Polizeiskandal in Wien:Bestechlichkeit, Verrat und Rotlichtmilieu

Die Wiener Polizei wird gleich von mehreren Skandalen erschüttert - es geht um Bestechlichkeit, Verrat und intime Kontakte zur Rotlichtszene.

Michael Frank

Amtsmissbrauch, Bestechlichkeit, Begünstigung, Verrat - Wiens Polizei versinkt in einem Strudel von Anschuldigungen und Gerüchten, von Diffamierungen und Räuberpistolen.

Polizeiskandal in Wien: Die Polizei in Wien wird gerade von mehreren Skandalen erschüttert.

Die Polizei in Wien wird gerade von mehreren Skandalen erschüttert.

(Foto: Foto: ddp)

Der neue Innenminister Österreichs hat öffentlich die Hände gerungen, er habe es satt, jede Woche mit einem neuen Polizeiskandal aus der Hauptstadt konfrontiert zu werden. Der Bürgermeister drückte es sarkastischer aus: ,,Der Bürger fragt sich, wodurch kann ich einen Oberkieberer von einem Gürtelkönig unterscheiden?''

Ein Kieberer ist im Vorstadtjargon ein Kriminaler, und der Gürtel, jene bis zu acht Fahrspuren breite Verkehrsschlucht zwischen weiterer Innenstadt und Außenbezirken, ist die sündigste Meile der Stadt.

Der Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit hat vom Polizeipräsidenten einen offiziellen Bericht angefordert. Vier der namhaftesten Polizeibeamten sind suspendiert. Wiens Revolverblätter suhlen sich in pikanten Details, seriöse Kommentatoren geben dem Vorvorgänger des Innenministers einen saftigen Teil an Mitschuld.

Vielleicht wäre die ganze Sache nicht hochgegangen, hätte es diesen Triumph nicht gegeben: Im Januar des vorigen Jahres fing Wiens Polizei den Dieb der einmaligen "Saliera" des Renaissance-Bildhauers Benvenuto Cellini und reichte das aus dem Kunsthistorischen Museum entwendete einmalige Kunstwerk beinahe unversehrt zurück.

Der aufsehenerregende Raub - der Direktor des Museums ist seltsamerweise immer noch im Amt - war unter Leitung des Chefs der Wiener Kriminalpolizei, dem Hofrat Ernst Geiger, aufgeklärt worden. Der hatte Theorien, so ein aberwitziges Verbrechen könne nur eine internationale Verschwörung zum Hintergrund haben, eine Abfuhr erteilt und einen österreichischen Sicherheitsfachmann als Gelegenheitsdieb präsentiert.

Warnungen vor Razzien im Puff

Nun aber brach im Sicherheitsapparat wilde Eifersucht aus. Anonyme Anschuldigungen, Hofrat Geiger habe einem Puff-Sauna-Besitzer eine anstehende Razzia verraten, warfen den strahlenden Saliera-Fahnder aus der Bahn. Er wurde verurteilt, seine Karriere ist aus.

Als Hintermann dieser Intrige, deren Wahrheitsgehalt angesichts der persönlichen Bekanntschaft Geigers mit dem sündigen Gewerbetreibenden, dessen Etablissement wirklich viel Verkehr hatte - nämlich in Räumlichkeiten direkt unter der Fahrbahndecke der südöstlichen Autobahntangente - irgendwie grau geblieben ist, glaubten Österreichs Medien den Wiener Polizeigeneral Roland Horngacher auszumachen.

Geiger und Horngacher waren führende Protagonisten des Eifersuchtssdramas, das der frühere Innenminister Ernst Strasser mit dem Beschluss herbeigeführt hatte, die beiden Sicherheitscorps Gendarmerie und Polizei zusammenzulegen. Dabei wurden auch Strategie- und operative Abteilungen, Kriminal- und Wachkompetenzen neu geordnet.

Dem schwarzen Innenminister sei daran gelegen gewesen, die durchweg roten Polizeigewaltigen gegeneinander auszuspielen, behaupten giftige Beobachter. Das gelang. Auch Horngacher ist nicht mehr im Amt: Reisegutscheine in Tausenderhöhe einer Bank habe er angenommen, sich ein Luxusauto leihen lassen, im Kokainfall des Sängers Reinhard Fendrich einem Reporter vertrauliche Unterlagen zugänglich gemacht.

