Produktfälschungen:Churchill in Schanghai

Oft ist es bedeutend schwerer, in China ein Originalprodukt zu kaufen als ein Plagiat - manchmal sind die Fälschungen sogar tödlich.

Janis Vougioukas

Der Ort mit dem Namen Thames Town ist ganz neu, bald werden die ersten Menschen einziehen. Die typischen englischen Pubs stehen schon. Überall bunte viktorianische Fassaden. Und auf dem Dorfplatz ist unübersehbar: eine Bronzestatue von Winston Churchill.

Thames Town wäre ein typisches englisches Dorf, läge der Ort nicht im Neubaugebiet Songjiang am Stadtrand von Schanghai. Vor wenigen Monaten hat ein chinesischer Bauträger die erste täuschend echte englische Stadt mitten in China fertig gestellt. Es ist eine vollständige Kopie.

Ganze Industriezweige leben von Fälschungen

Längst beschäftigen sich Chinas Markenfälscher nicht mehr nur mit T-Shirts und Turnschuhen. Die chinesische Immobilienindustrie hat den Glanz europäischer Altstädte für sich entdeckt - und kopiert. Was im landesweiten Trend liegt. Im vergangenen Jahr eröffnete am Pekinger Stadtrand ein Abbild des französischen Château Lafitte, das dort Zhang Lafitte heißt. Venedig und Schloss Neuschwanstein werden gerade gebaut.

Nicht alle chinesischen Immobilienunternehmer sind deshalb Kriminelle. Aber die gefälschten chinesischen Architekturdenkmäler zeigen, dass die Unterscheidung zwischen Original und Fälschung in China nach anderen Regeln funktioniert. "Die Idee vom Schutz des geistigen Eigentums ist noch neu", sagt Raymond Moroney, Anwalt und Urheberrechtsexperte bei der Kanzlei Rouse & Co International in Peking. "Viele kleine Fälscherfabriken sind sich gar nicht dessen bewusst, dass sie die Rechte anderer verletzen."

Im weiten chinesischen Hinterland leben inzwischen ganze Industriezweige von Fälschungen. Raubkopierte Kinofilme werden landesweit an jeder Straßenecke für sieben Yuan angeboten, umgerechnet etwa 70 Cent. Oft ist es bedeutend schwerer, ein Originalprodukt zu kaufen als ein Plagiat.

Selbst die großen Staatsbetriebe geben offenherzig zu, ihre Firmen- und Produktnamen so zu wählen, dass sie vom Ansehen ausländischer Konkurrenten profitieren. Die chinesische Antwort auf den kanadischen E-Mail-Dienst Blackberry heißt Redberry.

"Unsere Marke knüpft an das bekannte Image und den Namen Blackberry an", hieß es in einem Statement des Pekinger Mobilfunkanbieters China Unicom. Der Sportartikelhersteller Aile verzierte seine T-Shirts und Hosen sogar gleichzeitig mit den Logos von Adidas und Nike, um den Verkauf anzukurbeln. Kugellager, Handtaschen, Sägeblätter, Autos, ICE-Züge - es gibt wohl kaum noch Produkte, die in China nicht gefälscht werden.

Größte Fälscherwerkstatt der Welt

Der Schaden lässt sich nur schwer beziffern. Rund ein Fünftel aller weltweit gefälschten Produkte stammen aus der Volksrepublik, mit zum Teil schrecklichen Folgen. Im Jahr 2004 starben zum Beispiel zwölf Säuglinge in Ostchina. Ihre Eltern hatten sie unwissentlich mit gefälschtem Milchpulver ohne jeglichen Nährwert gefüttert. Jedes Jahr sterben bis zu 200 000 Menschen an der Einnahme gefälschter Medikamente. Unbekannt ist, welchen Schaden falsche Ersatzteile für Industriemaschinen und Autos verursachen.

Die chinesische Wirtschaft selbst leidet am meisten unter dem fehlenden Schutz für Patente und geistiges Eigentum. Nach Angaben der Pekinger Regierung haben nur 0,03 Prozent aller chinesischen Firmen eine eigene Technologie entwickelt. Investitionen in Produktforschung und Imagekampagnen lohnen sich einfach nicht, wenn die Konkurrenz jede Innovation sofort klaut.

Die Regierung ist sich der Probleme bewusst. Gesetze zum Schutz geistigen Eigentums gibt es inzwischen auch in China. Fast täglich werden in den Nachrichten Polizeieinsätze gegen Raubkopierer gefeiert. "Immer mehr chinesische Firmen bemühen sich darum, ihre Marken zu schützen", sagt Moroney. Es wird trotzdem noch Jahre dauern, bis China nicht mehr die größte Fälscherwerkstatt der Welt ist.

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