Prozess gegen Top-Terrorist "Carlos" in Paris:"Ich bin Revolutionär von Beruf"

Mehr als 100 Anschläge soll "Carlos" verübt haben, jetzt wird dem einst meistgesuchten Terroristen in Paris der Prozess gemacht. Den Gerichtsaal nutzt er als Bühne für seine Agitationen. Mit der Aufklärung der Attentate ließ sich die französische Justiz viel Zeit - fast 30 Jahre mussten die Angehörigen der Opfer warten.

Stefan Ulrich, Paris

Auch historische Prozesse beginnen banal, mit Fragen zur Identität des Angeklagten. Ilich Ramírez Sánchez alias "Carlos, der Schakal" aber, der seit Montag vor einem Pariser Anti-Terror-Gericht steht, machte aus seinen Antworten gleich ein Spektakel. "Mein Vorname lautet Ilich, wie der des Mannes der russischen Revolution", sagte er, auf Lenin anspielend. "Ich bin Revolutionär von Beruf." Dann versicherte der 62 Jahre alte Venezolaner, Jassir Arafat habe ihn zum palästinensischen Ehren-Staatsbürger ernannt. Carlos will diesen Prozess zur Bühne für seine Agitation machen, und es wird schwer für das Schwurgericht werden, ihn davon abzuhalten.

62 Jahre ist der Mann mit dem Schmerbauch und dem weißgrauen Bart nun alt, der da in einem Glaskasten, umgeben von Wachleuten, vor einer Jury aus sieben Berufsrichtern sitzt. Er trägt Jeans, Pulli und eine blaue Jacke, reckt die Faust zum Gruß an einige Sympathisanten im Saal und lächelt so zufrieden, wie ein Theaterbesucher, der sich auf ein Schauspiel freut.

Vor Jahrzehnten, in den siebziger und achtziger Jahren, war Carlos der meistgesuchte Terrorist der Welt. Hundert Pässe und mehr als 50 Pseudonyme soll er benutzt haben. In einem Interview, das er gerade aus dem Gefängnis heraus der venezolanischen Zeitung El Nacional gab, prahlte er, mehr als hundert Anschläge organisiert zu haben. Dabei seien nur "sehr wenige" Zivilisten getötet worden. "Unter den 1500 bis 2000 Toten waren nicht mehr als 200 zivile Opfer." Fidel Castro habe mehr Menschen umgebracht.

So seltsam es klingt: Erst heute muss sich Carlos erstmals für Terroranschläge vor Gericht verantworten. Nachdem er 1994 von den Franzosen im Sudan geschnappt worden war, wurde er 1997 in Frankreich wegen der Tötung zweier Agenten und eines Informanten zu lebenslanger Haft verurteilt. Mit der Aufklärung seiner Attentate ließ sich die Justiz dagegen sehr viel Zeit. Sie wollte erst all die Informationen auswerten, die östliche Geheimdienste zu Zeiten des Kalten Krieges über ihren zeitweisen Verbündeten Carlos gesammelt hatten. 100 000 Seiten umfassen nun die Gerichtsakten. Le Monde hat errechnet, dass sie eine halbe Tonne wiegen und sich zehn Meter hoch stapeln lassen.

"Kultur der Straflosigkeit für Terroristen"

In dem Prozess geht es um vier Attentate auf Züge, einen Bahnhof und eine Zeitung Anfang der achtziger Jahre in Frankreich. Carlos soll mit diesen Attacken versucht haben, seine damalige Ehefrau Magdalena Kopp und einen Gesinnungsgenossen aus französischer Haft freizupressen. Der Angeklagte bestreitet die Taten jedoch. Ein Drohbrief an den damaligen Innenminister, auf dem sich Fingerabdrücke von Carlos befunden haben sollen, ist nicht mehr auffindbar. Die Verteidiger behaupten, die Justiz vertraue zu stark auf die Informationen der östlichen Dienste und habe es versäumt, anderen Spuren zu folgen.

Zur Strategie der Anwälte gehört es, diesem Prozess die Legitimität abzusprechen. Sie behaupten, Carlos werde in seiner Verteidigung behindert, man habe ihm etwa seinen Computer vorenthalten und ihn zu Unrecht in Isolationshaft genommen. "Alles wurde getan, um ihn vor seinem Prozess physisch und mental zu zerstören", sagte einer der Anwälte. Zudem sei es diskriminierend, dass der Jury, anders als üblicherweise in Frankreich, keine Laienrichter sondern Berufsrichter angehörten.

Opfer und Opferangehörige der Attentate, von denen viele die Verhandlung verfolgten, sagten dagegen, nun müsse endlich die Wahrheit ermittelt und Gerechtigkeit geübt werden. Francis Szpiner, einer der Opferanwälte, erklärte, mit diesem Prozess ende "die Kultur der Straflosigkeit für Terroristen". Es gebe für sie keine Zufluchtsorte mehr. Nun gelte es, mit dem Mythos aufzuräumen, Carlos sei ein Revolutionär. Der Sportlehrer Philippe Rouault, der bei einem der Terroranschläge, über die nun gerichtet wird, schwer verletzt worden war, meinte im Namen der Opfer, er hoffe, Carlos werde nicht arrogant auftreten. "Wir wissen, dass er es liebt, sein Spektakel aufzuführen, aber wir hoffen, dass er bescheiden und respektvoll sein wird."

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