Pornomesse "Venus":Land des Hechelns

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Bei der Leistungsschau der Lustbranche feiern Hardcorefans die Porno-Oscars, andere glotzen, bis die Augen trocknen und produzieren mit ihren Digicams terrabyteweise Beweismaterial. Ein Messebesuch.

Titus Arnu

Am Anfang raten einem zwei Frauen, die sich als Kondome verkleidet haben, man solle "immer schön aufpassen". Das ist nett gemeint. Denn um die Ecke öffnen sich Abgründe.

Die Erotikmesse "Venus": Prüfende Blicke, nur aus informativen Gründen, versteht sich. (Foto: Foto: dpa)

In den Hallen der Berliner Messe ist ein Pornorama der unglaublichsten Produkte zu besichtigen. Ein Intimschmuckhersteller präsentiert einen brillantenbesetzten Penisring für 2600 Euro.

Es gibt Ledersessel in Phallusform, vibrierende Badeschwämme und die maßstabsgetreue Nachbildung eines Straßenpollers aus schwarzem Hartgummi zu kaufen.

Die Filmreihe "Great Grannys" dokumentiert die Freizeit von Seniorinnen auf drastische Weise. Ganz zu schweigen vom Produkt "Little Piggies" - gefühlsechte Füße aus Latex für 25 Euro das Paar. Es riecht nach Achselschweiß, Bier, Bockwurst und "Vulva", dem Parfüm mit dem "naturidentischen Vaginalduft".

Philosophie des Dildos

Um eine rot lackierte Bühne drängen sich schwitzende Männer, die Kameras, Blitzlichter und Trittleitern mitgebracht haben. Und das, weil sich eine Schwarzhaarige und eine Blonde auf ein Motorrad gesetzt haben.

Die Damen haben wenig an. Und sie tun so, als hätten sie sich sehr, sehr lieb. Die Blonde, Vivian Schmitt, signiert anschließend Poster. Am Vorabend war Frau Schmitt beim Eroticline Award als "Beste Deutsche Darstellerin" ausgezeichnet worden, für ihre überzeugenden Auftritte in Werken wie "Ekstase ohne Ende" oder "Geil ohne Grenzen".

Ächz, stöhn, willkommen im Land des Hechelns, in einer triebfixierten Welt, in der die Frauen immer wollen und die Männer immer können. 20 000 Fans und 6500 Fachbesucher sind zur "Venus" in Berlin geströmt, um bei der größten "Erotikfachmesse" der Welt die Novitäten der Keuch-Kultur zu besichtigen.

Mitten im Publikum: echte Pornostars, die daran zu erkennen sind, dass sie aussehen wie aufgepumpt, die Frauen an den Brüsten, die Männer am Bizeps. Horden von Herren mit Kameras treiben sich herum, bekennende Hardcore-Fans, die sich mit der Darstellerin aus "Exzessives Wochenende" fotografieren lassen und sehr stolz darauf sind.

Bunte Dildoparade. (Foto: Foto: dpa)

Zur Leistungsschau der Lustbranche sind 350 Firmen aus 32 Ländern angereist, mit Sexspielzeug, erstaunlichem Filmmaterial und potenzsteigernden Dopingmitteln im Gepäck.

Der Ausstoß der Industrie ist immens. Mehr als 1000 neue Pornofilme erscheinen in Deutschland pro Monat auf DVD und Video, manche davon dauern sechs Stunden und länger.

20 Milliarden Dollar pro Jahr

Der jährliche Umsatz wird auf mehr als acht Milliarden Dollar allein in den USA geschätzt, in Deutschland liegt er bei etwa 800 Millionen Euro pro Jahr. Weltweit erwirtschaftet die Sexindustrie nach Angaben des Wirtschaftsmagazins The Economist rund 20 Milliarden Dollar im Jahr. Deutschland ist der zweitgrößte Pornomarkt der Welt, nach den USA.

Was für eine Gesellschaft ist das, in der die Menschen so viel finanziellen und zeitlichen Aufwand für die Steigerung der Lust betreiben? Ist es ein Ausdruck großer Liberalität oder ein Zeichen großer Langeweile?

Der Schriftsteller Salman Rushdie hält die Pornografie in westlichen Ländern für ein "Symptom von Dekadenz", in arabischen Ländern hingegen könne sich der Konsum von Sexfilmen per Internet auf subversive Weise zu einer "Ikone der Freiheit" entwickeln, schrieb Rushdie in einem Essay.

In Deutschland ist sexuelle Freiheit längst kein Thema mehr. Sexshops sind aus den Schmuddelecken in die Fußgängerzonen umgezogen. In Frauenzeitschriften werden neue Vibratoren vorgestellt, die aussehen wie Design-Handys.

Fast alle Spielarten der geschlechtlichen Vereinigung werden gefilmt und auf DVD gepresst. "Pornografie ist leichter konsumierbar geworden und billiger zu haben denn je", sagt Axel Schaffrath, Sprecher der Pornomesse.

