Polizei:Versetzung? Aussichtslos!

Drogenkriminalität am Münchner Hauptbahnhof, 2016

98 bayerische Polizisten wollen derzeit in ein anders Bundesland - Beamte am Münchner Hauptbahnhof.

(Foto: Florian Peljak)
  • Mehrere Hundert Polizisten beantragen jedes Jahr die Versetzung in ein anderes Bundesland.
  • Ein Wechsel ist aber nur möglich, wenn die Beamten einen Tauschpartner im entsprechenden Zielort finden.
  • Viele Polizisten haben jedoch von vornherein keine Aussicht auf einen Wechsel.

Von Katharina Kutsche

Am Anfang stand die Liebe. Claudia Petersen verliebt sich, sie führt eine Fernbeziehung. 500 Kilometer fährt sie jeden Freitag, jeden Sonntag. Petersen ist Polizeibeamtin im Westen Deutschlands, ihr Freund lebt in einem anderen Bundesland. Beide sind glücklich miteinander, sie wollen eine gemeinsame Zukunft aufbauen. Sie beschließt, ihre Versetzung zu beantragen. Das war 2011. Jetzt, sechs Jahre später, steht Petersen, 49, vor der Frühpensionierung. Versetzt ist sie immer noch nicht.

Jedes Jahr stellen die 16 Bundesländer Tausende Nachwuchspolizisten ein. Wer seine Ausbildung beginnt, lernt eines früh: Polizei ist Ländersache. Die Dienststelle wechseln? Das geht, aber nur innerhalb der Landesgrenze. Wer weiter weg ziehen möchte, setzt eine Prozedur in Gang, die frustrieren kann und wenig Erfolg verspricht. Der Einzelne und seine persönliche Lage spielen nur bedingt eine Rolle.

Jährlich beantragen mehrere Hundert Polizisten die Versetzung in ein anderes Bundesland, rund tausend interessieren sich dafür. Ihre Gründe sind vielfältig: Die Eltern werden pflegebedürftig, der Partner ist versetzt, das Heimweh schmerzt. Doch während Politiker diskutieren, wie die Polizei länderübergreifend besser arbeiten, wie sie Daten bundesweit austauschen und international agierende Kriminelle verfolgen kann, sitzen ihre Landesbeamten in einer Art goldenem Käfig - wohlversorgt, aber unflexibel, dem Föderalismus sei Dank. Davon sind nicht nur Polizisten betroffen, das trifft auch Lehrer und Beamte aus Justiz, Zoll, Verwaltung. Lehrer dürfen sich immerhin über die Ländergrenzen hinweg auf offene Stellen bewerben und so den Austausch umgehen. Polizeibeamte haben diese Chance nicht.

Eine Internet-Tauschbörse wird von manchen auch als Dating-Plattform genutzt

Claudia Petersen, die anders heißt, ist zunächst zuversichtlich. Ihr Antrag landet im Innenministerium. Dort, so haben es die Länder vereinbart, werden die Landeswechsel koordiniert. Wer in ein anderes Land wechseln möchte oder von der Bundes- zur Landespolizei, muss mit einem Beamten tauschen, der möglichst den gleichen Dienstgrad hat. Dieses Pendant muss Petersen selbst suchen. Auf die Warteliste des Ministeriums allein ist kein Verlass.

Petersen trägt sich in eine Internet-Tauschbörse für Polizisten ein: Ein Kommissar aus Sachsen möchte nach Bayern, eine Kommissarin vom Saarland nach Thüringen. Doch die vielen Einträge sind nicht alle ernst zu nehmen, einige sondieren die Lage, andere nutzen das Portal als Dating-Plattform. Petersen nimmt Kontakt zu ihrer Wunschbehörde auf, um sich vorzustellen. Das Interesse ist gering. "Ich war jemand auf dem Papier, ein Phantom", sagt Petersen, "man hatte kein Gesicht zu mir."

