Perücken in England:Der Muff von 300 Jahren

Ende einer Tradition: An englischen Zivilgerichten werden Perücken und alte Talare abgeschafft. Die Richter sind damit nicht einverstanden.

Marten Rolff

Ohne ein paar Seitenhiebe, soviel war vorher klar, würde man dieses Outfit nicht präsentieren können.

Talar und Perücke

In voller Montur: Englands Richter lieben ihre Perücken.

(Foto: Foto: AP)

Und so war das Foto, auf dem Seine Ehren Lord Phillips of Matravers, Englands oberster Rechtsprecher, die neue Amtsrobe für die Richter seines Landes vorführt, in britischen Medienberichten neben dem Bild von Raumschiff-Enterprise-Kapitän Jean-Luc Picard zu sehen.

Ironischer Tenor der unterstellten "Ähnlichkeit": Sie mögen mit diesem Aufzug in völlig unbekannte Welten aufbrechen, aber verkleidet sind sie noch immer.

Vom ersten Oktober an werden die meisten Richter in England und Wales mit einer mehr als 300 Jahre alten Tradition brechen: Sie sollen an Familien- und Zivilgerichten, also für die Mehrzahl der Prozesse, ihre altertümlichen Talare gegen ein deutlich schlichteres Modell austauschen sowie ihre kunstvoll aufgedrehten, schulterlangen Rosshaar-Perücken absetzen.

Ein Aufzug, der selbst im detailverliebten England inzwischen von vielen als einschüchterndes Tralala gewertet wurde, als Beweis für den Snobismus einer Kaste, die mit dem gemeinen Volk, über das sie urteilte, möglichst wenig gemein haben wollte.

Diese Einschätzung spiegelte bereits das Ergebnis einer Umfrage vor fünf Jahren wider, in der Englands Bürger zu 64 Prozent der Meinung waren, dass dem Justizpersonal eine realitätsnähere Tracht guttäte. Ein Urteil, das Richter, Staatsanwälte und Anwälte nicht teilten: Mehr als zwei Drittel von ihnen sprach sich damals dafür aus, Perücken und Traditionstalare beizubehalten.

Volksnahe Kleidung von Betty Jackson

Die neue Dienstrobe und der Perückenverzicht bei Zivilprozessen, ist daher nicht nur als Ergebnis langer Diskussionen, sondern auch als Kompromiss zu werten. Denn einerseits hielt es auch Lord Phillips, der den Beschluss im Juli 2007 durchgeboxt hatte, für nicht mehr zeitgemäß, dass Richter vor jedem Urteil in der Verkleidungskiste wühlen. Andererseits wollte sich auch der ranghöchste Jurist dem Argument nicht verschließen, dass die Perücke bei aller Verstaubtheit dazu beiträgt, die Anonymität eines Richters zu wahren und diesen zu schützen.

Bei Strafprozessen werden die Richter daher weiter in alter Robe und mit Perücken Recht sprechen und so das Risiko verringern, dass unzufriedene Verurteilte sie später ausfindig machen. Abgeschafft wird bei Strafprozessen allerdings der Sommertalar, künftig muss die Winterrobe reichen, was auch den Steuerzahler entlasten wird: Sämtliche Neuerungen sollen jährliche Einsparungen in Höhe von 200000 Pfund bringen.

Sparsam und politisch sehr korrekt ging man auch bei der Auswahl der Designerin vor. Betty Jackson ist nicht nur Britin und war schon "Designer of the year", sondern weiß als langjährige Stil-Beraterin der Klamottenkette Marks & Spencer auch, wie volksnahe Kleidung auszusehen hat. Ihre aktuelle Sommerkollektion mit klaren Schnitten, edlen Stoffen und dezenten Farben ist der Revolution ganz unverdächtig.

Einziger Aufreger: so genannte Kung-Fu-Stilettos mit schweren Absätzen. Jackson hat die neue Amtsrobe ohne Honorar und in Absprache mit einem Richter-Gremium kreiert. Bei dem reduzierten Talar beschränkte sich die Designerin auf diskrete Bänder, je nach Rang in Gold oder Rot, für die beiden höchsten Richtergrade. Rangniedere Chargen müssen künftig nicht nur auf den bislang üblichen Flügelkragen sondern auch auf jeden Schmuck verzichten.

Ganz im Gegensatz zu den englischen Anwälten, die möglicherweise auch in Zukunft mit Perücke und im alten Putz vor barhäuptigen Richtern sprechen. Deren Standesvertretung, der Bar Council, hat zwar bereits im vergangenen Sommer Fragebögen verschickt und zweimal zum Thema getagt. Eine Entscheidung steht aber noch aus. Zuletzt war zu hören, man würde gern alles beim Alten lassen.

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