Bestechlichkeit, Verrat und Rotlichtmilieu

Der Krach im Polizeiapparat macht die Halbwelt frech: Bordellgeschäftsführer und Berufsschläger - also Leib- und Türwächter des roten Milieus - steuern Einzelheiten bei. Dass für Horngacher und andere Geschenke bis zur goldenen Uhr wohlverpackt bereitgehalten worden seien.

Dass es Sperrlisten gebe, auf denen offenbar bis zu 300 anrüchige Lokalen verzeichnet sind, denen gegen entsprechendes Entgelt an die Sicherheitsbehörden jede Razzia und sonstige Beeinträchtigung erspart bleibt. Die Zuwendungen sollen sich gerüchteweise pro Lokal zwischen 200 und 23 000 Euro monatlich bewegen.

Die Granden der Bordellszene enthüllen bereitwillig, wie im "Nokia-Club" und der weiträumigeren "Familie"die Schutzgelderpressung organisiert wird. Einer berichtet über ständige "Schikanen" der Polizei, die nach dem entgeltlichen Beitritt zur "Familie" sofort enden.

Andere erzählen, Horngacher persönlich sei gelegentlich in voller prunkvoller Generalsuniform und Feldherrnpose aufgetreten. Vertrauliche Gedächtnisprotokolle von Beamtenkollegen bezeugen heute, dass dem General ein cäsarisches Gehabe zu eigen sei und die Neigung, Kollegen mit der Ankündigung zu bedrohen, sie bei Unbotmäßigkeit zu vernichten.

Indessen ist der Chef der Kriminaldirektion 1 in Wien suspendiert. Ein Gruppenleiter der Direktion wurde ebenfalls vom Dienst "befreit", weil der sogar mit einem einschlägigen Schutzgelderpresser und Rotlichtkönig bei einer Gaunerhochzeit mit einer ganzen Rotte ausgewiesener Krimineller posierte, was auf Video dokumentiert ist.

Horngacher selbst bestreitet alle Vorwürfe heftig. Wiens Polizeipräsident hat ihm jedoch signalisiert, wegen der zerrütteten Vertrauensbasis werde seinen Posten nicht wiederbekommen, auch wenn es keine offizielle Anklage gebe.

Dafür aber musste er Waffe und Uniform abgeben und hat Hausverbot im Polizeihauptquartier. Er hatte nämlich per SMS angekündigt, er werde "bis zur letzten Patrone" um seine Rehabilitierung kämpfen. Kollegen, so hieß es offiziell, hätten das als konkrete Drohung genommen.

Wien wäre nicht Wien, wenn in diesem Zusammenhang nicht über gemütliche frühere Tage gejammert würde, in denen die Rotlichtbosse noch gemütliche Originale und volkstümliche Figuren gewesen seien. Und natürlich Österreicher.

Heute sind die übelsten Gesellen Schlägertypen von auswärts: Kontrolliert wird die Szene nach offiziellen Erkenntnissen von Zuhältern aus der Türkei, Serbien, Polen und Bulgarien. 1132 Prostituierte gehen in Wien legal ihrer Tätigkeit nach. Hinzu kommen - geschätzt - 3500 Illegale. Ein großer Prozentsatz gilt als Opfer von Menschenhandel. In Wien gibt es registrierte 200 Bordelle, 90 Rotlichtbars und neun "Sauna"-Betriebe.

Durchaus ernstzunehmende Stimmen halten die Schwächung des Polizeiapparates in Österreichs Hauptstadt für gefährlich: Denn Wien, dessen Rotlichtmilieu seine internen Querelen bislang ohne Mord und Totschlag und im Vergleich zu anderen Großstädten eher still zu regeln wusste, wird ein klassischer Bandenkrieg um Einflusssphären vorausgesagt.

Schuld daran, so Kritiker, sei auch die Tatsache, dass es kein eigenes Rotlichtviertel gebe. Das erschwere die Kontrolle der weithin "wilden" Szene.

Wiens Polizeipräsident Peter Stiedl will der Verunsicherung seiner Beamten mit einer Überarbeitung der Dienstvorschriften namentlich im Rotlichtmilieu begegnen. Ob die Skandalreihe Folgen für das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung hat, ist fraglich: Wien ist trotz allem eine der sichersten Millionenstädte der Welt - und seine Bürger fühlen und goutieren das auch, so die Feststellungen des Kriminalpsychologischen Instituts.

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