Verhandlung gegen Dschochar Zarnajew:Boston-Attentäter weint im Prozess

Boston marathon bombing trial

Eine Gerichtszeichnung zeigt Dschochar Zarnajew von hinten, vor ihm sitzen seine Cousine Naida Suleimanova (rechts) und eine Übersetzerin.

(Foto: dpa)
  • Dschochar Zarnajew ist während einer Verhandlung in Tränen ausgebrochen, nachdem eine Familienangehörige ausgesagt hat.
  • Der 21-Jährige steht in Boston vor Gericht, weil er mit seinem Bruder im Jahr 2013 den Anschlag auf einen Stadtmarathon verübt und insgesamt vier Menschen getötet haben soll.
  • Die Jury hat Zarnajew bereits für schuldig befunden. Jetzt geht es um die Frage, ob er zum Tode verurteilt wird oder mit einer geringeren Strafe davonkommt.

Zarnajew weint vor Gericht

Dass aus Dschochar Zarnajew (Dzhokhar Tsarnaev) nicht jegliches Gefühl gewichen ist, hat sich nun beim Prozess in Boston gezeigt. Der 21-Jährige wischte sich mit einem Taschentuch Tränen aus dem Gesicht, als seine Tante vor der Jury aussagte. Die Frau konnte die Fragen zu ihrem Neffen nur unvollständig beantworten, weil sie von einem Weinkrampf geschüttelt wurde und heftig schluchzte.

Bislang hat der Attentäter den gesamten Prozess stoisch über sich ergehen lassen. Ihn schienen weder Bilder noch Videos vom Zieleinlauf des Boston Marathons zu bewegen, wo Zarnajew mit seinem Bruder Tamerlan zwei Bomben zündete und damit drei Menschen tötete und 260 verletzte. Ebenso wenig reagierte er auf Worte, die Familienangehörige der Opfer vor Gericht an ihn und die Jury richteten.

Verteidigung versucht, Zarnajew menschlich darzustellen

Das Gericht hat Zarnajew bereits in allen 30 Anklagepunkten für schuldig befunden. In der zweiten Prozessphase muss nun das Strafmaß festgelegt werden. Zarnajews Fall wird an einem Bundesgericht verhandelt, daher droht ihm die Todesstrafe. Seine Verteidiger versuchen, die Höchststrafe zu vermeiden - mit der Taktik, Tamerlan Zarnajew als treibende Kraft darzustellen und Dschochar als treuen Gefährten, der vom älteren Bruder zur Tat verführt wurde.

"Der Job der Anwälte wird es sein, den jungen Mann so menschlich wie möglich darzustellen", sagte kurz nach Prozessbeginn der frühere Richter Bill Blum, der als Spezialist für die Verteidigung von Angeklagten in Todesstrafen-Prozessen gilt. Dazu werde die Verteidigung einen Berg mildernder Umstände vorlegen, darunter Details aus seiner Familie und seiner Erziehung.

Familienangehörige beschreiben Angeklagten als liebes Kind

Genau das geschieht nun, und die Tränen, ob echt oder nicht, dürften Zarnajew durchaus menschlicher erscheinen lassen - auch wenn er über seine schluchzende Tante weint und nicht über die Schicksale der Menschen, die er getötet hat. Insgesamt haben am Montag drei Cousins und Cousinen sowie zwei Tanten des Angeklagten ausgesagt und ihn als sanftes, liebes Kind beschrieben. Sie alle hatten ihn zuletzt im Alter von acht Jahren gesehen, bevor er mit seinen Eltern aus dem Nordkaukaus in die USA zog.

Die Verteidigung versucht auch, die Geschworenen davon zu überzeugen, dass es den Opfern nichts bringe, wenn Zarnajew hingerichtet werde. Die Todesstrafe würde aus ihm einen Märtyrer des radikalen Islam machen, sagte Verteidiger David Bruck nach Angaben des Boston Globe. Der Anwalt zeigte den Geschworenen Bilder des Hochsicherheitsgefängnisses im Bundesstaat Colorado, in dem Dschochar Zarnajew seine Strafe absitzen würde. "Sie würden ihn bestrafen und die Gesellschaft zugleich schützen", wandte sich Bruck an die Jury. "Er wird dort sicher weggeschlossen sein, niemand wird je wieder von ihm hören."

Verhandlung gegen Dschochar Zarnajew: Eine Verwandte Zarnajews verlässt das Gericht in Boston.

Eine Verwandte Zarnajews verlässt das Gericht in Boston.

(Foto: AP)

Staatsanwaltschaft fordert Hinrichtung - Bostoner mehrheitlich dagegen

Die Staatsanwaltschaft strebt die Todesstrafe an. Sie stellt Dschochar Zarnajew als reuelosen Mörder dar. Der Charakter des jungen Mannes sei von Unmenschlichkeit und Gleichgültigkeit geprägt. Zarnajew sei ein Terrorist, er habe Amerika bestrafen wollen - mit einer kalten Tat und ohne an die Menschenleben zu denken, die er dadurch zerstörte.

Einer Umfrage des Boston Globe zufolge plädieren 66 Prozent der Befragten Einwohner Bostons für lebenslange Haft, lediglich 15 Prozent wollen die Todesstrafe. Im Bundesstaat Massachusetts ist die Todesstrafe zwar abgeschafft, doch der Prozess findet vor einem Bundesgericht statt, das die Todesstrafe verhängen kann.

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