Pokerturnier:Beruf: Zocker

Mit dem erfolgreichsten Pokerprofi Deutschlands bei einem Turnier, bei dem es wie immer um alles oder nichts geht.

Hannah Wilhelm, Bregenz

Es läuft nicht gut. Schon wieder sind beide Karten zu nichts zu gebrauchen, aber auch zu gar nichts. Andreas Krause flucht. Innerlich. Äußerlich schaut er gelangweilt. Der übliche Blick, um als Pokerspieler nichts preiszugeben.

Pokern

Boombranche Pokern: Die Grenze zwischen seriös und halbseiden wird dünn.

(Foto: Foto: dpa)

2000 Euro muss jeder zahlen, der beim Turnier im Casino Bregenz dabei sein will. Die 2000 Euro von Andreas Krause könnten gleich weg sein, denn vor ihm auf dem grünen Filz des Tischs stapelt sich nur noch ein kleiner Haufen Jetons.

Andreas Krause pokert fast jeden Tag. Er ist der One-Million-Dollar-Man. "Da kommt der One-Million-Dollar-Man", haben sich seine Gegenspieler ehrfürchtig zugeraunt, als er sich vor Stunden an den Tisch setzte.

Krause hat als erster Deutscher bei Pokerturnieren mehr als eine Million Dollar gewonnen. Gestern Abend hat er im Casino Bregenz schon 40.000 Euro abgesahnt - für ihn kein Grund zur Euphorie. "Ich brauche das Geld, ich lebe ja davon", sagt er. Krause ist von Beruf Pokerspieler.

Die meisten Mitspieler werfen ihr Blatt hin, steigen aus der aktuellen Runde aus. Auch Andreas Krause ist danach zumute. Er zeigt es aber nicht. Er hebt nochmal die beiden Spielkarten vor ihm ganz leicht. Ein Blick nach unten. Dann legt er wieder bedächtig die Hände über die beiden Karten, wie zum Gebet. Vor ihm steht sein Glücksbringer, ein Porzellan-Engel. Ein Ungetüm mit rosa Kleid und roten Glitzer-Flügeln. Daneben der viel zu kleine Haufen Jetons.

Eine Disziplin für Einzelkämpfer

Krause war schon immer ein Spieler. Schon dem Kind, das mit Freunden um Murmeln zockte, "ging es nicht um den Spaß. Ich wollte die Murmeln haben, sonst nichts", sagt der 40-Jährige mit den fast schulterlangen braunen Haaren. Sein Traum war es, Fußballprofi zu werden.

Doch es reichte nur zu zwei Spielen in der ersten und acht in der zweiten Bundesliga mit den Stuttgarter Kickers. Er sei eben nur ein Durchschnittskicker gewesen, sagt er. Fußball ist keine Disziplin für einen Einzelkämpfer wie ihn.

Andreas Krause begann ein Studium in BWL und Sportwissenschaft, parallel jobbte er für einen Finanzberater. Mit Zahlen umgehen, das kann er. Er optimierte Aktiendepots nach dem System des Nobelpreisträgers Harry Markowitz, doch es langweilte ihn.

2003 wird er krank, entzündet sich die Augen. Draußen genießen die Deutschen den Jahrhundertsommer, essen Eis, werden braun. Krause sitzt in seiner dunklen Wohnung und hat dunkle Gedanken. Er will etwas Anderes tun. Ihm fällt nichts ein. Er beschließt, professionell Poker zu spielen. Und es funktioniert. Poker ist eine Disziplin für Einzelkämpfer wie ihn.

Seit dem vergangenen Jahr macht er nichts anderes mehr als Pokerspielen. Er spielt defensiv, riskiert wenig. Lieber lässt er ein gutes Blatt liegen, als mit einem schlechten zu bluffen. Bluffen mag er nicht, er hat das Spiel lieber in der Hand. Er sucht keinen Kick. "Ich mache das hier, um Geld zu verdienen."

Bei der Pokervariante Texas Hold 'em bekommt der Spieler zwei Karten in die Hand. Dann werden fünf Karten auf den Tisch gelegt und nach und nach offengelegt. Krauses erste zwei Karten waren schlecht. Die nächsten zwei bringen auch nichts. Es wird eng für den One-Million-Dollar-Man.

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Beruf: Zocker

Im vergangenen Jahr hat er bei Turnieren gut 600.000 Dollar gewonnen. Davon sind ihm 60 bis 70 Prozent geblieben, sagt er. Der Rest sei für Flüge, Hotelkosten und Startgebühren draufgegangen. Es bleibt ein ordentliches Jahresgehalt. Pokern ist eine Boombranche geworden.

