Proteste bei Entscheidung zu Stuttgart 21:"Schämt euch"

Stuttgart 21

Szenen aus dem Schlosspark: Am 30. September 2010 ging die Polizei mit Wasserwerfern gegen Stuttgart-21-Demonstranten vor.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)
  • Der Prozess gegen zwei Polizisten, die vor vier Jahren im Stuttgarter Schlossgarten den verhängnisvollen Einsatz von Wasserwerfern bei Stuttgart-21-Protesten geleitet haben, wird eingestellt.
  • Während der Verhandlung protestieren Stuttgart-21-Gegner im Zuschauerraum. Die Richterin schreitet ein und lässt den Saal räumen.
  • Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann muss nun doch nicht als Zeuge aussagen.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Auch Winfried Kretschmann sollte irgendwann noch in den Zeugenstand gerufen werden. Als Fraktionsvorsitzender der Grünen hatte er am 30. September 2010 im Stuttgarter Schlossgarten hautnah miterlebt, wie der Polizeieinsatz gegen die Gegner des Bahnhofsprojekts Stuttgart 21 aus dem Ruder lief.

Über die Zahl der Verletzten streitet man noch heute, waren es 180 oder doch 400? Ein Mann, so viel steht fest, verlor im Wasserwerferstrahl sein Augenlicht.

Jener unselige "schwarze Donnerstag" sei nun allerdings lange her, sagte Ministerpräsident Kretschmann am Dienstag in seiner Regierungspressekonferenz. Und wie das eben so sei bei Ereignissen, die lange zurückliegen: An manches könne man sich nicht mehr so richtig erinnern. Deswegen sei er auch "irgendwie froh", nun doch nicht erscheinen zu müssen beim Wasserwerferprozess.

Aber gerade Wähler seiner Partei müssten die Einstellung des Prozesses doch als Affront empfinden, wurde ihm entgegengehalten. "Ob das die grünen Wähler nun irritiert oder nicht", erwiderte Kretschmann nach längerem Überlegen, "es ist nun einmal so entschieden."

Prozess gegen zwei Polizisten wird eingestellt

Es ist nun wirklich so entschieden. Am Mittwoch um 15.07 Uhr gab Manuela Haußmann, die Vorsitzende Richterin der 18. Strafkammer am Landgericht, wie erwartet bekannt: Der Prozess gegen zwei Abschnittsleiter der Polizei werde eingestellt, wegen Geringfügigkeit der Schuld nach Paragraf 153a der Strafprozessordnung, gegen Zahlung von je 3000 Euro.

Die beiden Beamten waren wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt angeklagt. Eigentlich hatte Richterin Haußmann den Beschluss schon eine Stunde zuvor verkünden wollen, doch zeigten sich an diesem Tag noch einmal alle Verhärtungen und Verwerfungen, die mit Stuttgart 21 einhergehen.

Schon vorige Woche hatten die Parkschützer, Keimzelle des Widerstands, die Einstellungspläne als "Justizskandal" beklagt. Von einem "Schlag ins Gesicht für die Nebenkläger" sprach der Anwalt von Dietrich Wagner, der am "schwarzen Donnerstag" in einem Wasserwerferstrahl erblindete.

Buh-Rufe, Protestschilder und Beschimpfungen

Alle fünf Anwälte der Nebenkläger stellten einen Befangenheitsantrag gegen die Strafkammer, er wurde erst am Mittwochmorgen abgelehnt. Als Richterin Haußmann um kurz nach 14 Uhr ansetzte, ihren Beschluss zu verkünden, deckten sie die Nebenkläger-Anwälte mit Anträgen ein.

Die Richterin, sichtlich bemüht, die Sache zügig hinter sich zu bringen, lehnte diese ab, begleitet von Buh-Rufen der Stuttgart-21-Gegner aus dem Zuschauerraum.

Es folgen neuerliche Befangenheitsanträge, die Richterin Haußmann nicht zuließ ("Prozessverschleppung"), neuerliche Buh-Rufe, eine letzte Warnung der Richterin: "Meine Damen und Herren, es reicht. So ein Verhalten gegenüber einem Gericht habe ich noch nicht erlebt." Als ein Schild hochging, auf dem "Schämt euch" stand, ließ sie den Saal räumen. Polizisten marschierten auf, sie bekamen zu hören: "Schande. Knechte. Wie in einer Diktatur."

So ging ein Prozess zu Ende, den Manuela Haußmann bis dahin in aller Strenge und durchaus von allen Beteiligten respektiert über die Bühne gebracht hatte. Aber sie hatte, obwohl noch Verhandlungstermine bis in den März hinein fixiert waren, offenbar keinen Weg gesehen, den Angeklagten nachzuweisen, dass sie direkte Anweisungen an die Besatzungen der Wasserwerfer gaben. Die Polizisten, die im Laufe des Prozesses aussagten, gaben sich gereizt und wortkarg und wollten sich so wenig wie möglich erinnern. Und doch gab es einen Moment der Klarheit. Polizeioberrat Thomas E., 57, berichtete, viele Beamte seien der Meinung gewesen, der Einsatz sei falsch geplant gewesen.

Warum niemand protestierte habe, fragte die Richterin. Antwort: "Aus Feigheit". Einer der Angeklagten habe ihm im Kampfgetümmel anvertraut: "Ich kann das nicht, ich krieg das nicht hin."

Zwei unmittelbar am Einsatz beteiligte Beamte sind bereits wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt zu Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt worden. Die beiden angeklagten Abschnittsleiter kommen nun ohne Vorstrafe davon.

Die juristische Aufarbeitung des "schwarzen Donnerstags" ist damit aber noch nicht zu Ende. Ebenfalls wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung im Amt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen den damaligen Polizeipräsidenten Siegfried Stumpf; die Entscheidung über eine Anklage soll bis Anfang nächsten Jahres fallen.

Geblieben ist ein generelles Misstrauen gegen Polizei, Justiz und Staat

Die Verbissenheit, mit der man in Stuttgart einen Wasserwerfereinsatz aus dem Jahr 2010 aufarbeitet, mag skurril wirken. Aber dieser Donnerstag ist selbst für Befürworter des Bahnprojekts ein traumatisches Erlebnis gewesen in einer Stadt, in der die Polizei bis dahin im Zweifel lieber auf Gewalt verzichtet hatte.

Im mittlerweile schon zweiten Untersuchungsausschuss versucht das Parlament zu klären, ob der damalige Ministerpräsident Stefan Mappus die Polizei zum gewaltsamen Einsatz drängte. Nicht zuletzt wegen des "schwarzen Donnerstags" wurde die CDU in Baden-Württemberg 2011 abgewählt.

Als Erbe geblieben ist im harten Kern des Widerstands das Misstrauen gegen Polizei, Justiz, ja gegen den Staat schlechthin. Die absolute Unversöhnlichkeit. Von Winfried Kretschmann, der Respekt vor der Justiz fordert, fühlen sich diese Leute verraten und verkauft.

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