Plastische Chirurgie:Schöner werden in Rio

Die Brasilianer sind von Schönheit geradezu besessen: Der Druck, so auszusehen wie die Jugend, ist der Hauptgrund für den Run auf den OP. Das Geschnippel gehört mittlerweile schon zur normalen Karriereplanung.

Von Bernd Radowitz

Rio de Janeiro, im Mai - Die "Vorher- Fotos" hängen auf einer Pinnwand neben dem Operationstisch. Von allen Seiten hat die Kamera gnadenlos Falten, Doppelkinn und die wulstartigen Tränensäcke des Patienten abgelichtet.

Giselle Bündchen

Das Topmodel Giselle Bündchen ist für Brasilianerinnen großes Vorbild.

(Foto: Foto: dpa)

"Was für ein hässlicher Mann", sagt der Chirurg Dr. Paolo Müller. Dann fängt er an, mit violetter Tinte geschwungene Linien zu zeichnen. Direkt auf das Gesicht des 64-jährigen Wahlkampfmanagers. Der schlummert friedlich, mit dem Kopf nach unten und dem Beatmungsschlauch im Mund. Vollnarkose. Seine Freundin hatte ihm die Operation ans Herz gelegt.

Es ist gut, wenn der Mann von dem langwierigen Geschnippel an seinem Gesicht nichts mitbekommt. Denn während der vierstündigen Operation werden Erinnerungen wach an Schlachthofszenen. Es riecht nach verbranntem Fleisch. Menschenfleisch. Salamischeibengroße Hautfetzen fliegen in den Müll. Der Assistent muss ständig Blut abtupfen.

Sieht so die hohe Kunst der Chirurgie in der berühmtesten Schönheitsklinik der Welt aus, der Clinica Ivo Pitanguy, in der schon Brigitte Bardot, Gunilla von Bismarck und andere Reiche und Schöne dieser Welt verjüngt worden sein sollen?

Und gilt nicht Dr. Müller als der begabteste Nachfolger von Altmeister Pitanguy, der hier in der Jahrhundertwende-Villa im Stadtteil Botafogo, direkt unter den ausgebreiteten Armen der Christusstatue von Rio de Janeiro, schon Zehntausende erfolgreich veredelt hat?

Schöner werden in Rio

Der Chirurg beruhigt: Der Geruch kommt vom fortwährenden Veröden der Blutgefäße unter der Gesichtshaut, die zeitweilig vom restlichen Gewebe abgelöst wird. Das sei nötig, um Infektionen zu vermeiden.

In vier Wochen werden bereits sämtliche Blutergüsse und Schwellungen des Patienten wieder verschwunden sein. Schon stellt man sich vor, wie der Wahlkampfmanager, anstatt hier auf dem OP-Tisch zu liegen, mit gestraffter Haut den Surfer-Kids am nur wenige Kilometer entfernten Strand Konkurrenz macht.

Die Strandkultur hier - nicht zuletzt seit dem viel besungenen "Girl von Ipanema" - ist von physischer Schönheit geradezu besessen. Der Druck, so auszusehen wie die Jugend in Brasiliens Vorzeigestadt Rio de Janeiro, die tagtäglich ihre muskelgestählten Körper und ebenmäßigen Gesichter zur Schau stellt, sei der Hauptgrund für den Run auf die plastische Chirurgie in Brasilien, sagt Müller.

"Wenn eine 50-Jährige hier, obwohl sie genug Geld hat, keine Schönheitsoperation macht, sagen ihre Freundinnen: 'Bist du verrückt, du kannst doch nicht mit so einem Gesicht rumlaufen!'", versichert er, dann rennt er weiter, in seinem hellblauen Operationskittel.

Dass auch über andere Körperteile offen diskutiert wird, dafür sorgen vier verschiedene Fachzeitschriften, die in Brasilien um die Gunst der Leser wetteifern. So gibt das Blatt mit dem Titel Plastica in seiner April-Ausgabe unentbehrliche Tipps, wie man dank Silikon einen "Turbo-Popo" bekommt.

Wen wundert da noch, dass laut der Sociedade de Cirurgia Plastica, der Vereinigung für Plastische Chirurgie, gerade im Entwicklungsland Brasilien nach den USA die meisten Schönheitsoperationen der Welt durchgeführt werden.

Solche Zahlen bekommen angesichts des blutigen Schauspiels hier im dritten Stock der Rua Dona Mariana 65 eine ganz neue Bedeutung. Nun stößt der Chirurg dem Patienten mit Kraft eine mit einem durchsichtigen Schlauch verbundene Spritze unter die Haut. Zehn Zentimeter tief, exakt bis zu den vorgezeichneten violetten Linien. Der Schlauch saugt blubbernd ein Gemisch aus Fett und Blut ab. Die Fotografin, die das Gemetzel bisher tapfer dokumentiert hatte, wird ganz weiß im Gesicht, befürchtet Schlimmstes.

Nur nicht in Ohnmacht fallen und jetzt selbst auf dem OP-Tisch landen. Sie verlässt den Operationssaal. Ob sie vielleicht ein wenig essen möchte, um sich zu stärken, fragt eine besorgte Krankenschwester.

Nicht zu laut, aber doch noch gut hörbar, hat einer der Operationsassistenten jetzt das Radio eingeschaltet. "Na endlich. Wir operieren hier nämlich normalerweise im Rhythmus", witzelt der Chirurg und wechselt auch schon ins Nachbarzimmer, zu einer anderen Operation, die er fast zeitgleich durchführt.

