Paris:Stille im Elfenwald

Die Ära der Supermodels ist endgültig vorbei - fast überall haben Filmstars die Mode-Ikonen von den Werbeplakaten verdrängt.

Peter Bäldle

Der Absturz von Kate Moss, deren Kokain-Affäre sie fast ihre Karriere kostete, hat offensichtlich gemacht, was sich seit längerem angekündigt hatte: Die Ära der Supermodels ist vorbei. Es gibt kein Gesicht, das Miss Moss ersetzen könnte. Kein Mädchen, dessen Persönlichkeit aus dem Gros der Models herausragt.

Stattdessen huschen jetzt zartgliedrige Elfen über die Laufstege - mit zu großen Köpfen auf zu schmalen Schultern und zu großen Augen im runden Gesicht. Gemma Ward ist die niedlichste unter ihnen und derzeit der Liebling aller Fotografen. Dazu gibt es langbeinige Blondinen ohne Zahl, die sich alle ähneln auf den ersten Blick. Die Münchnerin Julia Stegner gehört dazu. Auch wenn sie Karl Lagerfeld an Veruschka erinnert, die Model-Legende aus den Sechzigern, so fällt sie dem Betrachter vor allem auf, weil sie beim Catwalk, im Gegensatz zu ihren Kolleginnen, den Mund stets offen trägt.

Genau besehen hat auch Kate Moss den Supermodel-Status längst hinter sich. Zur ersten Generation von Linda Evangelista, Claudia Schiffer oder Naomi Campbell gehörte sie ohnehin nie. Im Gegenteil: Als diese Anfang der neunziger Jahre so teuer geworden waren, dass sie - nach einem Bonmot von Evangelista - nur noch für ein Mindesthonorar von 10.000 Dollar pro Tag aus dem Bett stiegen, galt Kate Moss als Geheimwaffe, um die Laufsteggöttinnen zu stürzen.

Säbelbeine und Mausezähne

Mit ihr gaben die "Swaifs" den Ton an. Magersüchtige Großstadtgören mit dunkel umschatteten Augen. "Heroin-Chic" wurde zum Schlagwort.

Erst als die Auflagen der Mode-Magazine sanken, und Designerklamotten sich schlechter verkauften, verordnete man Moss fünf Kilo Mehrgewicht und ein Glamour-Image mit langen, blonden Wellen im Stil von Veronica Lake, dem Kino-Vamp der vierziger Jahre. Nun spielte Kate - mit Nadja Auermann und Amber Valetta - das Supermodel in Neuauflage. Eine Rolle, die sie schon bald zu langweilen begann.

So sah man sie nur noch mit den Helden der Musik-Szene in den Clubs abhängen. Dennoch wurde sie das Gesicht ihrer Generation. Trotz Säbelbeinen und Mausezähnen avancierte sie zum Sex-Symbol des denkenden Mannes. Feuilletonchefs schrieben über sie, Kulturphilosophen phantasierten von ihr.

H & M und Burberry warben mit ihrem Konterfei. Sie war die Ikone von Cool Britannia. Doch das ist vorbei, seitdem darüber diskutiert wird, wie viel Kokain sie täglich braucht, um Kate Moss zu sein. Burberry, so flüsterte man, während der Pariser Designerschauen im Oktober, wolle sie bald durch Rachel Weisz ersetzen.

Doch wer bitte ist Rachel Weisz? Zunächst einmal ist sie Schauspielerin und ein besonders schönes Gesicht des neuen britischen Kinos. Die Filmstars haben längst die Models auf den Anzeigenseite der Modehäuser und Luxusfirmen ersetzt.

Uma Thurman wirbt um Aufmerksamkeit für Louis Vuittons Mode und Taschen. Für Versace lächelt Demi Moore. Charlotte Rampling lümmelt für Marc Jacobs mit dem Fotografen Juergen Teller auf dem Bett, Johnny Depp grübelt über einem Füller von Montblanc, und niemand überbietet Brad Pitt derzeit an Charme, wenn der Schauspieler mit seinem Automatic Aquaracer Chronographen in die Kameras lächelt.

Und trug Oscar-Preisträger Adrien Brody 2004 noch die Anzüge von Ermenegildo Zegna, so wurde er vom mexikanischen Newcomer Diego Luna abgelöst, weil sein Ruhm verblasste. Der Superstar hat endgültig die Position des Supermodels eingenommen.

Auch Karl Lagerfeld, der einst Claudia Schiffer erschuf, hat den Trend schon lange erkannt und für viel Geld Nicole Kidman engagiert, um den Relaunch des Parfum-Klassikers "Chanel Nr. 5" in die richtigen Bahnen zu lenken. Und nun zog das Haus Dior gleich und verpflichtete kürzlich mit viel Mediengetöse Sharon Stone, um seine neue Anti-Aging-Pflegeserie "Capture" zu vermarkten.

Selten zuvor waren Produkt und Alter des Werbestars - Miss Stone ist 47 Jahre alt - so perfekt aufeinander abgestimmt. Nie zuvor wurde unermüdlicher darauf hingewiesen. Auffallen um jeden Preis, lautet die Devise immer noch. Nur wird es immer schwieriger, aus der Dichte der Medienlandschaft herauszuragen.

Doch was kommt nach dem Superstar? John Galliano, der nicht nur die Mode für Dior entwirft, wusste Rat. Seine eigene Kollektion präsentierte er im vergangenen Juli vor grellen Jahrmarktkulissen als Freak-Schau mit Frauen, die in ihrem eigenen Fett zu ersticken drohten, an der Seite schlanker Jünglinge von makellosem Wuchs.

Ausgemergelte, alte Männer begleiteten Feenwesen, die gierige "rich bitch" den schönen, halbnackten Gigolo. Riesen gingen neben Zwergenwüchsigen und Zwillinge im Gleichschritt. Das Finale gab ein verliebt kokettierendes, mit den Augen rollendes Liliputaner-Pärchen im Hochzeitsgewand.

John Galliano nahm lächelnd den spärlichen Beifall eines erstarrten Publikums entgegen - als hölzerne Marionette, deren Fäden ein Puppenspieler zog.

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