Prozess in Augsburg:"Ich wäre lieber gestorben"

Ein Kumpel wird zum Folterobjekt: Zwei Männer stehen wegen schwerer Misshandlungen eines Jugendlichen vor Gericht. Was mit einer harmlosen Kissenschlacht begann, mündete nach den Worten des psychologischen Gutachters in einem brutalen "Mikro-KZ".

Stefan Mayr

Am 28. Januar 2006 stieß der 18-jährige Christian S. beim Herumtollen dem 22-jährigen René B. versehentlich ans verletzte Knie. Daraufhin schlug B. seinem Kumpel mit der Faust ins Gesicht - und begann zusammen mit dem 15-jährigen Dominik G. eine Folterorgie, an deren Ende das Opfer ,,lieber gestorben wäre als weiter so misshandelt zu werden''.

14 Tage lang suchten die zwei bisherigen ,,Freunde'' den Geschädigten fast täglich in seiner Wohnung in Buttenwiesen (Kreis Dillingen) heim, um diesen zu quälen und zu demütigen. Staatsanwalt Matthias Nickolai bezeichnete das Martyrium als ,,zutiefst menschenunwürdiges Verhalten''.

Stephan Eichhorn, der Anwalt des Geschädigten, nannte die Täter ,,zwei Monster, die die Schmerzen des Geschädigten witzig fanden''. Zuvor hatten Dominik G. und Christian S. wie Pech und Schwefel zusammengehalten - von einem Tag auf den anderen war ,,das menschliche Mitgefühl völlig verloren'', so Eichhorn.

Narben im Genitalbereich

Selbst Verteidiger Rüdiger Prestel äußerte sich angesichts der Taten seines Mandanten als ,,sprachlos''. Das brutale Duo schlug das Opfer mit einer Bratpfanne auf den Kopf, bis diese eine Delle hatte. Als sie die Verformung bemerkten, schreckten sie nicht zurück. Sie drehten die Pfanne um, um sie auf dem Schädel des Opfers auszubeulen. Sie steckten ihm brennende Zigaretten in den Mund und zwangen ihn, sie zu kauen. Eine Zigarette drückten sie auf dem Rücken aus.

Immer wieder würgten sie ihr Opfer, dabei wurde diesem mitunter schwarz vor Augen, er zitterte und hatte ein Taubheitsgefühl in Armen und Beinen. ,,Vorzustand zur Bewusstlosigkeit'', nannte die gerichtsmedizinische Gutachterin dies, was einer ,,abstrakten Lebensgefahr'' nahe komme. Weil den Tätern von den zahlreichen Hieben nach eigener Aussage ,,die Fäuste weh taten'', griffen sie regelmäßig zu diversen Schlagwerkzeugen. Einmal ließen sie auch einen dritten Täter ran. Der vorbestrafte Lehrling verpasste Christian S. per Faust eine Platzwunde an der Augenbraue.

Die Täter schüchterten ihr Opfer mit Todesdrohungen derart ein, so dass der 18-Jährige aus Angst vor weiteren Gewalttaten stets die Wohnungstür für seine Peiniger öffnete. Im Genitalbereich erlitt er Verbrennungen zweiten Grades, die Narben werden ihm bleiben. ,,Ansonsten sind alle körperlichen Beschwerden ausgestanden'', so Anwalt Eichhorn. Ob und wann die seelischen Narben verheilen, ist offen. Christian S. verfolgte den Prozess fast ausschließlich in gebeugter Haltung und mit gesenktem Kopf. Er machte einen verunsicherten Eindruck.

Bei der Suche nach Ursachen für die Quälereien taten sich selbst die Gutachter schwer. Die Täter bewegten sich zur Tatzeit in der Neonazi-Szene, ,,da spielen Überlegenheitsideologien mit, und der Gepeinigte hat die Opferrolle angenommen'', sagte ein Experte. ,,Ich habe meine ganze Aggressivität auf ihn abgeladen'', sagte René B., der heute 23-jährige Haupttäter. Als der gebürtige Leipziger noch ein Kleinkind war, verließ sein Vater die Familie.

Vor der Wiedervereinigung verlor der damals Siebenjährige auch noch seine Mutter; Sie ging alleine in den Westen, ihre Kinder mussten ins Heim. Jahre später holte sie ihre Söhne nach Bayern nach. Dort gab es oft Streit mit dem Stiefvater, einmal ging René B. mit einem Baseballschläger auf ihn los.

"Mich hat fasziniert, wie ein Mensch schwächer wird"

Vor Gericht gab er an, er habe gegenüber dem jüngeren Mittäter ,,auf keinen Fall als schwach dastehen'' wollen. Sein 16-jähriger Komplize erklärte, dass er dem älteren imponieren wollte. Dies führte zur ,,Gewaltspirale der Gewöhnung und gegenseitigen Steigerung'', wie es der Gutachter formulierte.

,,Dabei dominierte René B. nicht nur den Geschädigten, sondern auch meinen Mandanten'', sagte Gs. Verteidiger Georg Zengerle, der seinen Mandanten als Mitläufer darstellte. Der rechten Szene habe er nur äußerlich angehört, weil ihn Militärkleidung fasziniert habe. Sein Opa erzählte ihm Heldengeschichten aus dem zweiten Weltkrieg und schenkte ihm Orden.

,,Ich wollte bloß dazugehören, darum habe ich getragen, was die getragen haben, und geredet, was die geredet haben.'' Laut Gutachten trägt G. ,,eine Selbstwertproblematik mit sich herum, die nie artikuliert wurde''. Er fühle sich mitunter als Tolpatsch. ,,Da entsteht eine altersabhängige Dynamik, dass man eigene Schwächen abwehrt und an jemand Anderem abstraft'', so der Gutachter. ,,Mich hat fasziniert, wie ein Mensch schwächer wird'', sagte der Angeklagte über seine Taten.

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