Politik:"Ich bin wieder da"

Henriette Reker tritt Dienst an

Im Rathaus: Henriette Reker bedankt sich bei allen, die an sie dachten und für sie beteten.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Am 17. Oktober wurde Henriette Reker von einem Rechtsradikalen niedergestochen, tags darauf wählten die Kölner sie zur Oberbürgermeisterin - am Freitag nun hat sie die Amtsgeschäfte aufgenommen.

Von Bernd Dörries, Köln

Neulich, sagt Henriette Reker, sei sie in eine Apotheke gegangen, wo ein recht umfangreicher Mann, den sie nicht kannte, auf sie zustürmte. Fast so wie an jenem Wochenende. Der Fremde umarmte die zierliche Reker, die gerade ihre ersten neuen Schritte machte in der Stadt. Die Apotheker hielten den Atem an, und hatten, sagt Henriette Reker, "wohl mehr Angst als ich".

Wenn ein neues Stadtoberhaupt eingeführt wird, dann geschieht dies üblicherweise im Rat der Stadt, es werden Reden gehalten, Schwüre abgelegt und die Amtskette wird umgehängt. "Die kann ich noch nicht tragen", sagt Henriette Reker am Freitag in Köln. Sie sitzt nicht im Rathaus, sondern in einem Saal des Museums Ludwig. Es ist ihr erster öffentlicher Auftritt nach dem Messerattentat Mitte Oktober, das sie fast das Leben kostete. Nun tritt die 58-Jährige ihr Amt in Raten an. Am Morgen hat sie sich bei ihren Mitarbeitern vorgestellt, am Abend vergibt sie den Heinrich-Böll-Preis an Herta Müller. Sie wird ein paar Stunden am Tag arbeiten, schauen, wie viel geht. Die Alternative, eine weitere Krankschreibung, wollte sie der Stadt nicht zumuten und auch nicht sich selbst, so erzählt sie es im Museum Ludwig - in einem Raum, in dem die Bilder der Neuen Sachlichkeit hängen und die Werke von Künstlern im Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

"Köln kämpft" steht neben den Bildern, und wenige Meter weiter sitzt Henriette Reker, die von ihrem eigenen Kampf erzählt, von den vergangenen fünf Wochen. Wenn sie an den rechtsradikalen Täter denke, dann auch daran, wie das zusammenpasse, dass ein Mensch lächelnd auf einen anderen zukommt und zusticht. Die offene Mimik, der böse Gedanke.

Von Oskar Lafontaine und Wolfgang Schäuble sagen manche, die Anschläge auf ihr Leben hätten sie härter gemacht. Reker selbst sagt über sich, der Anschlag habe ihr "Bewusstsein für den eigenen Charakter gestärkt". Sie sei letztlich zu einer noch entschiedeneren Version ihrer selbst geworden. "Die Gewalt von außen hat meine Werte und Geschlossenheit noch gefestigt." Manchmal haben ihre Worte etwas Abschließendes an diesem Mittag, manchmal sind noch keine Worte da, um zu beschreiben, was passierte.

Die Gefühle für den Täter? Reker sagt, sie habe als Juristin eine Menge Richter in ihrem Freundeskreis, die raten würden, dass ein Täter-Opfer-Ausgleich eine sinnvolle Sache sei. Später vielleicht, sagt Reker leise. Sie weiß noch alles, was passiert ist an jenem Samstag, als sie einen Tag vor der Oberbürgermeisterwahl auf einem Wochenmarkt stand und plötzlich mit einem Messer angegriffen wurde, die Klinge habe die Luftröhre durchschnitten und die Wirbelsäule verletzt. Früher einmal hat Reker bei einer Berufsgenossenschaft gearbeitet und dort ein paar Medizinkenntnisse aufgeschnappt, das habe ihr nun geholfen. Sie hat den Finger in die Wunde gehalten, die Blutung so gemindert. "Es wurde eine Menge Adrenalin ausgeschüttet, es hat nicht wehgetan."

Im Krankenhaus wurde sie in ein künstliches Koma versetzt, am Donnerstag kam ihr Mann, ein australischer Golfprofi, an ihr Bett und sagte: "Darlingheart, du hast die Wahl gewonnen." So erinnert sich Reker, aber es sei kein besonderer Moment gewesen. "Ich fand das schön, aber nicht spektakulär, ich hatte so viel mit mir selbst zu tun."

Nur eine Amtszeit? Natürlich, sagt sie, denke sie längst darüber hinaus

Draußen in der Stadt fragten sich die Leute, ob Reker überhaupt das Amt antreten werde, drinnen im Krankenhaus lag sie im Bett und war sich sicher: Das mache ich. "Die Wahl annehmen fiel mir leicht, das sage ich ohne Pathos, die Flamme in mir ist größer geworden." Eine Stunde redet die parteilose Reker, immer wieder hustet sie. Das Schlucken fällt ihr schwer, daran arbeite sie gerade. Sie bedankt sich bei denen in Köln, die an sie gedacht und für sie gebetet haben, und bei denen, die Briefe geschrieben haben, bei ihrem Postboten, den sie bisher nicht kannte, der ihr eine Karte schickte. Sie denkt aber auch an jene, die sie nicht gewählt haben, die überwältigende Mehrheit. Bei einer Wahlbeteiligung von 40 Prozent bekam Reker 53 Prozent der Stimmen - also nur die jedes fünften Kölners. Sie könne sich also schlecht hinstellen und sagen, sie sei von allen Kölnern gewählte Oberbürgermeisterin, sagt sie. Aber das sei gleichzeitig Ansporn, den Rest zu überzeugen. Sie will die Stadt zu neuer Blüte führen, sie wieder auf den Platz unter den Großstädten zurückführen, dorthin, "wo sie hingehört". Sie wolle natürlich nicht nur eine Amtszeit amtieren, sondern denke bereits darüber hinaus. Es ist fast ein wenig umheimlich, wie sicher und selbstgewiss Henriette Reker auftritt, so kurz nach der Tat, die alles veränderte. "Ich bin wieder da", sagt sie. "Ich bin von Tag zu Tag mehr da."

Es soll jetzt endlich losgehen. "Wenn man einen so hohen Preis bezahlt hat", sagt sie, "will man auch die Früchte einbringen." Die neue Oberbürgermeisterin wird nun einer Verwaltung vorstehen, bei der bisher in Teilen die Haltung herrschte, dass es egal sei, welches Stadtoberhaupt gerade unter ihr amtiere. Sie wird das Oberhaupt einer Stadt sein, in der sich viele resigniert von der Politik abgewandt haben, von einer Lokalpolitik, die manchmal so agierte, als gehöre ihr die Stadt und nicht den Bürgern. Auch hier will Reker alles anders machen. Das Adrenalin, es scheint immer noch zu fließen in ihrem Körper.

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