Frankreich:Jugendlicher nach mutmaßlicher Lynchjustiz im Koma

Ein 16-Jähriger wird von einem Dutzend Menschen verschleppt, misshandelt und bewusstlos in einem Einkaufswagen zurückgelassen. Dahinter steckt offenbar ein Racheakt nach Verdächtigungen gegen eine Gruppe Roma.

Nach einem mutmaßlichen Lynch-Angriff in einer Stadt nahe Paris kämpft ein Jugendlicher um sein Leben. Der 16-jährige, der zur Minderheit der Roma gehört, schwebe in Lebensgefahr, hieß es am Dienstag aus Justizkreisen in der französischen Hauptstadt. Ein Polizeivertreter sagte, der Jugendliche sei am vergangenen Freitag in einem als sozialer Brennpunkt geltenden Viertel von Pierrefitte-sur-Seine nördlich von Paris bewusstlos in einem Einkaufswagen gefunden worden.

Er sei von einem Dutzend Menschen, die ihn für einen Einbruch in eine Wohnung verantwortlich machten, gewaltsam verschleppt und in einem Keller brutal misshandelt worden. Seine Mutter hatte die Polizei alarmiert, weil sie ihren Sohn vermisste. Der Junge liegt noch immer im Koma. Er lebte zusammen mit seiner Familie und anderen Roma in einem Lager rings um ein verlassenes Haus.

Michel Fourcade, der Bürgermeister von Pierrefitte-sur-Seine, wo sich der Angriff ereignete, sagte, der Jugendliche sei in den vergangenen Wochen wiederholt von der Polizei wegen Einbrüchen in der Wohnsiedlung befragt worden. Anwohner waren wegen der Einbrüche und eingeschlagener Autoscheiben verunsichert und wütend. In Frankreich gibt es immer wieder Spannungen zwischen Nachbarn und Gruppen von Roma, die vielfach in illegalen Lagern am Rand von Städten wohnen.

Ein Anwohner sagte, die Roma seien vor drei Wochen plötzlich aufgetaucht. Nach dem Angriff auf den Jugendlichen hätten sie aber ihr Lager sofort geräumt. Am Montag lagen an ihrem früheren Wohnort nur noch vereinzelt Kleidungsstücke und Matratzen herum.

Bürgerrechtsgruppen haben immer wieder vor zunehmendem Rassismus gegen die Minderheit gewarnt. Der Vorsitzende des Bezirksrats, Stephane Troussel, verurteilte den Angriff "ein abscheuliches Verbrechen unter dem Mantel der Rache". Der Staat schulde allen Schutz, "egal wo sie leben oder woher sie stammen".

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