Prozess:Gefährlicher Massenrausch: Psychotherapeut legt Geständnis ab

Prozess Massenrausch Handeloh

27 Teilnehmer mussten in Krankenhäusern behandelt werden.

(Foto: Matthias Köhlbrandt/dpa)
  • Ein Massenexzess löste vor zwei Jahren einen Großeinsatz von Rettungskräften aus.
  • Nun muss sich der Seminarleiter vor Gericht verantworten.
  • Er gibt zu, den Teilnehmern psychoaktive Substanzen verabreicht zu haben.

Von Peter Burghardt, Stade

Der Notarzt dachte erst an eine Pilzvergiftung, als er sich dem Desaster näherte. Wer konnte schon ahnen, dass hier ein kollektiver Drogenrausch stattfand, mitten in der stillen Lüneburger Heide?

29 Menschen torkelten im Sommer 2015 durch ein idyllisches Seminargelände in Handeloh oder wälzten sich auf dem Boden. Manche lagen sexuell enthemmt halbnackt aufeinander. Sie hatten Krampfanfälle, Halluzinationen, Atemnot, es bestand Lebensgefahr. Alle landeten auf Intensivstationen, 160 Rettungskräfte waren im Einsatz. Bald stellte sich heraus, dass die Patienten einen verbotenen Cocktail mit den Substanzen 2 C-E und Dragon Fly geschluckt hatten.

Gut zwei Jahre später sitzt der mutmaßliche Anstifter nun im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Stade. Stefan S., jetzt 52 Jahre alt, Psychologe aus Aachen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, als Veranstalter der missratenen Sitzung illegale Betäubungsmittel an die Teilnehmer verteilt zu haben. Außer den 27 angemeldeten Gästen, darunter Informatiker und Heilpraktiker, erwischte die verheerende Wirkung auch ihn selbst und seine Frau, auch die beiden mussten in Kliniken eingeliefert werden.

Alles hatte so harmlos begonnen

Das Verfahren gegen die Frau wurde gegen eine Geldstrafe eingestellt. Hat Stefan S. dagegen Pech, so stehen am Ende dieser Geschichte eine Gefängnisstrafe und womöglich Berufsverbot. Dabei hatte angeblich alles so harmlos begonnen.

Die Versammlung an jenem Wochenende stand unter dem Motto "Sieben Quellen, eine Reise durch unser Energiesystem", auf dem Programm standen allerlei Übungen. Das Treffen ereignete sich in einem Tagungszentrum, in dem gewöhnlich getanzt oder Yoga gemacht wird. Die Hausherrin ahnte nichts von dem drohenden Exzess und gehört selbst zu den Opfern: Ihre Einrichtung wurde teilweise verwüstet und ihr Ruf ruiniert.

Inzwischen ist wieder alles repariert und der materielle Schaden bezahlt, auch die Betroffenen gelten als vollständig genesen. Doch das ändert wohl wenig an den juristischen Konsequenzen. Obendrein scheint hinter diesem skurrilen Fall aus Norddeutschland System zu stecken.

War alles nur ein Unglück?

Die Ankläger verweisen darauf, dass in der privaten Küche des Angeklagten auch kleine Mengen LSD gefunden worden seien. In dem Prozess indes geht es vor allem um 2 C-E und Dragon Fly, deren Folgen bei den Konsumenten zu besichtigen waren. Zu Buche schlägt außerdem der gewerbliche Charakter, denn es geht um ursprüngliche Einnahmen in Höhe von mehr als 10 000 Euro. Pro Person kostete diese Zusammenkunft 290 Euro, dazu 198 Euro für Unterkunft und Verpflegung.

Oder war das alles am Ende ein Unglück, mit dem niemand hatte rechnen können und das den Verursacher ganz besonders trifft?

So stellt es gleich nach der Verlesung der Anklage Stefan S. dar. Er entschuldigt sich, räumt Fehler ein, spricht aber von einem Unfall. Dann erzählt er aus seiner Vita, von seinen Eltern, seinem Studium, seiner Scheidung, seiner Suche nach Selbsterkenntnis, der Beschäftigung mit den grundsätzlichen Fragen des Lebens. Er habe erkannt, "dass wir Menschen fühlende Wesen sind".

Er schloss sich dem extrem umstrittenen Schweizer Samuel Widmer an und wird einer von dessen Meisterschülern. Der kürzlich verstorbene Widmer galt als Guru der sogenannten Psycholyse, bei der anscheinend auch unerlaubte Stoffe das Bewusstsein erweitern sollen. Um ihn und seine Lehre schart sich eine verschwiegene Szene. Der Therapeut Stefan S. gründete eine eigene Praxis und leitete immer wieder Seminare, das in Handeloh sei sein größtes gewesen. Und es lief sagenhaft aus dem Ruder.

Urteil für 22. November erwartet

30 Pillen 2 C-E hatte er mitgebracht, als "einmaligen und zeitlich begrenzten Baustein". Er habe sie Jahre zuvor von einem Bekannten erworben, dessen Namen er nicht nennen will, und nicht geahnt, dass Dragon Fly beigemischt war. 2 C-E, unter Eingeweihten als Aquarust bekannt, ist ein Psychedelikum und wie Dragon Fly einem Amphetamin ähnlich. Die Kombination wirkt offensichtlich bereits in geringen Dosen gefährlich toxisch. Dem Vernehmen nach lagen Beruhigungsmittel mit Wirkstoffen wie Tavor bereit. Stefan S. und seine Partnerin machten einen Spaziergang, als die Gruppe bereits wie von Sinnen war, und nahmen später selbst von dem Trank.

Ob er überzeugt sei von dem, was er tue, fragt der Richter Jakob Dinter. Man könne nicht die Methode verdammen, erwidert der Beschuldigte, das sei bei Luther auch so gewesen. Er wünsche sich, dass in Deutschland mehr darüber geforscht würde. Aber natürlich würde er nur "mit sauberen Substanzen" arbeiten. Auch sei es ja nicht so, "dass wir ständig Drogen einsetzen. Die Approbation wurde ihm noch nicht entzogen. Teuer scheint es so oder so zu werden, Stefan S. klagt über Ausgrenzung und Schulden. Am 22. November will das Gericht in Stade sein Urteil fällen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: