Polizeigewalt in den USA:Wie sich die Polizei kontrollieren ließe

Polizist mit Körperkamera

US-Polizist mit Körperkamera

(Foto: dpa)
  • Nicht nur die Familie des in South Carolina von einem Polizisten getöteten Walter Scott fragt sich: Was wäre passiert, wenn es kein Video von dem Vorfall gäbe?
  • Der Bürgermeister der Stadt North Charleston will nach dem Vorfall jetzt Körperkameras für alle Polizisten einführen. Doch viele Fragen, die den Einsatz der kleinen Geräte betreffen, sind noch ungeklärt.

Von Oliver Klasen und Julia Rathcke

Der 10. Januar 2015 wird in die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika eingehen als der bisher einzige Tag in diesem Jahr, an dem in den USA kein Mensch von einem Polizisten getötet wurde. Es ist eine schockierende Aufstellung, die Bürgerrechtler in einem Blog veröffentlicht haben. Aktivisten haben sämtliche Fälle geprüft und dokumentiert, inklusive Links zu entsprechenden Medienberichten. 306 Namen finden sich - Stand heute - auf der Liste.

Für den 4. April steht dort auch: "Walter Scott, 50, SC", das bezieht sich auf jenen 50-jährigen Afroamerikaner, der am Samstag in der Stadt North Charleston im Bundesstaat South Carolina von einem Polizisten getötet wurde.

Der Fall hat international Aufsehen erregt. Weil der flüchtende, offensichtlich nicht bewaffnete Mann hinterrücks erschossen wurde. Weil es, genau wie im vergangenen Sommer in Ferguson, wieder ein weißer Polizist und ein schwarzes Opfer war. Und vor allem, weil es ein Video gibt, das zeigt, wie Scott stirbt.

Wäre Feidin Santana nicht zufällig an der Stelle gewesen, wo am vergangenen Samstagmorgen gegen 9.30 Uhr in North Charleston eine zunächst harmlose Verkehrskontrolle mit dem Tod eines Menschen endete, es gäbe nur eine Version des Geschehens: die der Polizei.

Santana, 23, war gerade auf dem Weg zur Arbeit, als er die offensichtlich miteinander rangelnden Männer bemerkte und instinktiv seine Handykamera zückte. Dank eines Passanten gibt es also eine zweite Version der Ergebnisse und sie belegt, dass die Version des Polizisten, der von Notwehr sprach und davon, dass er seinen Elektroschocker abgenommen bekam und um sein Leben fürchtete, nicht stimmen kann. "Der Polizist hatte die Lage unter Kontrolle und Scott versuchte nur, sich des Elektroschockers zu entziehen", sagte Santana in einem Interview mit dem Sender NBC am Mittwoch. Das Video setzt dann ein, als Scott vor dem Polizisten davonrennt.

Kurz daran gedacht, das Video zu löschen

Ihm sei gleich klar gewesen, welch wichtiges Material er besitze, sagte Santana. Er habe aber aus Angst kurz darüber nachgedacht, "das Video zu löschen und North Charleston zu verlassen". Doch dann habe er sich an Scotts Angehörige gewandt und das Video den Medien zugespielt.

Die Verwaltung in der Stadt hat dann - anders als im Fall Michael Brown in Ferguson - schnell reagiert. North Charlestons Bürgermeister Keith Summey teilte mit, dass der Polizist sofort entlassen worden sei und jetzt wegen Mordes angeklagt werde.

Doch was wäre passiert, wenn es Santanas Video nicht gäbe? Das fragen sich nicht nur Scotts Familie, sondern auch viele Bürgerrechtler und Polizeikritiker in den USA. Muss man sich jetzt darauf verlassen, dass jedes Mal ein zufällig anwesender Augenzeuge mit dem Smartphone mitschneidet?

Immerhin: Die technische Möglichkeit gäbe es. Zahlen aus dem vergangenen Jahr zeigen, dass mehr als 70 Prozent der US-Bürger über ein Smartphone verfügen. Tendenz: klar steigend. Bei den jüngeren Bevölkerungsschichten ist der Anteil sogar noch höher. Und: Anders als Polizisten das Bürgerrechtlern zufolge gegenüber Passanten oft behaupten, ist das Mitschneiden der Einsätze völlig legal.

