Polen:Doch kein Nazi-Zug in Sicht?

Polish Army inspect the alleged area of the Nazi gold train

Souvenirs, inspiriert vom legendären Gold-Zug.

(Foto: Maciej Kulczynski/dpa)

Das Geschäft mit Schoko-Nazi-Zügen und Nazi-Zug-Tassen blüht: Der angebliche Fund eines "Gold-Zuges" versetzt ein polnisches Dorf in Aufregung. Obwohl sich die Zweifel häufen.

Von Florian Hassel, Warschau

Zumindest am Souvenirtisch ist das Gold der Nazis schon gefunden. Gerade 5 Złoty, umgerechnet 1,18 Euro, kostet der "Goldbarren aus dem Panzerzug", der jetzt im niederschlesischen Wałbrzych (Waldenburg) im Angebot ist. Allerdings verbirgt sich unter dem goldglänzenden Bezug nur Schokolade. Neue T-Shirts, Keramik - alles, was mit dem mythischen Zug in Zusammenhang steht, wird den Souvenirhändlern aus den Händen gerissen.

Auch die Herren von Kśiąż (Fürstenstein) sind zufrieden. Unter dem Jahrhunderte alten Schloss trieben die Nazis im Zweiten Weltkrieg mehrere Tunnel samt Eisenbahngleisen in die Hügel - Teil des wohl als weiteres "Führerhauptquartier" gedachten Untergrundkomplexes "Projekt Riese". Jetzt gehört der Besuch der Stollen zu den großen Attraktionen des Schlosses. Schon laden die örtlichen Tourismusförderer zur dreitägigen "Goldtour" ein, komplett mit Essen im Untergrund.

Nicht nur Waldenburg ist im Goldzug-Fieber. Keine zwei Wochen ist es her, dass Piotr Żuchowski, Staatssekretär im Kulturministerium, in Warschau verkündete, er sei zu "99 Prozent sicher", dass es unter Waldenburg einen am Kriegsende versteckten Panzerzug gebe. Dieser sei auf einem Georadarbild zu sehen, den ein Pole und ein Deutscher vorgelegt hätten; außerdem habe ein Deutscher das Versteck auf dem Totenbett verraten. Prompt stürmten Schatzsucher Niederschlesien und die als angeblichen Fundort gehandelte Bahnstrecke von Breslau nach Waldenburg.

Dort, irgendwo zwischen Bahnkilometer 61 und 65, solle der geheimnisvolle Zug tief unter der Erde ruhen - je nach Wunschvorstellung beladen mit geraubten Kunstschätzen, dem verschwundenen Bernsteinzimmer oder mit tonnenweise Gold. "Der Zug kann 36 Milliarden Złoty wert sein!" (umgerechnet 8,5 Milliarden Euro), titelte die Boulevardzeitung Fakt.

"Der Zug ist doch nur eine Ente"

Die Goldzug-Enthusiasten ließen sich auch nicht dadurch irritieren, dass Staatssekretär Żuchowski Redeverbot erhielt und seine Chefin, Kulturministerin Małgorzata Omilanowska, kommentierte, sie schätze Meinungsfreiheit, doch bisher fehlten jegliche Beweise, und bei der ganzen Sache handele es sich "um eine Legende". Auch Nationalbankchef Marek Belka ("Der Zug ist doch nur eine Ente") minderte den Enthusiasmus vor Ort kaum.

Dort tat sich indes weder über noch unter der Erde Entscheidendes. Über der Erde hielten Polizei, Waldhüter und Bahnwärter schatzwütige Touristen davon ab, sich für lebensgefährliche Selfies auf die Bahnstrecke zu stellen - und sperrten das Gebiet links und rechts der Bahnstrecke. Am Freitag vergangener Woche schien Bewegung in die Zug-Suche zu kommen. Im polnischen Fernsehen traten der Waldenburger Bauunternehmer Piotr Koper und der deutsche Genealoge Andreas Richter auf, beide langjährige Hobby-Schatzsucher: Sie hätten den angeblichen Zug entdeckt, mithilfe eines Georadargerätes, hieß es.

Der Zug liege in der Nähe von Bahnkilometer 65 in etwa 50 Meter Tiefe und befinde sich nicht in einem Tunnel, sondern sei verschüttet. Als angeblichen Beweis veröffentlichten Koper und Richter auf einer eigens eingerichteten Website eine Aufnahme, auf der inmitten von schillerndem Blau, Rot und Gelb eine längliche, an einen Zug erinnernde Form in Olivgrün und Gold zu sehen war - "der Goldzug".

Doch Experten meldeten Zweifel an. Das Bild, angeblich entstanden mit einem Georadargerät der Firma KS-Analyse aus dem thüringischen Waltershausen, sei tatsächlich "eine Fotomontage mit zwei Aufnahmen unterschiedlicher Auflösung", urteilte Wieslaw Nawrocki vom Institut für zerstörungsfreie Prüfverfahren in Krakau in der Gazeta Wyborcza. Am Montag traten die selbsternannten Zug-Experten von der angeblichen Sensation zurück: "Die Untersuchung stellt nicht den Zug dar", stand auf einmal neben dem Bild.

"Wie das Ungeheuer von Loch Ness"

Polen hat das Militär damit beauftragt, die Sache aufzuklären. Der Untergrund um Breslau und Waldenburg wurde seit Kriegsende bereits mehrmals erfolglos nach dem angeblichen Zug abgesucht. Bei der neuerlichen Expedition lässt sich die Armee Zeit. Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak erklärte, er wisse "nicht, ob es diesen Zug überhaupt gibt". Am Montag bekam der Minister den Bericht von Armeeexperten, die das Gelände bei Bahnkilometer 65 untersucht haben.

Die Militärs empfahlen erst einmal die "Säuberung des Terrains", um in den kommenden Wochen und Monaten Grund und Boden zu untersuchen - so jedenfalls die von einem Armeesprecher bekannt gegebene Information. Der Minister erklärte, jetzt müsse der Bezirksgouverneur in Niederschlesien weiter entscheiden.

Je länger die Suche dauert, desto länger dürften die Touristen nach Waldenburg strömen. Selbst ein erneuter Fehlschlag dürfte den Mythos nicht beerdigen. Der Goldzug sei "wie das Ungeheuer von Loch Ness", sagt Krzystof Urbański, Direktor der Schlossgesellschaft Fürstenstein. "Niemand hat es je gesehen, aber es wird viel darüber gesprochen."

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