Philadelphia:Ausgangssperre gegen Gewalt

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Philadelphia hat Jugendliche ab 21 Uhr aus der Stadtmitte verbannt. Gruppen von Randalierern hatten sich wiederholt zu Raubzügen verabredet, der Bürgermeister spricht von "Wahnsinn". Nachtruhen wie diese haben US-Metropolen schon oft verhängt - allerdings mit zwiespältigem Erfolg.

Christian Wernicke, Washington

Sie treten plötzlich aus der Dunkelheit hervor, sie kreisen ihre Opfer ein - und sie schlagen zu: Jugendliche, die sich per Email und Twitter spontan absprechen und als so genannte Flash Mobs zusammenrotten, um Passanten in der Innenstadt von Philadelphia auszurauben.

Ende Juli wurde ein Opfer mit gebrochenem Kiefer ins Hospital eingeliefert, wenige Stunden später verprügelte eine Horde Jugendlicher im historischen Stadtkern vier Männer. Der jüngste Mittäter war elf Jahre alt. Nun hat Michael Nutter, der Bürgermeister von Amerikas Gründerstadt, die Notbremse gezogen: Ab sofort ist das Zentrum ab neun Uhr abends für alle Jugendlichen unter 18 Jahren Tabu-Zone. Wer die Ausgangssperre missachtet, dem drohen bis zu 500 Dollar Bußgeld.

Gewalt in "der Stadt der brüderlichen Liebe"

Nicht im Rathaus, sondern während des Gottesdienstes seiner Baptistengemeinde im überwiegend von Afro-Amerikanern bewohnten West Philadelphia verkündete Mayor Nutter seine drakonische Maßnahme. "Dieser Wahnsinn muss aufhören," schimpfte der schwarze Bürgermeister, "und wenn Ihr Euch wie Idioten benehmen wollt - haut ab! Raus aus dieser Stadt, wir wollen Euch hier nicht mehr!" Dann nahm er die Eltern der randalierenden Kinder ins Gebet, die sich nicht um ihren Nachwuchs kümmerten. "Die unbefleckte Empfängnis unseres Herrn Jesus Christus ist lange her, und das geschah nicht hier in Philadelphia," predigte Nutter, "Jedes dieser Kinder hat zwei Eltern, die damals aktiv dabei waren - und die müssen gefälligst auch jetzt für ihre Kids da sein." Die Stadt oder der Staat könne niemandem die Erziehung abnehmen.

Philadelphia mit seinen Museen, mit der Freiheitsglocke und Independence Hall lebt vom Tourismus. Meldungen von immer neuen Übergriffen in der "Stadt der brüderlichen Liebe" drohten die Besucher in letzter Zeit allerdings abzuschrecken.

Flash-Mobs auch in anderen Großstädten

Jugendliche, die sich bisweilen nur über Internet kannten, verabredeten sich plötzlich per Twitter, Email oder SMS zu ihren Gewaltaktionen: Mal verprügelten sie Passanten, mal zertrümmerten sie ein Fastfood-Restaurant, mal beraubten sie Kunden eines vornehmen Kaufhauses. Für die Innenstadt und im attraktiven Uni-Viertel verschärfte Nutter nun die Ausgangssperre auf 21 Uhr, für den Rest der Stadt gilt das alte Wochenend-Regime: Kinder unter 13 Jahren müssen abends um zehn Uhr zu Hause sein, für 14- bis 18jährige ist mitternachts Schluss. Zugleich versprach der Bürgermeister, Freizeitheime würden fortan länger geöffnet bleiben, um den Jugendlichen "eine Alternative" anzubieten.

Die Flash Mobs beunruhigen auch andere Großstädte. So plünderten zwei Dutzend Jugendliche im April eine Edelboutique nahe des trendigen DuPont-Circles in Washington, Ende fiel ein Gruppe in Chicago über Fahrradfahrer und Picknicker her. Seit den achtziger Jahren haben über 500 US-Metropolen mit Ausgangssperren auf Gewaltwellen reagiert, mit zwiespältigem Erfolg.

Kurzfristig sank die lokale Kriminalität zwar oft deutlich, langfristig jedoch mögen Sozialwissenschaftler nur allenfalls geringe Auswirkungen auf die Zahl der Straftaten oder die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen erkennen. In Philadelphia endete das erste Wochenende nach Ausweitung der Ausgangssperre mit der Verhaftung von mehr als 50 Jugendlichen.

© SZ vom 16.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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