Viele Bürger wissen nicht, dass sie Polizisten filmen dürfen

Rechtsexperten sehen diese Praxis sogar durch die amerikanische Verfassung gedeckt: "Menschen, die in der Öffentlichkeit fotografieren und filmen, sind durch den ersten Zusatzartikel [der die Presse- und Meinungsfreiheit enthält, Anm.d.Red.] geschützt", sagte Mickey Osterreicher, ein für die nationale Vereinigung der Pressefotografen tätiger Anwalt der Huffington Post. So lange man den Einsatz nicht gefährde, dürfe man Polizisten jederzeit filmen. Eine Regelung, die, einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes aus dem Jahr 2012 zufolge, ähnlich auch in Deutschland gilt.

Das Police Department in New York habe seine Beamten im Dezember noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, heißt es bei der Huffington Post weiter. Kurz zuvor war der Fall Eric Garner publik geworden, der starb, weil ein Polizist ihn zu lange im Würgegriff hielt. Auch diese Tat ist durch ein Handyvideo dokumentiert und der Zeuge, der die Aufnahmen gemacht hat, bekam einige Zeit später Ärger mit der Polizei, angeblich wegen anderer Straftaten.

Auch vielen Bürgern in den USA, so sagen Experten, ist die Rechtslage nicht bekannt. Nur in den Bundesstaaten Illionois und Massachussets seien Regelungen in Kraft gewesen, die das Filmen von Polizisten explizit verboten hätten, heißt es in einem Artikel des Bürgerrechte-Blogs reason.com aus dem Jahr 2012. Allerdings ist zweifelhaft, ob diese Gesetze verfassungsgemäß sind, inzwischen beschäftigt sich auch der Supreme Court - das höchste Gericht in den USA - mit der Thematik. Bürgerrechtler empfehlen, Polizisten immer offen und nicht im Geheimen zu filmen und notfalls auch bereit zu sein, sich festnehmen zu lassen und sein Recht später einzuklagen.

Körperkameras für North Charleston

Doch es kann nicht damit getan sein kann, die Aufnahmen von Passanten als Beweismittel heranzuziehen. Als eine der wichtigsten Maßnahmen, um Polizisten von einem vorschnellen Gebrauch der Waffe abzuhalten, gelten Körperkameras, die an der Uniform angebracht sind.

Sie könnten auch das in Städten wie Ferguson oder North Charleston verlorengegangene Vertrauen in die Polizei wieder herstellen. Wenn Einsätze aufgezeichnet würden, bräuchte niemand mehr Angst vor der Polizei zu haben, so zumindest die Hoffnung.

North Charlestons Bürgermeister Keith Summey will die Körperkameras jetzt einführen. Etwa 100 Geräte sind, wie die New York Times schreibt, bereits vor dem Vorfall für die städtische Polizei geordert, jedoch bisher nicht eingesetzt worden. Jetzt sollen noch einmal 150 Kameras hinzukommen, so dass künftig jeder Beamte versorgt ist. "Ich glaube nicht, dass der Polizist so agiert hätte, wenn er eine Body-Cam bei sich getragen hätte", sagt Marlon E. Kimpson, Abgeordneter im Senat des Staates South Carolina.

Versuche mit Bodycams auch in Deutschland

Zahlreiche Polizeieinheiten in den USA haben inzwischen Körperkameras gekauft. Sie profitieren von einem Programm, dass Barack Obama im Dezember aufgelegt hat. 75 Millionen Dollar (etwa 68 Millionen Euro) hat der US-Präsident den Bundesstaaten und Kommunen zugesichert, um die Anschaffung von 50.000 Geräten zu fördern.

Allerdings sind etliche Fragen beim Einsatz der neuen Technik noch nicht beantwortet: Bei welchen Einsätzen müssen Polizisten die Kameras einschalten? Was passiert, wenn ein Beamter das vergisst? Dürfen die Polizisten die Aufnahmen anschließend ansehen? Und wie lässt sich verhindern, dass die Videos manipuliert werden?

Auch in Deutschland gibt es Modellversuche mit Körperkameras, beispielsweise in Frankfurt oder in München. Allerdings sind auch hier viele rechtliche Fragen noch ungeklärt. Datenschützer sehen die neuen Geräte kritisch.

Am Ende werden Kameras - ob in der Hand eines Passanten oder befestigt an der Montur eines Polizisten - immer nur die Aufgabe erfüllen können, für die sie geschaffen sind: dokumentieren und Beweise sichern. Einen unbegründet sich in Todesangst wähnenden, schlecht ausgebildeten oder von rassistischen Vorurteilen beeinflussten Polizisten können sie nicht von einer Kurzschlussreaktion abhalten.

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