Portlands Flughafen-Teppich:Hässlich, aber Heimat

Der Flughafen von Portland lässt gerade seinen alten Teppich entfernen - und die Menschen trauern öffentlich. Die Geschichte einer sonderbaren Liebe.

Von Matthias Kolb, Portland

Die Studentin Emma Milkin, 22 Jahre alt, hat viel Zeit in Flugzeugen verbracht. Sie wuchs bei ihrer Mutter in Portland, Oregon, auf, während ihr Vater nach der Scheidung nach Los Angeles zog. "Ich bin mit elf oder zwölf das erste Mal alleine geflogen, ich hatte große Angst", erinnert sich Milkin. Ihre Großeltern leben sechs Flugstunden entfernt an der Ostküste, und in der Luft, sagt Milkin, habe sie stets an Dinge gedacht, die sie beruhigten. "Ich war immer erleichtert, wenn ich am Flughafen den türkisfarbenen Teppich mit den blauen Linien und roten Punkten gesehen habe", sagt Emma Milkin.

Sie spricht in der Vergangenheitsform. Sie muss: Der Flughafenbetreiber reißt den Teppich gerade raus. Und die Menschen trauern, tatsächlich, denn es gibt in Portland mehrere Emma Milkins.

Vor einiger Zeit hat sich Milkin das Muster des Flughafenteppichs auf das linke Schulterblatt tätowieren lassen, sie entschied sich für eine stilisierte Version, weil sie ein schlichtes Motiv mit persönlicher Note wollte. Dann lud sie ein Foto davon auf der Social-Media-Plattform Instagram hoch - und merkte schnell, dass sie mit ihrer Idee nicht alleine war. Dass auch andere Menschen den Boden des Portland International Airport, ja, man muss das so sagen: ins Herz geschlossen haben.

Portland Airport Carpet

Mehr als 40 000 Menschen haben schon Aufnahmen ihrer Füße auf dem Teppich des Flughafens von Portland gemacht.

(Foto: Julie Sabatier/AP)

Der Designer Jeremy Dunn zum Beispiel hat Socken mit dem eigenartigen Strichmuster herstellen lassen. "Ich bin von Boston nach Portland gezogen. Wenn ich in Portland den Teppich gesehen habe, hat das in mir Heimatgefühle ausgelöst", sagt Dunn. Um einige Dutzend Paare zu verkaufen, postete er Bilder mit dem Zusatz #pdxcarpet - "PDX" ist das offizielle Kürzel des Airports. Zwei Stunden später waren 60 Stück weg, und Dunn kümmert sich nun nur noch um Socken. Da das alte Teppich-Design urheberrechtlich nicht geschützt ist, gibt es eine große Auswahl an Souvenirs: Neben Dunns Socken sind da noch T-Shirts, Tassen, Beutel, Taschen, Schlüsselanhänger, Magnete, Kappen, Schals. Sogar die örtliche Brauerei hat spezielles Bier auf den Markt gebracht.

Die Geschichte des Flughafenteppichs von Portland ist eine wundersame Liebesgeschichte, es ist auch eine Geschichte über Heimatgefühle und Heimatsymbole. Vor allem aber ist es eine Geschichte, über die Amerika den Kopf schüttelt.

Anfang 2015 bereits begann der Flughafenbetreiber, den Teppich herauszureißen. Seither haben Tausende vor dem Abflug oder nach der Ankunft ihre Schuhe fotografiert, mehr als 40 000 dieser "foot selfies" wurden ins Internet gestellt. Es gibt Accounts für @pdxcarpet bei Twitter, Facebook und Instagram, praktisch alle TV-Sender schickten Reporter nach Portland, Menschen wie Milkin wurden interviewt; es gibt ja mehrere Bürger von Portland, die das Teppich-Tattoo am Körper tragen. Natürlich wurde auch die Geschichte des Teppichs berichtet: Er wurde 1987 ausgelegt, das Motiv soll an die Landebahnen erinnern, die vom Tower zu sehen sind.

Portland Airport Carpet

Das neue Muster gefällt den Menschen nicht besonders: Es erzeugt keine Emotionen.

(Foto: Julie Sabatier/AP)

Das neue Muster: ach ja. Es wird wohl keine Socken in dessen Design geben

Erste Überlegungen, den Boden zu erneuern, gab es bereits 2006, die Entscheidung fiel in einer Zeit, als soziale Medien die öffentliche Debatte nicht beeinflussten und als Stimmungsbarometer dienen konnten. Der Flughafenbetreiber ist jetzt geradezu überwältigt von der öffentlichen Anteilnahme daran, dass ein alter Teppich entfernt wird. "Wir hatten keine Ahnung, dass der Teppich so viele Fans hat", gibt Sprecherin Kama Simonds zu. Nun sei es aber zu spät, um das Projekt zu stoppen oder einen neuen Teppich mit dem gleichen Design auszurollen. Ende November soll alles ausgetauscht sein.

Dass die Geschichte ausgerechnet an Amerikas Westküste spielt, verwundert übrigens kaum. "In Portland leben viele Menschen, die anders sein wollen", sagt Julie Sabatier, die in ihrem in Portland sehr populären Podcast "Rendered" Alltagsphänomene untersucht. Seit der Jahrtausendwende zogen Zehntausende junge Leute nach Portland, denen selbstgemachtes Bier, Kaffee und Fahrräder wichtig sind und die ihr Geld mit Musik, Design oder in der Tech-Industrie verdienen. Die TV-Serie "Portlandia" macht sich seit 2011 liebevoll über diesen öko-bewussten Hipster-Lebensstil lustig, sie prägte den Ruf der Stadt. Deren inoffizielles Motto laute "Keep Portland weird", lass Portland verrückt sein, und Sabatier ist überzeugt, dass die Zuneigung für den Teppich genau jene Art von Merkwürdigkeit darstellt, die der Rest von Amerika so sonderbar findet.

Sabatier sagt, sie werde den Teppich auch vermissen, "es macht melancholisch, wenn bekannte Gebäude oder Restaurants verschwinden, es erinnert mich daran, dass ich älter werde". Die Trauer um den Teppich ist ein gesellschaftliches Phänomen, das allerdings auch mit der banalen Tatsache zusammenhängt, dass die Menschen ihren mehrfach ausgezeichneten Flughafen einfach mögen. "Der Airport ist eine Art Mini-Portland. Es gibt einen großen, unabhängigen Buchladen, einen Bauernmarkt mit Obst und Gemüse, und wir können mit der Trambahn hinfahren", sagt Sabatier. Mit der Tram zum Flughafen fahren, das ist in den meisten Großstädten äußerst ungewöhnlich, in den USA zumal.

Studentin Emma Milkin und ihr Tattoo vom Flughafen-Teppich Portland

Schau her, der Flughafenteppich auf meiner Schulter: die Studentin Emma Milkin und ihr Tattoo.

(Foto: oh)

Vor dem Laden "Made in Oregon" ist das neue Muster bereits ausgelegt. Es wirkt unruhiger, auf grünem Untergrund sind kleine Punkte und viele Bögen in Violett, Gelb und Rot. Jeremy Dunn sagt, er mag das Design nicht, er bezweifelt, dass er entsprechende Socken produzieren lässt. Und auch Emma Milkin spürt nichts, wenn sie das neue Muster betrachtet.

Aber, immerhin, es gibt noch Hoffnung für die Milkins und Dunns von Portland: Wer dem Flughafenbetreiber gute Vorschläge einreicht, wie der Teppich der Öffentlichkeit präsentiert werden könnte, soll einige Meter davon erhalten.

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