Pop:Ufos, Punk und Ashrams

Nina Hagen wird 50 Jahre alt - und kein bisschen leise.

"Micha, mein Micha" hatte bloß den Farbfilm vergessen. Aber Nina nahm ihm das sehr übel. Ihr erster Hit über leider nur schwarz-weiße Urlaubserinnerungen hatte 1972 die Melodie eines Schlagers, aber einen frechen Text - und wo immer Nina Hagen ihn vortrug, leuchtete bereits ein Fünkchen Wahnsinn in ihren Augen. Provokant, laut und durchgeknallt, nie um eine Grimasse verlegen, avancierte sie später zur "Mother of Punk", sprengte aber auch dieses Klischee und inszenierte sich als Gesamtkunstwerk. Am Freitag feiert die ewig görenhafte Diva mit dem unverwechselbar gerollten "R" in den USA ihren 50. Geburtstag.

Mit dem bürgerlichen Namen Catharina kommt sie am 11. März 1955 zur Welt - gegen 17.00 Uhr, etwa im Kreuzpunkt des 10. Längen-und 54.Breitengrades, also in Ost-Berlin - das ist wichtig für ein exaktes Horoskop. Ihre Eltern, der Drehbuchautor Hans Oliva-Hagen und die populäre Schauspielerin Eva-Maria Hagen, trennen sich, als Nina zwei Jahre alt ist. Wolf Biermann, in der DDR verfemter Liedermacher, wird ihr Ziehvater und bringt ihr früh das Gitarrespielen bei.

Schon als Kind eckt Nina so manches Mal an, wird 1967 "unehrenhaft" aus der DDR-Jugendorganisation FDJ entlassen. In der Schule hält sie es nicht lange aus. 17-jährig fällt sie durch die Eignungsprüfung der staatlichen Schauspielschule, spielt in Polen erstmals mit einer Band, unter anderem Janis-Joplin-Songs. Noch im gleichen Jahr gelingt ihr mit "Du hast den Farbfilm vergessen" der Durchbruch. Als sie dann auch noch zum Film kommt, steigt sie zur Kultfigur der DDR-Jugend auf.

Nach der Ausweisung von "Staatsfeind" Biermann folgt ihm Nina mit ihrer Mutter in den Westen. 1977 gründet sie in Berlin-Kreuzberg die "Nina Hagen Band". Erste Veröffentlichungen wie "TV Glotzer" schlagen im alternativen Millieu der BRD ein wie eine Bombe. Nina Hagen, schreibt der "Spiegel" damals zugleich irritiert und bewundernd, "schmeißt sich in die Musik, aggressiv, direkt, furios, orgelt im schönsten Opern-Alt, flitzt mit Krakeel und Kieksern in gleißenden Sopran-Höhen, sie parodiert, persifliert, kobolzt wie ein Derwisch auf der Bühne". In England und Amerika wird sie schon in einem Atemzug mit Marlene Dietrich genannt, da trennt sie sich von ihrer Band.

Die Punklady sagt sich von ihrer alten Heimat los und versucht ihr Glück in den USA. Ihre erste Solo-LP "Nunsexmonkrock" - eine Mischung aus Funk, Hardrock, Islam, Hexenkult und Ufo-Fantasien - floppt. "Was soll's, ich bin mein eigener Nummer-eins-Hit", sagt die Hagen einmal. Nach mehreren Tourneen wird es Mitte der 80er etwas ruhiger um sie, obwohl sie - mit Irokesenfrisur und grell geschminktem Gesicht - durch kosmische Gottesvisionen und Masturbationsdemonstrationen in Talkshows weiter für schrille Auftritte sorgt.

Zunehmend zieht sie die Spiritualität des fernen Indien in ihren Bann. Oft bereist sie das Land, verbringt viel Zeit in einem Ashram nahe der Grenze zu Tibet, wo sie ihren "göttlichen Lehrmeister" findet. 1999 entsteht die Platte "Om Namah Shivay" mit indischen Liedern. An Hagen als Harmonium leiernde Hindu-Priesterin mit dem "dritten Auge" auf der Stirn muss sich die Fangemeinde erst gewöhnen. Zuletzt wendet sie sich dem Swing zu, spielt das Album "Big Band Explosion" ein.

Ihre leise, liebevolle Seite macht die "Mother of Punk" kaum öffentlich, behält sie ihren zwei Kindern aus Fleisch und Blut vor. 1981 bekommt sie von dem später an Aids verstorbenen Musiker Ferdinand Karmelk Tochter Cosma Shiva, 1990 vom Stylisten Franck Chevalier Sohn Otis. Meist fühlt sich Hagen von sehr jungen Männern angezogen. Von 1996 bis 2000 ist sie mit dem 15 Jahre jüngeren amerikanischen Klempner David Lynn verheiratet. Ihre 2004 geschlossene Ehe mit dem 22 Jahre jüngeren dänischen Musiker "Rocco" Breinholm ist bereits wieder Geschichte.

Die Hagen selbst will noch lange nicht ins Nirwana. In einem Lied für die gerade verstorbene Schauspielerin Brigitte Mira singt sie: "Ick hab nur eene Bitte, ick hoffe, ick werd ooch mal so schön alt!" Ihren 50. feiert das Energiebündel derweil laut und live in der amerikanischen Wahlheimat - mit Konzerten in Portland und Seattle.

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