Prostitution:Massive Kritik aus dem Lustspielhaus

St. Pauli in Hamburg

"Girls 24h": In Hamburg ist das Milieu besonders präsent.

(Foto: dpa)
  • Dem neuen Prostituiertenschutzgesetz zufolge macht sich von 2017 an strafbar, wer ohne Erlaubnis eine Prostitutionsstätte betreibt, ohne Anmeldebestätigung und Gesundheitsberatung sexuelle Dienstleistungen anbietet oder als Freier kein Kondom verwendet.
  • Viele Prostituierte fürchten, dass das Gesetz den Einzelsex-Handel schädige und Prostituierte in die Illegalität treibe.
  • Die Branche prangert vor allem die Meldepflicht an, weil sie ein zu schlecht geschütztes Bekenntnis zu einem Beruf verlange, den viele nicht akzeptieren.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Tanja Sommer kann sich wunderbar in Rage reden. Sie besitzt ein bayerisches Temperament, dazu eine wuchtige Ausstrahlung, und sie ist eine stolze Hure mit politischem Auftrag als Vorstandsmitglied des Berufsverbandes erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD). Wenn sie in Fahrt ist, gerät jede Widerrede unter eine Lawine aus Gegenfragen, Argumenten, Tiraden. Und jetzt, in der Pause der Sexarbeits-Konferenz in Hamburg, ist sie in Fahrt.

"Hochstigmatisiert" nennt sie ihren Berufsstand, sie sieht ihn belastet von gesellschaftlicher Doppelmoral und Misstrauen. "In einem Bordell in Stuttgart wurde der Gangbang verboten!" Tanja Sommer kann es nicht fassen. "Ich frage: ,Was ist die rechtliche Grundlage?' Der Beamte sagt: ,Die finden wir schon.'" Sie ist sauer: "Das ist eine moralische, ausgrenzende Vorverurteilung!" Am Ende des Gesprächs bittet sie um Nachsicht wegen ihrer emotionalen Art.

Keine Ursache. Es sind ja wirklich bewegte Zeiten für das Gewerbe, in dem die Familienmutter Sommer seit ihrem Einstieg vor zehn Jahren "aus finanziellen Gründen" ein berufliches Zuhause gefunden hat. Und das hat gar nicht nur mit dem alten Problem zu tun, dass Sexarbeit im kollektiven Bewusstsein immer noch als reine Schmuddelbranche dasteht, in der finstere Zuhälter willenlose Mädchen für die schnelle Nummer feilbieten.

"So, wie es ist, ist es einfach nicht möglich"

Die Gesetzesnovelle der Bundesregierung versetzt die Szene in Aufregung. Lange hat die große Koalition in Berlin herumgedoktert am sogenannten Prostituiertenschutzgesetz, ehe es Anfang Februar hieß, man habe sich geeinigt. Wenn es wie geplant in Kraft tritt, wird sich von 2017 an strafbar machen, wer ohne Erlaubnis eine Prostitutionsstätte betreibt. Wer ohne Anmeldebestätigung und Gesundheitsberatung sexuelle Dienstleistungen anbietet. Wer als Freier beim käuflichen Sex kein Kondom verwendet.

In der Behörde der zuständigen Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) ist man zufrieden: "Künftig wird es erstmals in Deutschland Mindeststandards und Regelungen für das Prostitutionsgewerbe und die Ausübung der Prostitution geben." Aber viele Prostituierte halten das Gesetz für eine weltfremde Schreibtischtat und fühlen sich dadurch bevormundet. "So, wie es ist, ist es einfach nicht möglich", sagt Tanja Sommer. Und die Sexarbeits-Konferenz, die der BesD mit dem Bündnis für Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter (Bufas) und der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften veranstaltet, steht ganz im Zeichen dieser Haltung.

Es sollte auch mal um die saubere Seite der Sexarbeit gehen

Die dreitägige Fachtagung begann am Mittwoch mit einem offenen Politik-Tag, bei dem von den Argumenten für das neue Gesetz so gut wie nichts zu hören war. Selbstbestätigung war das Ziel. Es sollte auch mal um die saubere Seite der Sexarbeit abseits von Armutsprostitution, Menschenhandel und Drogenproblematik gehen. Zu Wort kamen selbstbestimmte Dienstleisterinnen, die Sex nicht zur Befriedigung niedriger Begierden anbieten, sondern als vielfältige kulturelle Handlung.

Zwei freischaffende Sexarbeiterinnen beschrieben ihren Einstieg in die Prostitution als Akt der Befreiung von Konventionen und verbindlichen Liebesbeziehungen. "Es war mir wichtig, dass sich meine Sexpartner nicht mehr in mein Leben einmischen können", sagte die eine, die sich Charly Escort nannte. Am Abend wurde die Dokumentation "Sexarbeiterin" über den ruhigen Alltag der Intim-Masseurin und Fesselspielerin Lena Morgenroth gezeigt.

Für Freunde anzüglicher Klischees war die Veranstaltung nichts. Im Publikum befanden sich erfahrene und jüngere Sex-Lieferanten sämtlicher Geschlechter sowie einige bekennende Freier. Kunstperücken? Verhuschte Existenzen? Null. Die Atmosphäre war entspannt, allenfalls etwas klassenkämpferisch. Von der Sozialarbeiterin Simone Wiegratz aus der Beratungsstelle Hydra bis zur Datenschützerin Bärbel Heide Uhl vom Koordinierungskreis gegen Menschenhandel waren alle einer Meinung: Das Gesetz taugt nichts. Es schädige den Einzelsex-Handel, bedrohe das Vertrauensverhältnis zu den Beratungsstellen, treibe Prostituierte in die Illegalität.

"Für uns ist Anonymität der Schutz in der Gesellschaft", sagt die Sex-Arbeiterin

Die Branche fürchtet vor allem die Meldepflicht, weil sie ein zu schlecht geschütztes Bekenntnis zu einem Beruf verlange, den viele nicht akzeptieren. "Für uns ist Anonymität der Schutz in der Gesellschaft", sagt Tanja Sommer. Das Ressentiment der Verklemmten kann Familien belasten und zweite Karrieren erschweren. "Haben Sie schon mal versucht, als Sexarbeiterin eine Wohnung zu finden?", fragt Tanja Sommer. Und Maria Wersig vom Deutschen Juristinnen-Bund gibt ihr recht. Sie sagt: "Bei der Anmeldepflicht geht es nicht um Schutz. Es geht um Kontrolle."

Aber kann Kontrolle nicht auch Schutz bedeuten? Vor allem für jene, die doch einen finsteren Zuhälter im Nacken haben? Man wolle nicht jene gängeln, die mit Freude ihrer Sexarbeit nachgehen, sagt Jutta Bieringer, Sprecherin des Familienministeriums, "aber wir wissen auch, dass sich viele andere nicht wirklich freiwillig prostituieren, sondern in einer Notsituation sind".

Wieder auf der anderen Seite: Käme es zu der Not überhaupt, wenn die Gesellschaft mehr Achtung vor dem Berufsfeld Sexarbeit hätte? Die Juristin Maria Wersig sagt jedenfalls im ruhigen Ton der Nachdenklichen: "Man schützt die Leute dadurch, dass man sie starkmacht."

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