Pornografie ist in der Tat allgegenwärtig: Im Kino laufen Filme wie "Shortbus", über dessen pornografische Szenen sich kaum noch jemand aufregen mag, an der Berliner Volksbühne wird über die "Philosophie des Dildos" debattiert, Rap-Stars schmücken sich mit einem künstlichen Porno-Image. Alice Schwarzers Anti-Porno-Kampagne, so scheint es, hat ziemlich wenig genützt.

Die Pornofirmen setzen auf Masse statt auf Klasse. "Es kann nicht mehr extremer werden", sagt Jeroen de Kef von der Erotik-Großhandelsfirma Scala, "die Grenzen der Legalität sind längst erreicht."

In Bayern zählen noch deutsche Texte

Für alle Geschmacksrichtungen, die im Rahmen der jeweiligen Landesgesetze bleiben, bietet die Porno-Industrie das passende Produkt an. "Die Leute wollen keinen Normalsex sehen, die Filme sollen härter und extremer sein als das echte Leben", sagt Ben Jansen von der Firma Shots Video.

"Was man nicht hat, will man", sagt Silvana Häusinger, Vertriebschefin der Firma Playhouse. Dicke wünschen sich Dünne, Dünne Dicke, Alte Junge und Junge Alte.

Die Filme haben meist keine Handlung, die Akteure kommen ohne Umschweife zur Sache. Dialoge spielen keine Rolle, nur "in einigen ländlichen Regionen wie zum Beispiel in Südbayern" lege das Publikum noch Wert auf deutsche Texte, sagt Silvana Häusinger.

Eigentlich ist das Pornogeschäft die einzige Branche, in der die Beteiligten froh sind, wenn viel geächzt und gestöhnt wird. Aber manchmal jammern die Pornografen auch über sich und die Welt.

Obwohl für Pornos Milliarden ausgegeben werden, wähnt sich die Sexbranche in der Krise. Ähnlich wie die Musikindustrie leidet die Sexindustrie unter dem Internet. Da sich die Konsumenten fast alles aus dem Netz herunterladen können, was man sich nur vorstellen kann, kaufen immer weniger Leute DVDs.

Gleichzeitig unterbieten sich die Produktionsfirmen nicht nur im Niveau, sondern auch im Preis. Ein Film soll im Handel möglichst nur fünf bis zehn Euro kosten. Produziert wird deshalb so billig wie es geht, vor allem in Osteuropa und in den USA.

Aus finanziellen Gründen verzichten die Produktionsfirmen teilweise schon auf den Kameramann. Der männliche Darsteller, dessen Gesicht sowieso niemand sehen will, filmt sich unerschrocken beim eigenen Körpereinsatz, das spart Personalkosten.

Für Schminke, gute Beleuchtung, passende Musik oder gar eine Art von Erzählidee ist selten Geld da. Aus diesen Gründen wirken die meisten Pornos noch schrottiger, als sie ohnehin schon sind.

Cover wie medizinische Schautafeln

Es gibt zwar auch halbwegs ambitionierte Versuche, aufwendig gemachte Ritterfilme mit blecherner Rahmenhandlung und rustikalen Sexszenen etwa oder "Pornomation", Trickfilme nur für Erwachsene. Aber so etwas verkauft sich schlecht. Die Masse der Filme beschränkt sich lieber auf die plakative Präsentation von Fortpflanzungsorganen.

Die Branche versucht dessen ungeachtet, die Erotikfachmesse als Glamour-Veranstaltung zu inszenieren, mit rotem Teppich, extralangen Limousinen, Autogrammstunden, Scheinwerfern und allem Pipapo.

Der Eroticline-Award gilt als Porno-Oscar, als wichtigste Trophäe des Sexfilms. Bei einer Gala im Hotel Estrel wurden Auszeichnungen für den besten Regisseur, die besten Darsteller, die besten Newcomer und das beste Filmcover vergeben.

Der Preis für die schönste DVD-Hülle erstaunt einen dann doch - die meisten Cover sehen aus wie medizinische Schautafeln aus dem gynäkologischen Fachbereich, manches gehört auch in die Urologie.

Am Ende, nach einem Tag im Pornotaumel, ist man dann nicht physisch und psychisch aufgepeitscht, sondern ziemlich übersättigt und ernüchtert. Immerhin lobenswert, dass sich die Berliner Messegesellschaft auch um die Folgen kümmert, die durch die Sexualisierung der Besucher zu erwarten sind.

Zwei Plakate an der Fassade der Haupthalle der Messe kündigen die kommenden Höhepunkte an: Wo die Sexbranche gerade noch mit geballter Kraft zur Kopulation angeregt hat, finden schon am kommenden Wochenende zeitgleich die Baby- und die Hochzeitsmesse statt.

© SZ vom 24.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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