in Versuchung führen. Sie lebt den Kindern Unzucht vor."

Katja H. und ihr neuer Freund leben nicht zusammen. Er besucht sie am Wochenende.

Für Axel H. stünden die Vorschriften der Bibel höher als die Gesetze des Staates, sagt Oberstaatsanwalt Lars Janßen. Kindesentziehung sieht eine Strafe bis zu fünf Jahren Haft vor, in schweren Fällen bis zu zehn Jahre. Ein schwerer Fall liegt laut Paragraph 235 Strafgesetzbuch nur vor, wenn die Opfer in Lebensgefahr geraten könnten oder ihnen schwere gesundheitliche oder seelische Schäden drohen.

Auch das wird in diesem Prozess zu klären sein: Waren die Kinder in Gefahr? Und wie wirkte sich die Reise später auf sie aus?

Am 8. September bekam Katja H. ihre Kinder zurück. Sie nahm sie am Flughafen Frankfurt in die Arme. Vorsichtig, abwartend, wie es die Psychologen geraten hatten. Die Kinder fragten: "Mama, warum weinst du?" Und Jonas war traurig, dass er sich von seinem Vater verabschieden musste. Die Kinder sind vier Monate danach wieder in der Schule, im Kindergarten. Körperlich ist alles gut, seelisch ist Jonas noch angeschlagen.

Axel H. will Jonas als Zeugen vor Gericht vernehmen lassen. Es geht um die Erziehungsmethoden der Mutter. Ob die auch mal zugeschlagen habe. "Ihnen ging es doch bei ihrer Tat um das Wohl der Kinder", hält der Richter Axel H. vor. "Was versprechen Sie sich für das Wohl des Kindes, wenn Jonas im Gerichtssaal aussagen muss?" Er verspricht sich davon mehr Wahrheit.

Am Ende erklärt die Mutter, ja, sie habe auch mal zugeschlagen. Vermutlich hat das wieder was mit Nächstenliebe zu tun, sie will das Kind nicht vor Gericht sehen. Auf die Einvernahme von Jonas wird zunächst verzichtet. Der Prozess wird fortgesetzt.

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