Mehr als zwei Jahre nach dem Antrag wird sie fündig. Ein Beamter der Bundespolizei möchte in ihr Land wechseln, eine weitere Kollegin aus Petersens Zielland zur Bundespolizei: ein Ringtausch. Petersen macht Pläne. Vier Monate später bekommt sie "einen Dreizeiler" von der Bundespolizei, die einen Tausch ablehnt. Die Gründe erfährt sie nicht. "Das war eine Zeit, in der mein Selbstbewusstsein in den Keller ging. Ich konnte nicht verstehen, dass ich nicht einfach woanders arbeiten kann."

Die Polizei bildet ihr Personal selbst aus. Für jeden Beamten ist eine Planstelle vorhanden. Würde jemand ohne Tauschpartner das Land wechseln, bliebe die Planstelle unbesetzt. Die Gewerkschaft der Polizei versuche, die Kollegen auf dem Weg zu unterstützen, sagt Arnold Plickert, Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen (NRW). Doch das Eins-zu-eins-Tauschverfahren hält er für richtig: "Wenn wir über Personalmangel klagen, können wir nicht einfach Personal abgeben."

Aus NRW möchten derzeit 96 Beamte versetzt werden, rund ein Drittel hat einen Tauschpartner und gute Chancen. In Hamburg warten 52, in Bayern hoffen 98 Beamte auf einen Landeswechsel, davon 17 mit Tauschpartner. Viele Polizisten haben jedoch von vornherein keine Aussicht auf einen Wechsel. NRW etwa bildet seinen Nachwuchs im Bachelorstudium aus, Einstiegsamt Polizeikommissar. Bayern dagegen stellt auch Beamte mit mittlerer Reife ein, Einstiegsamt Polizeimeister. Für sie kann es in manchen Ländern schon formal keine Tauschpartner geben.

Die Polizistin hätte sogar eine De-facto-Degradierung in Kauf genommen

Claudia Petersen müsste in ihrem Wunschland eine De-facto-Degradierung von der Haupt- zur Oberkommissarin akzeptieren. "Das wäre für mich okay gewesen." Doch durch die ständige Belastung, das Pendeln, das Hoffen, wird Petersen krank. Dass ihre bisherigen Erfolge keine Rolle in dem Verfahren spielen, zehrt an ihr. Die Abschiede am Wochenende belasten sie, ihren Freund, ihren Stiefsohn. Ihre Ärztin diagnostiziert eine Depression, Arbeiten geht nicht mehr.

Das Paar spielt andere Möglichkeiten durch. Er zieht zu ihr? Geht nicht, er wäre zu weit weg von seinem Sohn. Sie bleibt in der Heimat? Das ginge, als Single. Heimarbeit? Hat ihre Dienststelle ermöglicht, hat nicht funktioniert - sagt die Dienststelle.

Petersen, inzwischen verheiratet, versucht, die Telearbeit zu verlängern. Nur alle zwei Wochen am Dienstort, ansonsten arbeiten von daheim. Doch ihre Dienststelle will nicht mehr, Petersen soll wieder jede Woche zum Dienst kommen. Als sie an einem Sonntag im Mai 2016 ins Auto steigt und die 500 Kilometer in die alte Heimat fahren will, bricht sie erneut zusammen. Seitdem ist die Hauptkommissarin, seit 1988 bei der Polizei, krankgeschrieben, eine Frühpensionierung ist wahrscheinlich.

Ob die Depression nur im Stress um den Landeswechsel entstanden ist, kann Petersen nicht sagen. Aber zu wissen, dass sie bei ihrer Familie leben und in ihrem alten Beruf arbeiten könnte, hätte beim Gesundwerden geholfen. Dabei hatte es während Petersens erster Krankheitsphase einen möglichen Tauschpartner gegeben. Formal sah es gut aus, nur noch eine letzte Hürde war zu nehmen: die polizeiärztliche Untersuchung. Schließlich möchte keine Polizeibehörde, dass ihr ein Dauerkranker untergeschoben wird. Kurz vor dem Ziel, als das Warten und Pendeln, das sie krank gemacht hat, ein Ende haben soll, scheitert Petersen genau daran. An zu vielen Krankheitstagen.

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