"Zurzeit will jeder seinen Teil abgreifen. Es gibt Poker-Accessoires, Zeitschriften, Bücher, das Fernsehen überträgt Spiele. Es geht nur noch um Kohle", sagt Krause. Auch im Casino Bregenz regiert in allen Ecken und Winkeln das Geld.

Herren in Anzügen und allen Altersklassen reden schwärmend aufeinander ein. Sie alle haben angeblich die perfekte Geschäftsidee zum Thema Pokern gefunden. Die Grenze zwischen seriös und halbseiden ist hier so dünn wie der Faden eines Spinnennetzes.

Das alles nervt Krause, aber es hilft ihm auch. Der Boom schaufelt ihm Menschen an den Pokertisch, die zuvor nie gespielt haben - und es auch nicht können. "Die haben das Geld irgendwo anders her und holen sich hier einen Kick. Das ist ein Art Deal: Die verlieren ihr Geld und können dafür gegen gute Spieler wie mich antreten", sagt er.

Andreas Krause, der fast täglich im Fitness-Studio trainiert, ist der Sportlichste in der Casino-Masse von Milchgesichtern, aufgestylten Punks mit lila Schopf und rundlichen Beamten, die ihr letztes Resthaar über die Halbglatze gelegt haben. Nur wenige gewinnen. Krause schätzt, dass etwa 95 Prozent der Spieler unterm Strich Geld verlieren. Es braucht diese Spieler, damit Profis wie Krause gut leben können.

Die Stille im Kopf

Wenn es heute nur besser laufen würde. Als die neuen Karten nichts bringen, tut Andreas Krause das, was er sonst nicht mag: Er blufft und setzt alles, obwohl er so schlechte Karten hat. Er schiebt alle Chips auf den grünen Samttisch und schaut gelangweilt. Im ganzen Casino ist das permanente Klicken zu hören, wenn die Spieler die Jetons durch die Hand auf den Pokertisch gleiten lassen. Klick, klick, klick. In Andreas Krauses Kopf ist in diesem Moment völlige Stille, wird er später erzählen.

Jedes Spiel braucht Kraft. Stundenlanges Sitzen, oft bis spät in die Nacht, ständige Anspannung und Konzentration. Das Zermürbendste ist das Verlieren, das dauernde Verlieren. Und das gehört dazu, auch für Andreas Krause. "Ich verliere öfter als ich gewinne. Langfristig rechnet sich das, aber kurzfristig bin ich ein Loser." Scheidet er aus, kommt der Frust, die Leere im Kopf, und in einem anonymen Hotelzimmer irgendwo in der Nähe des jeweiligen Casinos. "Dann ziehe ich mir die Decke über den Kopf und schlafe", sagt der Spieler.

Andreas Krause mustert den übrig gebliebenen Gegenspieler. Wird der den Bluff glauben und aufgeben? Oder geht der mit, enttarnt seinen Bluff und nimmt ihm die letzten Jetons ab? Krause schaut besonders gelangweilt. Er verbirgt seine Anspannung. Und hat Erfolg: Der Gegner gibt auf.

Krause hat die Runde gewonnen. Er steht auf und geht in den Nebenraum. Dort ballte er die Hände zu Fäusten und jubelt: Er hat es tatsächlich geschafft. Er ist weiter im Rennen. Am Ende nimmt er immerhin 14.210 Euro mit nach Hause. Ein erfolgreicher Tag.

Die Frage nach dem Sinn seines Tuns kommt immer wieder. Dann bewundert er Krankenschwestern, weil sie mit ihrem Job etwas Sinnvolles für die Gesellschaft tun. "Aber ich bin nicht konsequent genug. Ich möchte nicht am Existenzminimum leben, ich schlafe lieber aus und lasse es mir gut gehen."

Über die Zukunft denkt er selten nach. Auch nicht darüber, ob man auch mit 50 oder 60 noch fast täglich Poker spielen kann - und möchte. "Ich habe keinen Plan im Kopf." In einem allerdings ist er sehr konservativ. Andere Spieler verzocken das Gewonnene gleich wieder am Roulettetisch oder an der Börse.

Wenn Krause gewinnt, lässt er sich das Geld vom Casino auf sein Konto überweisen und legt es fest an. "Riskante Anlagen, Aktien, das ist nichts für mich", sagt er. Der Mann, der fast jeden Tag am Pokertisch um Alles oder Nichts spielt, findet die Geldanlage in Aktien zu gefährlich.

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