Piloten nach dem Flugzeugabsturz:"Ich sitze im gleichen Sitz wie er"

Pilots sit at the cockpit of a VietJet  A320 airplane before departure for Bangkok in this file photo

Piloten im Cockpit einer A320 kurz vor dem Start in Bangkok.

(Foto: REUTERS)

Der Absturz der Germanwings-Maschine ist eine Katastrophe - ganz gleich, was ihn verursacht hat. Doch dass es einer von ihnen war, der 149 Menschen mit in den Tod gerissen hat, macht Piloten von Germanwings und Lufthansa fassungslos.

Von Felicitas Kock und Simon Hurtz

Die Welt deutscher Piloten und Kabinencrews ist seit Dienstag eine andere. Sie haben sechs Kollegen verloren, sechs Mitglieder der Lufthansa-Familie, wie der Konzern sich und seine Belegschaft gerne bezeichnet. Mehrere Mitarbeiter meldeten sich nach dem Unglück in den französischen Alpen krank, weil sie zu betroffen waren, um zu fliegen. Etwas Schlimmeres als der Absturz, dachten sie, könne nicht passieren.

Doch was jetzt herausgekommen ist - dass ein Kollege das Flugzeug mit Absicht gegen einen Felsen gelenkt hat - macht den Absturz für viele tatsächlich noch schlimmer. "Alles andere hätte ich besser verarbeiten können", sagt ein Lufthansa-Pilot. Einen technischen Defekt, einen menschlichen Fehler, ein geplatztes Fenster etwa, auf das die Piloten falsch reagierten. Doch ein bewusst herbeigeführter Absturz? Das liegt außerhalb der Vorstellungskraft. "Ich sitze im gleichen Sitz wie er, wir haben die gleiche Ausbildung - dass er acht Minuten lang zuschaut, wie die Berge auf ihn zurasen, während hinter ihm mehr als hundert Menschen sitzen, darunter Babys, Schüler, Kollegen. Menschen, die irgendwann zu schreien beginnen. Das ist Wahnsinn."

Schussfahrt nach unten

Andreas Lubitz hätte es sich bis zum Schluss anders überlegen können, das wissen seine Kollegen. Noch Sekunden vor dem Aufprall hätte er den Autopiloten anders einstellen, die Steuerung zum Körper ziehen und Vollgas geben können. Man übt so etwas im Simulator. Er hätte auf die Warnungen der Fluglotsen reagieren können, oder auf die Alarmsignale des Systems. Wenn er bei Bewusstsein war.

Überhaupt, der lange Sinkflug, die Verriegelung der Tür. Wozu? "Innerhalb von zehn Sekunden kann ich die Instrumente im Cockpit so schalten, dass das Flugzeug garantiert abstürzt. Egal, was der Kapitän danach noch zu retten versucht. Das wird dann natürlich kein sanfter Sinkflug, sondern eine Schussfahrt nach unten", sagt ein Germanwings-Pilot. Da helfe auch kein Kabinenpersonal im Cockpit, wie es die im Hauruck-Verfahren eingeführte Zwei-Personen-Regel vorsieht. Die neue Regelung, bemerkt ein anderer, werde dafür die gesamte Crew an die Tat von Andreas Lubitz erinnern. Immer wenn ein Pilot die Kanzel verlässt, zur Toilette geht oder sich einen Kaffee holt.

"Gründlicher kann man einen Menschen nicht durchleuchten"

Niemand bei der Lufthansa hat damit gerechnet, dass ein Pilot zur Gefahr werden könnte. In der Ausbildung lernen die angehenden Flieger, was in Notsituationen zu tun ist. Was sie machen müssen, wenn die Technik versagt, wenn der andere Pilot einen Fehler macht oder einen Herzinfarkt hat. Dass ein Pilot ein Flugzeug absichtlich zum Absturz bringt, wird nicht thematisiert - es ist schlicht nicht vorgesehen.

Die Piloten werden nach höchsten Ansprüchen ausgewählt, müssen sich vor der Ausbildung einem harten psychologischen Test unterziehen. "Gründlicher kann man einen Menschen nicht durchleuchten", erinnert sich der Germanwings-Pilot. Wer hier durchkomme, der könne sich auch bei späteren Kontrollen gut genug verstellen, um nicht aufzufallen. Die Forderung nach mehr psychologischen Tests gehe daher in die falsche Richtung.

"Ich glaube nicht, dass man durch härtere psychologische Kontrollen mehr Sicherheit schafft", sagt auch eine Stewardess. Man könne niemanden rund um die Uhr überwachen, außerdem wäre es ein seltsames Signal, wenn alle Piloten wöchentlich zum Psychotest müssten. "Ich glaube, wir müssen darauf hinarbeiten, dass Kolleginnen und Kollegen gut aufeinander acht geben."

Wann verhält sich ein Kollege komisch?

Die vorgesehene Kontrollinstanz ist ohnehin die Crew. Piloten werden darin geschult, auffälliges Verhalten von Kollegen zu erkennen, anzusprechen und im Zweifelsfall den Vorgesetzten zu melden. Das gilt nicht als Petzen, sondern als unbedingt notwendig. "Schließlich hat man selbst ein vitales Interesse daran, dass der Typ neben einem nicht plötzlich am Rad dreht", sagt der Germanwings-Pilot.

In der Praxis sei das nicht immer einfach, sagt ein anderer. Copiloten und Kapitäne werden einander für jeden Flug neu zugeteilt, damit sich keine Gewohnheiten einschleifen. Sie kennen einander nur in den seltensten Fällen. Wenn man einen Kollegen zum ersten Mal trifft, woher soll man wissen, wann er sich komisch verhält? "Es gibt so viele unterschiedliche Charaktere. Und nur weil jemand nicht so ist wie ich, muss das ja nicht unbedingt etwas bedeuten."

In Zukunft wird das anders sein. Die Ermittlungsergebnisse zu Flug 4U9525 haben das Grundvertrauen der Piloten untereinander nicht zerstört, aber erschüttert. Manche können weiterfliegen, andere haben ihre Flüge für die nächsten Tage abgesagt. Der Schock nach dem Absturz sitzt tief. Wer mit der Presse spricht, will in der Regel anonym bleiben, manche wollen gar nichts sagen. "Schon allein, weil mir die Worte dazu fehlen", schreibt ein Pilot auf die Interview-Anfrage der SZ.

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