Pop und Politik:Die Macht der Lieder

Kurdish pop star Helly Luv poses in front of Kurdish Peshmerga troops at a base in Dohuk

Die kurdische Popsängerin Helly Luv posiert vor Peschmerga-Truppen in Dohuk, Irak.

(Foto: REUTERS)
  • Die Musik der kurdischen Sängerin Helly Luv ist zum Soundtrack des Widerstands gegen den Islamischen Staat geworden.
  • Die Sängerin ist umstritten. Sie erhält im Internet Drohungen, auf Arabisch von IS-Sympathisanten im Irak, aber auch auf Kurdisch.
  • Für Helly Luv ist die Musik eine Rückkehr zu ihren Wurzeln. Ihre Familie floh aus dem Irak.

Von Paul-Anton Krüger

Goldene Pumps, olivgrüne Peschmerga-Kluft, die leuchtend rote Mähne und das Gesicht noch wie ein Kämpfer unter der rot-weißen Kuffijeh verborgen: So stellt sich Helly Luv den Panzern des Islamischen Staates (IS) in den Weg, an ihrer Seite sieht man Zivilisten auf der Flucht.

"Stoppt die Gewalt!" steht auf dem Transparent, das die kurdische Sängerin der Terrormiliz in ihrem Video entgegenreckt. Ihr Song "Revolution" ist die neue Hymne der Jugend in den irakischen Kurdengebieten. Sie läuft im Fernsehen, vor allem aber auf den Bildschirmen der Smartphones. Seite Ende Mai gab es auf Youtube mehr als 1,7 Millionen Abrufe.

"Gemeinsam sind wir stark", singt die 26-Jährige auf Englisch, egal welche Religion einer hat - die Welt geeint im Kampf gegen Terror und Gewalt , für Freiheit und Unabhängigkeit - "Azadî", "Serbestî". Immer wieder streut sie im Refrain diese magischen Worte in ihrer Muttersprache ein.

"Alles, was man in dem Video sieht, ist echt"

Gedreht hat sie das Video keine drei Kilometer hinter der Front im Nordirak, wie sie im Abspann erklärt, am Außenposten Khazin. Er liegt auf halbem Weg zwischen Erbil, der Hauptstadt der kurdischen Autonomiegebiete, und Mossul, der Hochburg des Islamischen Staats. "Alles, was man in dem Video sieht, ist echt", sagt Helly Luv.

"Diese Menschen sind wirklich geflohen vor dem Islamischen Staat", manche von ihnen aus Kobanê, der syrischen Stadt an der Grenze zur Türkei, andere sind Jesiden aus Sindschar.

Im Video sind richtige Peschmerga zu sehen, die Panzer und Waffen sind echt. "Ich hätte das Video in Amerika drehen können, doch ich wollte die Realität des Krieges abbilden." Drei Monate haben die Dreharbeiten gedauert, manchmal mussten sie abbrechen, weil es zu gefährlich wurde. Wummern im Song die Schüsse noch im Takt, peitschen durch den Abspann echte Gewehrsalven.

Eine Rückkehr zu den Wurzeln

Panzer, Granaten auf ein kurdisches Dorf, Soldaten beim Sturmangriff - das Ganze mag für westliche Augen ziemlich martialisch daherkommen, pathetisch und demonstrativ patriotisch. In Kurdistan aber treffen Gefechtsszenen und der kämpferische Text den Nerv.

Es ist ein Tribut an die Peschmerga, die ihr Leben im Kampf gegen den Islamischen Staat riskieren. Es geht um die Existenz und die Hoffnung, vielleicht in einem eigenen Staat leben zu können, wenn der Albtraum erst einmal überstanden ist.

Für Helly Luv, 1988 geboren als Helan Abdulla in der iranischen Großstadt Urmia im Dreiländereck zur Türkei und zu Irak, ist es eine Rückkehr zu ihren Wurzeln.

Ihre Familie floh aus dem Irak und wanderte später nach Finnland aus

Helans Mutter war noch Kämpferin in einem der Frauenverbände der Kurden gewesen. Die Familie floh während des zweiten Golfkriegs 1990 vor Saddam Hussein aus dem Irak in die Türkei. Nach neun Monaten im Flüchtlingslager können sie nach Finnland auswandern, wo sie eingebürgert werden. Es ist ein neues Leben, fern der Heimat, weit weg von Krieg und Verfolgung.

