Pokern in Monte Carlo:Alles nur ein Spiel

Im Sternensaal in Monte Carlo pokern die besten Spieler der Welt um mehr als acht Millionen Euro - wenn sie aus dem Fenster gucken, sehen sie das Leben, das sie bald führen könnten.

Jürgen Schmieder, Monte Carlo

Katja Thater schiebt ihre Chips in die Mitte und sagt: "All-in!". Sie hat einen Blick, als würde sie ihrem Gegner erklären wollen, dass sie Kaugummi mit Birnengeschmack lieber mag als Kirsche. Dabei geht es hier gerade um alles. Um das Startgeld von 10.000 Euro, um einen möglichen Gewinn von mehr als zwei Millionen Euro, um einen der wichtigsten Titel in der Pokerwelt. Katja Thater guckt, als säße sie seit Stunden beim Kaffeekränzchen mit der Schwiegermutter.

Ihr Gegner glaubt an einen Bluff und bezahlt. Thater dreht ihre Karten um und deckt eine Straße auf. Sie hat gewonnen, ihre Chips fast verdreifacht - und guckt immer noch gelangweilt. Wahrscheinlich würde sie auch dann noch so dreinschauen, wenn in der Bucht von Monte Carlo ein Komet einschlagen würde.

"Es gehört zu meinem Spiel, mir überhaupt nichts anmerken zu lassen", sagt sie später. Sie lacht, gestikuliert, zwinkert mit den Augen. Man glaubt, eine völlig andere Person zu treffen als jene, die da eben am Tisch saß. "Ich versuche beim Spielen immer gleich auszusehen, ob ich mich freue oder ob ich mich total ärgere."

Das ist ihre Taktik beim Finale der European Poker Tour, das seit Samstag im Sporting Club von Monte Carlo ausgetragen wird. Normalerweise finden im "Salle des Étoiles" exklusive Empfänge statt, im Sommer werden Céline Dion und Diana Ross dort auftreten. Nun sitzen an 50 wackeligen Tischen Pokerspieler auf blauen Klappstühlen. Unentwegt hört man das Klappern der Chips, die Luft erinnert eher an Siemens-Jahreshauptversammlung denn an Côte d'Azur. Zwischen den Tischen stolzieren Frauen, die aussehen, als wären sie nach dem letzten Formel-1-Rennen einfach dageblieben. Die Zuschauer steigen aus Lamborghinis und gehen über einen roten Teppich - dennoch versprüht das Event so viel Glamour wie die Eröffnung eines Autohauses.

Alles nur ein Spiel

Aber darum geht es den Spielern auch gar nicht. Sie wollen pokern und einen der prestigeträchtigsten Titel holen, den es in diesem Sport zu gewinnen gibt. Mehr als 800 Spieler haben die 10.000 Euro Startgeld für das Main Event in der Variante No Limit Texas Hold'em bezahlt. Sie spielen um einen Preisgeldpool von 8,4 Millionen Euro, allein der Sieger bekommt 2,02 Millionen. Sie jagen dem Traum hinterher, innerhalb von wenigen Tagen zum Millionär zu werden.

Der Amerikaner Chris Moneymaker machte es im Jahr 2003 vor: Er bezahlte 39 Dollar, um an einem Online-Qualifikationsturnier teilnzunehmen. Ein paar Wochen später saß er am Finaltisch der World Series of Poker. Ihm gelang einer der größten Bluffs in der Geschichte des Pokerns, er gewann 2,5 Millionen Dollar. Moneymakers Triumph wird gerne als Initialzündung für den weltweiten Pokerboom gesehen.

Seitdem zocken Millionen Menschen, unbegabte Amateure träumen von der Profikarriere und vom großen und vor allem schnellen Geld - wie Meike Rensch, die sich im Internet ein Duell mit Boris Becker erspielte. Weil sie unglücklich gegen die Tennislegende verlor, entschloss sich der Sponsor, ihr die Startgebühr von 500 Euro für ein Nebenturnier zu bezahlen. "Ich bin total aufgeregt. Bisher habe ich um 15 Euro gespielt und jetzt sowas. Das ist ein totaler Kulturschock", sagt sie vor dem Turnier. Immerhin gibt es auch beim Nebenevent einen Preisgeldpool von 200.000 Euro.

Die Spieler pokern nicht nur beim Main Event um das große Geld. Es gibt zahlreiche Nebenturniere um kleinere, aber immer noch beachtliche Beträge. Und dann veranstalten die Organisatoren noch sogenannte Sit 'n' Goes, bei denen man sich mit 200, 500 oder 1000 Euro einkauft und unter zehn Personen innerhalb einer Stunde den Sieger bestimmt.

