Prozess:Eigentor für Jens Lehmann

Nötigung, falsche Verdächtigung, Beihilfe zur Unfallflucht: Der frühere Nationaltorhüter muss sich wegen gleich mehrerer Verkehrsverstöße vor Gericht verantworten - und kommt milde davon.

Von Moritz Geier, Starnberg

Kurz sieht Jens Lehmann so aus, als hätte er die Frage nicht verstanden. Er setzt sich, der Blick leer, dann schüttelt er leicht den Kopf. Aber natürlich hat er die Frage verstanden, doch Lehmann beantwortet sie mit demonstrativem Ignorieren. Ob er denn ein Autogramm haben könne, hat ihn ein älterer Herr im knallpinken T-Shirt aus dem Publikum gefragt. Nichts Ungewöhnliches für Jens Lehmann, den Ex-Nationaltorwart. Aber Lehmann will nicht. Er möchte sich aufs Spiel konzentrieren. Ein Spiel, das natürlich gar keines ist. Lehmann steht ja hier nicht auf dem Fußballplatz, sondern sitzt in Saal 125 des Starnberger Amtsgerichts.

Gegen alle drei Strafbefehle legte der frühere Nationaltorwart Einspruch ein

Am Mittwoch hat das Gericht Jens Lehmann wegen gleich mehrerer Verkehrsdelikte zu einer Geldstrafe verurteilt, aber es ist der Auftritt des Autogrammjägers, der das Interessante an diesem Fall illustriert. Eigentlich hat die Welt des Fußballers ja nichts zu tun mit der Welt, in der Lehmann am Mittwoch auftrat, am Gericht ist die Unvoreingenommenheit ein hohes Gut. Und trotzdem stellt sich angesichts der Vorwürfe gerade beim Ex-Torwart diese Frage: Hat der Lehmann, den man aus den Fußballstadien kennt, doch etwas zu tun, mit dem Lehmann, der nun auf der Anklagebank sitzt?

Drei Verfahren hat das Gericht verbunden, die Staatsanwaltschaft München II hatte zwei Strafbefehle gegen Lehmann erlassen und in einem dritten Fall einen Strafbefehlsantrag gestellt. Lehmann hatte gegen alle Einspruch erhoben. Im ersten Fall - einem Strafbefehl über 240 000 Euro - soll er vor genau zwei Jahren auf der Autobahn 952 kurz vor Starnberg einen Autofahrer ausgebremst und zur Rede gestellt haben. Weil er dem 42-jährigen Kfz-Händler dabei angeblich durch das halb geöffnete Autofenster an den Schal gegriffen hat, warf die Staatsanwaltschaft Lehmann Nötigung und versuchte Körperverletzung vor.

Abgeklärt trägt Lehmann seine Sicht vor

Lehmann ein Rüpel im Straßenverkehr? In seiner Karriere hat der Sportler über die Jahre ein Image gewonnen, und wenn man dieses Image in eine Szene fassen müsste, dann vielleicht in diese: In einem Bundesligaspiel fängt Lehmann einen Ball ab, er will das Spiel schnell machen, und rempelt dabei, nicht ganz unabsichtlich, einen Gegenspieler an, der ihm nun mal im Wege steht. Lehmann liebte das Hickhack, er war ein smarter Draufgänger auf dem Fußballplatz, mal Zocker, mal enfant terrible. Legendär seine Psychospielchen im WM-Viertelfinale 2006 gegen Argentinien, als er versuchte, die Schützen des Gegners zu irritieren, indem er ein Papierzettelchen aus seinem Stutzen pulte und so tat, als wisse er schon, in welche Ecke die Argentinier schießen würden.