Routiniert agiert er, als sei das Schneiden, Veröden, Fettabsaugen und wieder Zunähen eigentlich gar keine Arbeit. Zwei Operationen auf einmal durchzuführen sei doch wirklich kein Problem, versichert Müller, dessen deutscher Großvater kurz nach dem Ersten Weltkrieg nach Brasilien ausgewandert war.

Der schwierigste Teil komme eigentlich erst danach. Dann nämlich klagen die männlichen Patienten oft über Schmerzen. Frauen dagegen beschweren sich, wenn das Resultat nicht die wundersame Veränderung zeigt, die sie sich erhofft hatten. "Aber wir sind natürlich auch keine Götter", verteidigt Müller seinen Berufsstand und geht wieder ans Werk.

Schöner werden in Rio

Vor ihm liegt jetzt eine junge Frau. Ihre Arme sind über den Operationstisch ausgebreitet, wie am Kreuz. Nur ihre Brüste sind frei. Durch einen hauchdünnen Einschnitt um die Brustwarze herum stopft der Chirurg blitzschnell eine Silikonprothese: 225 Milliliter groß, das ganze sieht wie ein kleiner weißer Luftballon aus. Die Brust steht jetzt aggressiv nach vorn, selbst im liegenden Zustand. Aus dem Radio tönt "Slave to Love".

Brasilianische Frauen verzichteten lieber auf den Kauf eines neuen Autos als auf eine Schönheitsoperation, die sie auf dem Heiratsmarkt attraktiver macht, sagt Müller. Die Statistiken scheinen ihm Recht zu geben: Brasiliens wirtschaftlicher Stagnation zum Trotz, wächst der Markt der Schönheitschirurgie um 20 Prozent im Jahr.

Verschiebungen gibt es nur innerhalb der Branche: Ließen sich noch vor zehn Jahren mehr Brasilianerinnen die Oberweite reduzieren als erweitern, so dreht sich dank des Vorbilds von Hollywood-Schauspielerinnen und gut gebauten einheimischen Schönheiten wie dem Supermodel Giselle Bündchen das Verhältnis inzwischen um.

Wieder wechselt Müller den Saal, eine Krankenschwester zieht ihm einen neuen Kittel an und desinfiziert seine Hände. Gold sind sie wert, die Hände. Eine Liftingoperation bei ihm kann nach Angaben von Patienten um die 5000 Dollar kosten. Der Chirurg selbst schweigt grundsätzlich über seine Preise.

Das hat er bei seinem Lehrmeister Professor Pitanguy gelernt, der mit seinen 78 Jahren inzwischen kaum noch operiert und sich dafür umso öfter in seinem Chalet in der Schweiz oder auf seiner Tropeninsel in der Nähe von Rio ausruht.

Ob sich Müller auch bald schon eine eigene Insel kaufen kann, verrät er nicht. Die Chancen stehen aber nicht schlecht.

Schöner werden in Rio

Müller geht zurück zu seinem Liftingfall im ersten Operationssaal. Damit hat er einen Vertreter des größten Wachstumsmarktes unter dem Skalpell. Die Anzahl der Schönheitsoperationen bei Männern steigt rapide, nicht zuletzt seitdem Brasiliens Medien die Eingriffe bei Prominenten mit Genuss breittreten. Einige, wie der vorige Präsident Fernando Henrique Cardoso, verneinen eine angebliche Schönheitsoperation.

Andere aber, wie der Schauspieler Miguel Falabella oder der Fernsehmoderator Otavio Mesquita, geben offen zu, dass Nasenkorrektur und Fettabsaugen karrierefördernd sind.

Der Wahlkampfmanager am Operationstisch kann diesem Gedanken wenige Tage nach der Operation nur zustimmen. Er selbst hätte normalerweise auch kein Problem damit, seinen Namen in der Presse zu lesen. Da aber gerade ein Gerichtsverfahren gegen ihn laufe und er beteuert habe, kein Geld zu besitzen, käme das öffentliche Eingeständnis einer teuren Operation eher ungelegen. In seiner Branche hat er beobachtet, wie sich immer mehr Männer von der Verjüngungsprozedur berufliche Vorteile erhoffen.

Die meisten brasilianischen Politiker würden unters Messer gehen, von Rios Bürgermeister Cesar Maia bis hin zum Senatspräsidenten Jose Sarney, einem weiteren Ex-Präsidenten der Republik. "Niemand wählt gerne Alte", sagt der Wahlkampfmanager, der sich zwei Wochen nach der Operation um mehr als zehn Jahre jünger empfindet.

Das weiß der Chirurg Müller während des Eingriffs noch nicht. Er wäre aber sicher zufrieden, wenn er das hören würde. Wenn er das Leben einer Person verbessern kann, dann fühle er sich glücklich, sagt er, als er nach dem Hauptgrund für seine Berufswahl sucht. So richtig in Fahrt geraten, zieht er seinem Patienten dann die Haut mit einer Mini-Zange bis weit übers Ohr und schneidet mit einem feinen Skalpell blitzschnell noch ein letztes Stück Haut weg. "Don't turn it back", trällert es aus dem Lautsprecher: Mach es bloß nicht rückgängig.

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