Loveparade-Prozess:"Der schlimmste Tag Ihres Lebens"

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"Wir haben natürlich versucht herauszufinden, was geschehen ist": Rainer Schaller als Zeuge vor Gericht. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Veranstalter Rainer Schaller tritt als Zeuge im Loveparade-Prozess auf. Er räumt eine "moralische Verantwortung" ein - und entschuldigt sich bei den Angehörigen der Opfer.

Von Benedikt Müller, Düsseldorf

Bevor Rainer Schaller aussagt, kramt er einen Zettel heraus. Er wolle zunächst Worte an die Opfer und Hinterbliebenen des Unglücks richten, sagt der Veranstalter der Loveparade. Die Rede habe er aufgeschrieben, weil er sehr aufgeregt sei. "Der 24. Juli 2010 ist für Sie alle der schlimmste Tag Ihres Lebens", sagt Schaller, der einen schwarzen Anzug und ein schwarzes Hemd trägt. "Alles Leiden, was Sie durchleben mussten, ist auf meiner Veranstaltung geschehen." Daher trage er die moralische Verantwortung. Der 49-Jährige spricht langsam und leise. "Ich möchte mich bei Ihnen aufrichtig entschuldigen."

Schaller hat am Dienstag als Zeuge ausgesagt. Denn das Landgericht Duisburg will in einem großen Verfahren klären, wie es zu dem Massenauflauf bei der Loveparade in Duisburg kam. Damals starben 21 Menschen in einem Gedränge am einzigen Ein- und Ausgang des Geländes; gut 650 Besucher wurden verletzt. Zäune hatten eine Rampe zum Gelände versperrt, der Veranstalter soll die zulässige Besucherzahl kurzfristig erhöht haben. Nun müssen sich zehn Angeklagte wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung vor Gericht verantworten: sechs Beschäftigte der Stadt und vier Mitarbeiter von Schallers Firma Lopavent.

Der Unternehmer erscheint weit vorab im Zeugenstand. Er stellt sich den Fotografen, spricht kurz mit Hinterbliebenen. Dann erzählt der Gründer der Fitnesskette McFit, kahl geschoren, grauer Bart, wie er zur Loveparade kam: Anfang des Jahrtausends habe er gelesen, dass das Elektrofestival mangels Sponsoren vor dem Aus stehe. Im Jahr 2006 kaufte Schaller die Namensrechte, gründete die Veranstaltungsfirma Lopavent - und formte die Paraden in Berlin, Essen und Dortmund zur Werbeveranstaltung für seine Kette. "Wenn Rainer Schaller die Loveparade rettet", erklärt er sein Kalkül, "dann tun wir etwas Gutes für die elektronische Szene."

An viele Besprechungen zur Loveparade könne er sich nicht mehr erinnern

Der Gründer beteuert, dass er zwar das repräsentative "Gesicht der Loveparade" gewesen sei, wesentliche Entscheidungen aber seinen Beschäftigten überlassen habe. Nach dem Unglück sei er lange in Duisburg geblieben, habe sich mit seinen Mitarbeitern "immer und immer wieder" die Kameraaufnahmen aus dem Fußgängertunnel und der Besucherschleuse angeschaut. "Wir haben natürlich versucht herauszufinden, was geschehen ist." Seinen Beschäftigten habe er alle Fragen gestellt, die auch die Öffentlichkeit an ihn gerichtet hatte: Ging der Sparkurs von Lopavent zulasten der Sicherheit? Übersah die Firma, dass eine Überfüllung drohte? "Ich habe hier keine Fehler genannt bekommen", sagt Schaller. "Mir ist nichts bekannt." Mehrmals betont Schaller, dass seine Beschäftigten vor Ort die meisten Gespräche mit den Behörden geführt hätten. "Ich war selbst sehr selten in Duisburg", sagt der Unternehmer. An viele Mails und Besprechungen zur Loveparade 2010 kann er sich nach eigenem Kundtun nicht mehr erinnern.

Tatsächlich sah die Staatsanwaltschaft von Anfang an keine Anhaltspunkte dafür, dass der Lopavent-Inhaber Einfluss auf mutmaßliche Planungsfehler genommen hätte. Andererseits können die angeklagten Beschäftigten auf Organigramme verweisen, die Schaller als oberste Instanz ausweisen. Der Unternehmer wird den Prozessparteien auch an diesem Mittwoch und Donnerstag Rede und Antwort stehen. Nebenkläger wie Gabriele Müller, die ihren Sohn Christian bei der Katastrophe verlor, äußern sich am Dienstag enttäuscht, dass sich die Lopavent-Führungskräfte gegenseitig die Zuständigkeiten zusprächen. "Ich halte es nicht für glaubwürdig, dass sich das Spardiktat nicht auf die Sicherheitsvorkehrungen der Loveparade ausgewirkt hätte", kritisiert zudem Anwalt Julius Reiter, der mehrere Nebenkläger vertritt. "McFit sollte beworben werden, dem wurde alles untergeordnet."

Der Einzelhandelskaufmann Schaller begann seine Karriere als Geschäftsführer mehrerer Supermärkte. Im Jahr 1997 eröffnete der Franke ein erstes McFit-Studio in Würzburg. Seit der Katastrophe in Duisburg veranstaltet er keine Loveparade mehr. Schaller will die Namensrechte auch nicht weitergeben. Die Geschichte des Festivals endet mithin im Juli 2010. Und das Gericht muss sein Urteil spätestens bis Juli 2020 fällen - sonst droht der Fall juristisch zu verjähren.

© SZ vom 23.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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