In Absprache mit den Verantwortlichen kann man gerne auch um mehr Geld spielen - so steht es in der Broschüre, die jeder Teilnehmer bekommen hat. Wie ein Marktschreier gibt der Sprecher im Zehn-Minuten-Takt den Beginn eines solchen Tisches bekannt: "Sit and Go, 1000 Euro, auf geht's an Tisch 29!" Wer beim Hauptturnier ausscheidet, muss nicht nach Hause fahren, sondern kann sich in vielen kleinen Wettbewerben messen. "Die skandinavischen Kapuzenpullis spielen jedes Turnier - und dort jede Hand", sagt Katja Thater. Nach dem Motto: Irgendwann werde ich schon gewinnen. Wenn man dann einen dieser Skandinavier fragt, ob er sich denn nun über den Gewinn von 5000 Euro freut, sieht er einen genervt an und sagt: "Der Porsche vor dem Méridien gehört mir." Und bezahlt die 500 Euro für den nächsten Tisch.

Alles nur ein Spiel

"Manchen geht es gar nicht mehr ums Geld. So wie dem hier", sagt einer der jüngeren Teilnehmer und deutet auf Phil Ivey. "Der spielt nur mit, um zu zeigen, dass er besser ist als alle anderen." Ivey ist einer der besten Spieler aller Zeiten. Er ist 32 Jahre alt, im Laufe seiner Karriere soll er bereits 150 Millionen Dollar mit Pokern verdient haben. Er lümmelt in Jeans und weißem T-Shirt auf seinem Stuhl und lässt sich den Rücken massieren - eine von vielen Möglichkeiten, sich während des Turniers zu entspannen.

Mehr als zwölf Stunden pro Tag sitzen die Spieler an den Tischen und müssen hochkonzentriert spielen. Wer gewinnen will, muss das sechs Tage am Stück aushalten und darf keinen Fehler machen. Eine der goldenen Regeln lautet: Man kann das Turnier nicht in einer Sekunde gewinnen - aber sehr wohl verlieren. "Das kann schon an die Substanz gehen", sagt Katja Thater. "Wer körperlich und geistig nicht fit ist, wird schnell an seine Grenzen stoßen".

Sie hat deshalb einen dicken Kopfhörer auf und hört Musik. Andere reiben sich die Augen, spazieren zwischendurch umher oder telefonieren mit der Freundin, die sich am Strand von Monte Carlo sonnt. Einer ohrfeigt sich schon nach zwei Stunden selbst. Hauptsache wach und wachsam bleiben - Red Bull dürfte ein Viertel seines Jahresumsatzes bei diesem Turnier machen.

Wenn man so durch den Saal spaziert und sich die Teilnehmer ansieht, dann wird schnell klar, dass es so etwas wie den typischen Pokerspieler nicht gibt. Da sitzt ein älterer Mann mit Cowboyhut und Zigarre neben einer 20-jährigen Frau im Minikleid. Ein junger Mann, der aussieht, als würde er in Monaco seinen 13. Geburtstag feiern, sieht lieber in ihr Dekolleté als auf seine Karten. Die Szene wird beobachtet von einem Skandinavier, der die Kapuze seiner Schlabberpullis über den Kopf gezogen und noch dazu eine überdimensionale Sonnenbrille aufgesetzt hat.

Und das alles im Sternensaal von Monte Carlo. Wenn die Spieler den Kopf heben, dann sehen sie durch die überdimensionalen Fenster eine riesige Yacht, die Villen der Reichen oder die Autos der Schönen. Sie sehen das Leben, das sie führen könnten - wenn sie nur dieses eine Mal Glück haben. Pokerlegende Daniel Negreanu erklärt die Aussichtslosigkeit des Unterfanges: "Keine Hoffnung, ich gewinne sowieso."

Das ist aber schon die einzige Provokation bei einem Event, auf dem es angesichts dessen, was auf dem Spiel steht, erstaunlich gelassen zugeht. Regeldiskussionen werden besonnen erledigt, bittere Niederlagen mit einem anerkennenden Nicken für den Gegner quittiert - so wie Boris Becker, der bei seinem ersten großen Turnier nach hartem Kampf ausscheidet, seinen Gegnern sportlich fair die Hände schüttelt und Autogramme gibt. "Das ist doch das Schöne am Pokern", sagt ein Teilnehmer aus Amerika, während er an seiner Zigarre nuckelt und Chips in die Mitte schiebt. "Am Ende ist alles nur ein Spiel."

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