Polizeiskandal in Hannover:Zentralrat der Muslime fordert Entschädigung für misshandelte Flüchtlinge

Wache Bundespolizei-Inspektion Hannover

In der Wache der Bundespolizeiinspektion Hannover soll es zu den Übergriffen gekommen sein.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)
  • Nach der mutmaßlichen Misshandlung von Flüchtlingen in Hannover hat der Zentralrat der Muslime Konsequenzen gefordert.
  • Ein Bundespolizist, der im vergangenen Jahr in einer Dienststelle zwei Flüchtlinge misshandelt und die Taten mit dem Handy aufgezeichnet haben soll, ist schon früher auffällig geworden.
  • Die mutmaßlichen Opfer aus Marokko und Afghanistan konnten bislang noch nicht vernommen werden.

Zentralrat der Muslime fordert Entschädigung

Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) hat Bundespolizeipräsident Dieter Romann aufgefordert, hart durchzugreifen. ZMD-Vorsitzender Aiman Mazyek sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung, Romann müsse sich bei den Opfern entschuldigen und sie entschädigen. "Ich bin sicher, die Mehrheit der Polizeibeamten zeigt sich solidarisch mit den Flüchtlingen in Deutschland und ist gegen eine Kultur des Schweigens", sagte Mazyek Die Misshandlung der Flüchtlinge durch einen Bundespolizisten verurteilte er als "menschenverachtend". Der beschuldigte Beamte soll im vergangenen Jahr zwei Flüchtlinge aus Marokko und Afghanistan gedemütigt und geschlagen und damit in Kurznachrichten geprahlt haben.

Einzelne schwarze Schafe

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, sprach in der Passauer Neuen Presse von einem "Einzelfall". Die Bundespolizei arbeite gerade im Umgang mit Flüchtlingen ganz hervorragend und zeichne sich durch ein hohes Maß an interkultureller Kompetenz aus. Allerdings brauche die Polizei mehr Raum und Personal, um gerade Konfliktsituationen in Gesprächen lösen zu können. "Es geht hier nicht um ein strukturelles Problem der Polizei, sondern um einzelne schwarze Schafe", sagte Wendt.

Opfer noch nicht vernommen

Die beiden Flüchtlinge, die misshandelt worden sein sollen, konnte noch nicht vernommen werden. Das teilte Oberstaatsanwalt Thomas Klinge mit. "Wir haben sie leider noch nicht unter der uns bekannten Adresse antreffen können und sind weiter auf der Suche." Die Behörde gehe aber weiter davon aus, dass sich die Männer aus Marokko und Afghanistan noch in Deutschland aufhalten.

Drohungen mit geladener Dienstwaffe

Der Bundespolizist, dem vorgeworfen wird, die beiden Flüchtlinge in der Wache am Hauptbahnhof in Hannover misshandelt zu haben, ist wohl schon früher auffällig geworden. Einem Bericht des NDR zufolge soll der 39-Jährige im Sommer 2013 in einem Aufenthaltsraum seine Dienstwaffe gezogen und einem Kollegen an die Schläfe gehalten haben. Zugleich forderte er ihn demnach zu sexuellen Handlungen auf. Fünf weitere Beamte sollen den Vorfall mitbekommen haben. Der Sender beruft sich auf einen Insider, der anonym bleiben will.

Eingeordnet werden muss der Zwischenfall wohl in das auf der Dienststelle übliche Verhalten. Einem weiteren Insider zufolge sollen die Waffenvorschriften nämlich eher locker gehandhabt worden sein, berichtet der NDR. Es habe demnach häufiger Fälle gegeben, in denen jemand seine Waffe auf Kollegen gerichtet habe.

Wie ein derartiges Verhalten über einen längeren Zeitraum ungeahndet bleiben konnte, muss nun untersucht werden. Der NDR zitiert einen Polizeiwissenschaftler, der von einem Klima des Schweigens und der Angst ausgeht, das möglicherweise verhinderte, dass Vorfälle an Vorgesetzte gemeldet wurden.

Misshandlung zweier Flüchtlinge

Erst am Montag war bekannt geworden, dass der Bundespolizist in der Wache am Hauptbahnhof die gefesselten Flüchtlinge misshandelt und erniedrigt haben soll. Am 9. März 2014 hatten die Beamten einen 19-jährigen Flüchtling aus Afghanistan wegen kleinerer Verstöße mit auf die Wache genommen. In der Zelle soll der Afghane dann von dem Beamten gewürgt und an seinen Fußfesseln durch die Wache geschleift worden sein.

Später soll der Polizist auf Whatsapp auch Fotos der Misshandlungen gezeigt und damit geprahlt haben: "Hab den weggeschlagen. Nen Afghanen. Mit Einreiseverbot. Hab dem meine Finger in die Nase gesteckt. Und gewürgt. War witzig. Und an den Fußfesseln durch die Wache geschliffen. Das war so schön. Gequikt wie ein Schwein. Das war ein Geschenk von Allah."

Ein halbes Jahr später soll dem Polizisten dann ein 19-jähriger Marokkaner zum Opfer gefallen sein. Der Mann war laut NDR zuvor ohne Fahrkarte aufgegriffen worden. Auch in diesem Fall soll der Beschuldigte seine Taten mit dem Handy dokumentiert haben.

Staatsanwaltschaft ermittelt

Wegen des Verdachts der Körperverletzung und des Verstoßes gegen das Waffengesetz hat sich die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Ob es darüber hinaus noch weitere Verdachtsfälle oder andere mutmaßliche Täter gibt, ist offen. "Wir prüfen natürlich, ob auch andere Beamte was davon gewusst oder gar mitgewirkt haben", sagte der zuständige Oberstaatsanwalt.

Anlass für die Ermittlungen war eine Anzeige von zwei Personen, deren Identität die Staatsanwaltschaft nicht bekanntgeben will. Der Behördensprecher betonte, die Beweise hätten ein sofortiges Handeln erforderlich gemacht. Laut Strafgesetzbuch drohen für Körperverletzung im Amt bis zu fünf Jahre Haft. In den kommenden Tagen werden nach Angaben der Staatsanwaltschaft nun die Zeugen befragt, die die Hinweise gaben. Zudem soll auch versucht werden, die beiden Opfer ausfindig zu machen, die sich ihrer Anschrift nach noch in Deutschland befinden.

Demonstration gegen Polizeigewalt in Hannover

Nach den Vorwürfen sind in Hannover etwa 300 Demonstranten auf die Straße gegangen. Bei den Protesten wurden zwei Polizisten leicht verletzt. Einige Demonstranten der linken Szene hätten die Polizisten bei der Kundgebung am Montagabend beleidigt, bespuckt und getreten, teilte die Polizei am Dienstagmorgen mit. Die Situation sei eskaliert, als Bundespolizisten den 22 Landespolizisten bei der spontanen Demonstration am Hauptbahnhof zur Verstärkung eilten.

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