Polizei fahndet nach Verdächtigem:Bilder eines Phantoms

Spezialisten des BKA versuchen neue Methoden im Kampf gegen Kinderpornographie im Internet. Zur weltweiten Fahndung rekonstruieren sie das stark bearbeitete Foto eines mutmaßlichen Täters.

Titus Arnu

Die Fahndung nach Kinderschändern ist wie die Jagd nach Phantomen. Die Gesuchten setzen alles daran, ihre Identität zu verschleiern - sie geben sich, wenn überhaupt, unter Pseudonym zu erkennen, verheimlichen ihr Alter und ihre Adresse. Und wenn sie Fotos von sich ins Internet stellen, machen sie alles unkenntlich, was Rückschlüsse auf ihre Person zulassen würde. Es sind Gestalten ohne Gesicht und ohne besondere Merkmale.

Nun haben Interpol und BKA erstmals Fotos veröffentlicht, die das Gesicht eines mutmaßlichen Internet-Sextäters zeigen. Auf den stark bearbeiteten Bildern ist ein Mann mit braunen Haaren zu sehen, vielleicht Anfang bis Mitte 30, mal mit Brille, mal ohne, mal lächelnd, mal mit neutralem Gesichtsausdruck.

Der mutmaßliche Sextäter, der laut BKA aus Europa oder Nordamerika stammen könnte, wähnte sich in der Anonymität, weil er die Bilder vorher unkenntlich gemacht hatte. Sein Gesicht war mit Hilfe einer Fotosoftware zu einem Farbstrudel verzerrt. Bildverarbeitungs-Experten des Bundeskriminalamts (BKA) haben das Gesicht am Computerbildschirm rekonstruiert und daraus Phantombilder gebastelt. Wie dieses Verfahren technisch funktioniert, will das BKA "aus ermittlungstaktischen Gründen" nicht genau erläutern.

Aus dem Farbstrudel rekonstruiert

Seit 2004 suchen BKA- und Interpol-Fahnder nach dem Verdächtigen, dessen Bilder in Sexforen kursieren. Auf den 200 Aufnahmen des nun enttarnten Mannes ist er zusammen mit zwölf Jungen im Alter zwischen sechs und zehn Jahren zu sehen. Die Originalfotos stammen aus den Jahren 2002 und 2003, sie seien vermutlich in Vietnam und Kambodscha aufgenommen worden, teilt das BKA mit. Interpol geht davon aus, dass der Täter immer noch durch die Welt reist, auf der Suche nach minderjährigen Opfern. Unter dem Codenamen "Vico" fahnden die Ermittler weiter - und hoffen nun auf Hinweise aus der Bevölkerung.

Dass die Strafverfolgungsbehörden das Foto eines gesuchten Kinderschänders veröffentlichen, ist neu. Normalerweise arbeiten die Fahnder im Verborgenen und geben nur spektakuläre Erfolge bekannt wie etwa im August, als dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg ein Fahndungserfolg gegen 5000 Nutzer von Kinderpornografie gelang. Eine Expertengruppe des LKA hatte die Verbindungsdaten von einer Million Internetanschlüssen ausgewertet.

Die Suche nach den Pädokriminellen im Internet ist eine aufwendige und komplizierte Angelegenheit, weil es sich um eine schier unüberschaubare und sich ständig verändernde Materie handelt. Weltweit stehen nach Angaben von Interpol-Generalsekretär Ronald Noble Pornofotos von 10.000 bis 20.000 Kindern im Internet, Tendenz steigend. Insgesamt seien 500.000 Pornofotos von Kindern im Internet frei zugänglich, schätzt Jean-Francois Cossé, Leiter der Abteilung für "Verbrechen gegen Personen und Sachbesitz" der französischen Polizei.

Die Organisation jugendschutz.net, die gegen Kinderpornografie im Netz kämpft, hat im vergangenen Jahr Maßnahmen gegen 2625 Internet-Angebote mit pornografischen, rechtsextremen oder gewaltverherrlichenden Inhalten eingeleitet. Die Jugendschutzorganisation schaltete in 341 Fällen das BKA ein, um zu erreichen, dass ausländische Angebote gesperrt oder Betreibern die Plattform entzogen wird.

Erfolgversprechend scheint die Kooperation mit den Host-Providern zu sein, die den Speicherplatz im Internet zur Verfügung stellen, aber die Inhalte nicht kontrollieren können. In 78 Prozent der Fälle entfernten die Provider unzulässige Inhalte von ihren Servern. Zudem betreibt jugendschutz.net Aufklärung, um Kinder und Jugendliche vor sexuellem Missbrauch zu schützen.

Im Fokus der Jugendschützer: Chat-Foren

Besonderes Augenmerk widmen die Jugendschützer Chat-Foren. Etwa 25 Prozent aller jugendlichen Internetnutzer besuchen laut einer Studie des Medienpädagogischen Forschungsinstituts Südwest täglich oder mehrmals in der Woche Chatrooms. Solche Teenie-Chats sind bei Pädophilen beliebt, weil sie hoffen, sich dort unter Vorspiegelung einer falschen Identität an ihre Opfer heranmachen zu können.

Doch die vermeintliche Anonymität im Internet, hinter der sich die Täter verstecken wollen, ist gar nicht so wasserdicht. Oft ist es relativ einfach, die sogenannte IP-Adresse herauszufinden, eine Art Identitätsnummer des Computers. Und wie sich nun gezeigt hat, lassen sich auch Gesichter auf grob verfremdeten Fotos demaskieren.

Ohne die Mithilfe der Öffentlichkeit werde der gesuchte Mann weiter junge Kinder vergewaltigen und sexuell missbrauchen, befürchtet Interpol-Generalsekretär Ronald Noble. "Wir haben alles Mögliche versucht, um ihn zu identifizieren und vor Gericht zu bringen", sagt Noble.

Deshalb ruft die internationale Polizeiorganisation erstmals weltweit die Öffentlichkeit zur Mithilfe auf. Interpol bitte alle Personen, die den Mann erkennen oder andere nützliche Hinweise haben, die Polizei oder ein Interpol-Büro in ihrem Land zu benachrichtigen. Von eigenmächtigen Interventionen wird dringend abgeraten.

(Fahndungsfotos unter: www.interpol.int)

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: