Prozess in Italien:Die Schöne soll das Biest sein

Sie ist 21 Jahre alt, Amerikanerin und soll eine Kommilitonin ermordet haben. Doch ihr Prozess wird zur Seifenoper.

Stefan Ulrich, Rom

Auch im schönen Italien geschehen viele Morde. Sie tauchen im öffentlichen Bewusstsein auf und verschwinden, wie Wolken am Himmel. Die Bluttat aber, die vergangenen Herbst in der Nacht auf Allerseelen in Perugia geschah, verschwindet nicht. Das Verbrechen an der englischen Erasmus-Studentin Meredith Kercher beschäftigt, ja fasziniert die Menschen in Italien, Großbritannien und den USA bis heute.

Prozess in Italien: Das Konterfei der attraktiven Amanda Knox ist von ihren Fans bereits auf T-Shirts und Espresso-Tassen gedruckt worden, gemeinsam mit der Forderung: "Free Amanda!".

Das Konterfei der attraktiven Amanda Knox ist von ihren Fans bereits auf T-Shirts und Espresso-Tassen gedruckt worden, gemeinsam mit der Forderung: "Free Amanda!".

(Foto: Foto: AFP)

Jedes Detail, das aus den Ermittlungsakten sickert, wird von den Medien und dem Publikum gierig aufgenommen. Jeder Auftritt der drei jungen Verdächtigen wird bis in Details von Schminke und Kleidung diskutiert, als handle es sich um Stars einer Soap-Opera. Eine der Angeklagten, die in Untersuchungshaft sitzende 21 Jahre alte Amerikanerin Amanda Knox, genießt, etwa in Internet-Blogs, Kultstatus. Sie bekommt Fan-Post mit Heiratsanträgen ins Gefängnis geschickt. Schon werden Teddys, T-Shirts und Espresso-Tassen mit der Aufschrift "Free Amanda" verkauft.

Warum diese Faszination? Sie erklärt sich zum einen aus dem pittoresken Hintergrund des Verbrechens, der im umbrischen Hügelland gelegenen Stadt Perugia mit ihren hübschen historischen Bauten. Dank seiner Fremdenuniversität ist Perugia für Zehntausende junge Ausländer zum Inbegriff unbeschwerten Studentenlebens in bella Italia geworden.

Zum anderen ist da dieser besonders grausame Mord, bei dem Sex und Drogen eine Rolle gespielt haben sollen. Meredith wurde am 2. November 2007 halbnackt auf ihrem Bett aufgefunden. Die Gerichtsmediziner befanden, die Täter hätten zunächst mehrmals in ihre Kehle gestochen und sie dann langsam erdrosselt. Davor hätten sie Meredith womöglich missbraucht.

Die attraktive Amanda aus Seattle mit ihrem ebenmäßigen Gesicht und den klaren Augen ist zur Symbolfigur geworden für die Ambivalenz zwischen dem Schönen und dem Abgründigen in Perugia. Aus den Ermittlungen und Medienberichten geht sie als verschlagene und kalte Frau hervor, die in Perugia serienweise Liebschaften pflegte, Drogen nahm, seltsame Bilder von sich ins Internet stellte und düstere Erzählungen schrieb.

Nach dem Mord an Meredith, mit der sie ein Häuschen teilte, behauptete sie, sie sei bei der Tat anwesend gewesen und habe den Mörder, angeblich einen Kongolesen, erkannt. Später widerrief sie und sagte, sie habe die Mordnacht bei ihrem Freund, dem mitangeklagten italienischen Studenten Raffaele Sollecito, verbracht - mit Marihuana, Liebe und Gesprächen.

Engelsgesicht mit Eisaugen

In diesen Tagen nun, bei den ersten Verhandlungen vor Gericht, tritt Amanda völlig verwandelt auf. Schlicht gekleidet, kaum geschminkt, konzentriert und ernsthaft. Sie habe abgenommen, erzählt sie in Prozesspausen, mache Sport im Gefängnis und lerne Sprachen. "Das Engelsgesicht", nennen sie die Journalisten mittlerweile. "Sie ist nicht mehr diese teuflische Amanda mit den Eisaugen", schreibt die Zeitung La Stampa. "Sie ist ein anderer Mensch." Amanda selbst versichert: "Ich bin nicht die Mörderin."

Auch Raffaele beteuert seine Unschuld, genau wie Rudy Hermann Guede, ein 20-Jähriger aus der Elfenbeinküste. Die Staatsanwälte glauben indes, genug Beweise zu haben, um die drei jungen Leute zu überführen. Ihrer Theorie nach wollten Amanda, Raffaele und Rudy die Engländerin Meredith zu Sexspielen zwingen. Als die sich wehrte, sei sie gefoltert und gemeuchelt worden.

Die Beweise? Sie wurden in diesen Tagen dem Gericht erläutert. So entdeckten die Ermittler in der Wohnung Raffaeles ein Messer. Auf dem Griff waren DNS-Spuren von Amanda, auf der Klinge von Meredith. Auf dem Büstenhalter des Opfers fanden sich Spuren Raffaeles, auf einem Kissen unter der Leiche Fingerabdrücke Rudys.

Zudem gibt es Zeugen. Ein Albaner will Amanda in der Tatnacht mit einem Messer in der Hand vor dem "Haus des Schreckens", wie es genannt wird, getroffen haben. Auch der Mitangeklagte Rudy belastet die anderen schwer. Er will gesehen haben, wie Raffaele auf Meredith einstach und mit Amanda floh. Allerdings haben sich Rudy und der Albaner in Widersprüche verwickelt. Und die Verteidiger behaupten, die Fahnder hätten geschlampt und Spuren verwechselt.

Nun müssen sich die Richter ein Bild machen. Noch in diesem Monat soll das Urteil gegen Rudy ergehen, der ein abgekürztes Verfahren beantragt hat. Zugleich werden die Richter entscheiden, ob gegen Amanda und Raffaele das Hauptverfahren vor einem Schwurgericht beginnt. Dieses müsste dann die Frage beantworten, die Amandas viele Fans beschäftigt - ob das "Engelsgesicht" eine verfolgte Unschuld oder eine Mörderin ist.

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