Statt Zettel im Stutzen bringt Lehmann nun zwei Topanwälte mit zum Gerichtstermin. Der heutige Fernseh-Fußballexperte sitzt zwischen den beiden, eine Hand auf den Tisch gelegt, er trägt ein weißes Hemd unter einem eng geschnittenen grauen Pullover. Als Beruf gibt er "selbständig" an. Familienstand: verheiratet, drei Kinder. Zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen will er keine Angaben machen. Ganz abgeklärt trägt er seine Sicht der Dinge vor. Der Autohändler habe gedrängelt, ihn überholt und scharf geschnitten, das unter anderem. An einer Ampel sei Lehmann dann eben ausgestiegen, um "sich mal anzuschauen", wer der Fahrer sei. "Willst du mich umbringen?", habe er ihn dann gefragt, worauf der geantwortet habe: "Schleich dich, du Depp!" Der Händler erzählt hingegen, er habe gar auf die Hupe drücken müssen, um sich Lehmanns Griff zu entwinden.

Richterin Christine Conrad stellt Lehmanns Souveränität dann aber auf die Probe. Nicht nur einmal verirrt sich der Ex-Torwart in seinen eigenen Aussagen, als Conrad mit präzisen Nachfragen seine Glaubwürdigkeit testet. Sei es nun ein "kleiner Schreck gewesen", als der Fahrer ihn angeblich mit knappem Abstand überholte? Oder habe er sich "zu Tode erschrocken"? Beide Zitate hatte er vor Gericht geliefert. "Das ist ein Unterschied", belehrt ihn Conrad.

Lehmann akzeptiert den Strafbefehl

Beim zweiten Strafbefehl handelt es sich um einen Vorfall aus dem Jahr 2015. Lehmann soll als Beifahrer in seinem Mercedes in der Münchner Innenstadt in einen Auffahrunfall verwickelt worden sein und den Fahrer dann zur Weiterfahrt überredet haben. Der Vorwurf: Beihilfe zur Unfallflucht. Und das dritte Delikt: Im März 2016 soll Lehmann am Irschenberg auf der A 8 mit überhöhter Geschwindigkeit geblitzt worden sein. Lehmann habe dann aber, so die Staatsanwaltschaft, eine andere Person als Fahrer angegeben, obwohl das Bild eindeutig Lehmann am Steuer zeigte.

Am Ende ist sogar der Autogrammjäger glücklich - und Lehmann zahlt 42 500 Euro

Zu einer Verhandlung dieser Fälle kommt es dann am Mittwoch aber überraschend nicht mehr. In einer Unterbrechung besprechen sich Verteidigung und Staatsanwaltschaft und kommen zu einer Einigung. Die Verfahren gegen Lehmann wegen Nötigung und Körperverletzung sowie falscher Verdächtigung werden eingestellt. Beim Verfahren wegen Beihilfe zur Unfallflucht kommen Lehmann und seine Anwälte der Staatsanwaltschaft entgegen. Lehmann akzeptiert den Strafbefehl, will nur noch über die Höhe der Geldstrafe verhandeln. Am Ende verurteilt ihn Richterin Conrad zu einer Geldstrafe in Höhe von 42 500 Euro, es handelt sich um 50 Tagessätze à 850 Euro.

Ursprünglich war ein Tagessatz auf 4000 Euro angesetzt. Die Diskrepanz erklärt Oberstaatsanwalt Ken Heidenreich mit einer Fehlschätzung von Lehmanns Einkünften.

Diese seien in Wahrheit deutlich niedriger. Lehmann will sich nach dem Urteil nicht mehr äußern, er wirkt zufrieden, klemmt seine Aktentasche auf einen Rollkoffer und verschwindet wortlos aus dem Saal. Der Mann im pinken T-Shirt hält am Ende doch noch ein Autogramm in seinen Händen. Der Prozess am Mittwoch war nicht Lehmanns erster Gerichtstermin in diesem Jahr, im Mai erst trat er als Zeuge auf im Prozess um eine Oktoberfest-Messerstecherei, im Januar endete ein Honorarstreit mit einer Beratungsfirma mit einem Vergleich vor Gericht. Jens Lehmann, so scheint es, hat seinen neuen Strafraum gefunden.

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