Zweifel im Maskenmann-Prozess:"Ich bin der Falsche"

Zweifel im Maskenmann-Prozess: In einem Verhandlungssaal des Landgerichtes in Frankfurt (Oder) liegt am 26.06.2014 im Prozess um den sogenannten "Maskenmannes" ein Kanu, mit dem ein Berliner Banker entführt wurde.

In einem Verhandlungssaal des Landgerichtes in Frankfurt (Oder) liegt am 26.06.2014 im Prozess um den sogenannten "Maskenmannes" ein Kanu, mit dem ein Berliner Banker entführt wurde.

(Foto: Patrick Pleul/picture alliance / dpa)

Sein angebliches Motiv: Hass auf Reiche. In Frankfurt an der Oder steht ein 47-Jähriger vor Gericht, der zwei Millionärsfamilien überfallen haben soll. Doch es gibt erhebliche Zwiefel an seiner Schuld.

Von Verena Mayer, Berlin

Bad Saarow bei Berlin. Ein See, viel Grün, wer es sich leisten kann, hat hier ein Anwesen. Wie Petra P., verheiratet mit einem Millionär. Im August 2011 kam sie gerade von der Pferdekoppel, als ihre Hunde anschlugen. Sie dachte erst an nichts Ungewöhnliches, da stand plötzlich ein Mann vor ihr und schlug auf sie ein. Er hatte ein dunkles Netz vor dem Gesicht, das aussah wie eine Imkermaske. Frau P. konnte weglaufen, doch wenige Monate später kam abermals ein Unbekannter zur Pferdekoppel. Er befahl P.s Tochter, sich hinzulegen, schoss ihrem Bodyguard in den Rücken und flüchtete. Wieder war es ein Mann mit einer Maske.

Ein Jahr später, in einem Ferienhaus unweit von Bad Saarow. Hier sah der Investmentbanker Stefan T. mit seiner Frau und dem Sohn im Wohnzimmer fern, als ein Mann hereinkam und in die Luft schoss. Er befahl der Frau, Stefan T. zu fesseln, schleppte den Banker mit einem Kajak zu einer Schilfinsel im See und ließ Stefan T. dort einen Brief schreiben, in dem er eine Million Euro Lösegeld forderte. Nach eineinhalb Tagen konnte der Banker entkommen. Der Täter war verschwunden, Stefan T. wusste nur so viel: Es war ein Mann mit einem dunklen Netz vor dem Gesicht. Aber war es in allen Fällen derselbe, der sogenannte Maskenmann, einer der meistgesuchten Verbrecher in Deutschland?

Der Angeklagte lebte im Wald, zum Überleben sammelte er Flaschen

Donnerstag am Landgericht Frankfurt an der Oder. In dem modernen Betonbau nähert sich der Prozess um einen Kriminalfall seinem Ende, der als einer der rätselhaftesten des Landes gilt. Rechts sitzen Petra P. und ihre Tochter Louisa, beide zart, blond und elegant gekleidet. Neben ihr schreibt ein Mann im Rollstuhl mit. Er war der Personenschützer, auf den geschossen worden war. Er ist seither querschnittsgelähmt. Wenn Louisa P. etwas sagt, spricht sie leise und stockend. Sie leide sehr darunter, dass ihretwegen jemand fast getötet wurde.

Die beiden Frauen blicken zur Anklagebank gegenüber. Dort sitzt Mario K. Er trägt ein hellblaues Hemd und Brille, so eifrig, wie er in seinen Unterlagen blättert, könnte er ebenso gut einer der vielen Anwälte hier sein. Mario K. ist aber angeblich der Maskenmann und soll wegen versuchten Mordes lebenslang ins Gefängnis. Das hat der Staatsanwalt gerade in seinem Plädoyer gefordert.

Das Motiv: K. hasse Reiche. Daher habe er erst in einem "unglaublichen Gewaltexzess" die Unternehmergattin Petra P. niedergeschlagen und später den Investmentbanker Stefan T. entführt. Mario K. schüttelt den Kopf, wie so oft in diesem Prozess. Er ist 47 Jahre alt, eigentlich gelernter Dachdecker. Doch gearbeitet hat er nicht, er lebte im Freien, im Wald, an Seen, sammelte Flaschen. Bis die Polizei 2013 auf seine Spur kam, musste die Sonderkommission "Imker" eingerichtet und ein Aufruf in der Sendung "Aktenzeichen XY" ausgestrahlt werden.

Reden will Mario K. nicht. Nur einmal sagte er: "Ich bin der Falsche."

Ist der Froschmann von früher der Maskenmann von heute?

Am Donnerstagmorgen sind eigentlich K.s Verteidiger mit ihren Plädoyers dran, doch erst muss eine Gutachterin aussagen, die weitere Spuren untersucht hat. Die an der Decke etwa, die auf der Schilfinsel gefunden wurde, auf die der Banker verschleppt worden war. Diese Decke hatte die Polizei erst auf Mario K. gebracht, weil sie gestohlen worden war - an einem Ort, an dem er gelebt hatte. Doch die Ermittler fanden nirgends DNA-Spuren von K., und auch sonst sind ein Jahr nach Prozessbeginn viele Fragen offen.

Die Tatwaffe, die bei beiden Taten zum Einsatz gekommen war, ist verschwunden. Polizisten sagten aus, dass sich der Banker nach der Entführung in Widersprüche verwickelte, die sie zweifeln ließen, ob das alles so stimmen konnte mit dem Kajak, der Schilfinsel und dem Maskenmann. Der Mann, den die Millionärsgattin sah, war klein und rothaarig, Mario K. ist jedoch dunkelhaarig und groß.

Wenn er der Maskenmann ist, wäre das nicht sein erstes Verbrechen. In den Neunzigerjahren schoss er in einem Restaurant um sich, später brach er Boote auf, stahl die Sachen daraus und steckte die Boote in Brand, um seine Spuren zu vertuschen. 2004 entdeckte man ihn, als er, wie ein Froschmann, in einem Taucheranzug im See unterwegs war, um Teile der Boote zu verstecken. Aber ist der Froschmann von früher auch der Maskenmann von heute? "Er ist es", sagt der Staatsanwalt.

Polizist als Tatverdächtiger

Doch da ist noch dieser Polizist der Fliegerstaffel, der dem Fall endgültig eine Wendung geben könnte wie es sie sonst nur im Fernsehkrimi zwanzig Minuten vor Schluss zu sehen gibt, wenn plötzlich alles doch ganz anders ist, als es schien. Der Polizist ist Hubschrauberpilot, der luxuriöse Reisen und teure Autos liebte, aber hoch verschuldet war.

Er kannte die Gegend in Bad Saarow vom Joggen und mindestens eine der Millionärsfamilien aus dem Golfklub. Sein Handy war an den Tatorten eingeloggt, ob er ein Alibi hat, ist derzeit noch unklar. Beamte, die in alle Richtungen, also auch in diese, ermitteln wollten, wurden offenbar zurückgepfiffen. Ein Grund, warum inzwischen auch Brandenburgs politische Opposition auf den Fall aufmerksam wurde - und sich einen Untersuchungsausschuss vorstellen kann.

Donnerstagnachmittag halten die Verteidiger schließlich ihr Plädoyer. Mario K. sei unschuldig, sagten sie, "er kommt in keinem der drei Fälle als Täter in Betracht". Mario K. guckt in seinen Ordner und nickt. Wie auch immer das Urteil ausfällt, das demnächst fallen soll - eines hat der Maskenmann erreicht: Sein Fall wirkt undurchsichtig wie das dunkle Netz, das er vor dem Gesicht trug.

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