Während der Schulzeit fängt Helan an, sich für die Musik zu interessieren, sie nimmt Gesangsstunden und wird Mitglied in einem Chor. Sie beginnt auch zu tanzen, modelt, nimmt Schauspielunterricht. Ein Leben als Star, das wird ihr Traum. Mit achtzehn kratzt sie all ihre Ersparnisse zusammen und zieht nach Los Angeles, um eine Pop-Karriere zu starten.

Aus Helan Abdulla wird Helly Luv

Sie lädt selbstproduzierte Videos ins Internet hoch, auf Myspace und Youtube, und hofft, unter Tausenden anderen entdeckt zu werden. Als sie kurz davor ist, nach Finnland zurückzukehren, schickt ihr R&B-Produzent Los Da Mystro, mit bürgerlichem Namen Carlos McKinney, eine Nachricht mit seiner Telefonnummer. Es ist ihre eine, ihre letzte Chance.

Sie ruft ihn an und macht, was sie am besten kann: Sie singt für ihn. Am nächsten Tag sitzt sie im Flieger nach New York, um bei ihm ihren ersten Künstlervertrag zu unterschreiben. Aus Helan Abdulla wird Helly Luv.

Latino-Klänge verschmelzen in ihren Songs mit orientalischen Rhythmen, arrangiert nach den eingängigen Strickmustern der globalisierten Musikindustrie. Ihre Debüt-Single "Risk it all" klettert in Finnland in den iTunes-Charts, doch richtig Furore macht sie damit im Frühjahr 2014 in Kurdistan. Eine Rolle in einem Film eines kurdischen Regisseurs hatte sie erstmals seit ihrer Kindheit dorthin zurückgebracht.

Soundtrack des Widerstands

Sie dreht das Video in Erbil. Schon da spielt sie mit der Ikonografie der Kurden, mit Flagge, Peschmerga-Chic und einem Molotow-Cocktail. Nicht alle sind begeistert, auch einigen Jungen ist der Clip zu freizügig. Sie erhält Drohungen, auf Arabisch von IS-Sympathisanten im Irak, aber auch auf Kurdisch. Es gibt Aufrufe im Internet, sie zu steinigen.

Doch als der IS im Sommer große Teile des Irak aufrollt, wird das Lied zum Soundtrack des Widerstands. "Ich wollte einen Song, der für mein Leben steht - dafür, dass ich alles gegeben habe für meinen Traum, Künstlerin zu werden. Aber es sollte auch für das kurdische Volk sprechen, das seit so langer Zeit für seinen Traum kämpft und bereit ist, alles dafür zu riskieren", sagt sie.

"Meine Waffen sind meine Musik und meine Stimme"

Inzwischen nutzt sie ihre Popularität für politischen Aktivismus: "Ich bin Kurdin, und als der Islamische Staat im vergangenen Jahr die Kurden angriff, wollte ich mich an diesem Krieg beteiligen. Meine Waffen sind meine Musik und meine Stimme." Auf Twitter und in Interviews, etwa mit dem konservativen US-TV-Sender Fox News, appelliert sie an Präsident Obama: "Helfen Sie den Peschmerga mit Waffen. Sie können den IS zerstören."

Sie lässt kaum eine Gelegenheit aus zu betonen, wie beeindruckt sie von deren Stärke und Mut sei. Peschmerga heißt frei übersetzt "die dem Tod ins Auge sehen". Der Islamische Staat sei nicht nur der Feind der Kurden, sagt sie, "die Peschmerga kämpfen für die ganze Welt. Und sie sind erfolgreich, obwohl ihre Waffen schwach sind."

Im Trailer für die neue Single schreibt sie mit rotem Lippenstift "Revolution", auf die messingfarbene Hülse eine Panzergranate, den Titel des Songs. Dann sieht man, wie sie sich, Patronengurt über der Brust, durchs Turmluk des Panzers schwingt, die Granate in den Lauf der Kanone schiebt. Ihre linke Hand drischt auf den Abzug - sie feuert sie in Richtung des Islamischen Staats. Alles in diesem Video ist echt. Auch die Botschaft der Helly Luv.

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