Papst Benedikts wahre Geschichte:Joseph und die Hitlerjugend

Bis heute hält sich in England und den USA die Geschichte von der Nazi-Vergangenheit Ratzingers - gegen alle Tatsachen. Der heutige Papst Benedikt XVI. wurde gegen seinen Willen Hitlerjunge.

Matthias Drobinski

Der Brief stammt vom 4. März 1939: Gendameriemeister a.D. Joseph Ratzinger bittet um die Aufnahme seines Sohnes Joseph ins Traunsteiner Studienseminar, heute ein beliebtes Internat, damals eine Anstalt für Jungen auf dem Weg zum Priesterberuf. Ordnungsgemäß hat er alle Unterlagen beisammen: Ein Schreiben von Hubert Pöhlein, Studienrat am Gymnasium Traunstein, das den Jungen als brav, fleißig, zuverlässig lobt.

Joseph Ratzinger, dpa

"From Hitler Yoth to Papa Ratzi": So titelte 2005 die Sun nach Ratzingers Ernennung zum Papst.

(Foto: Foto: dpa)

Dann das ärztliche Zeugnis von Dr. Paul Keller, der hervorhebt, dass sich der Ernährungs- und Kräftezustand des Buben gebessert habe; bei mäßigem Untergewicht sei der Knabe bei guter Gesundheit. Die Aufnahmeprüfung besteht der Junge mit Bravour. Mit Beginn des dritten Gymnasialjahrs - heute wäre es das 7. Schuljahr - am 16. April 1939 tritt Joseph Ratzinger, später Papst Benedikt XVI., ins Traunsteiner Studienseminar Sankt Michael ein.

Ein wichtiger Abschnitt in Ratzingers Leben: Im Studienseminar reift seine Entscheidung, Priester zu werden. Und ein umstrittener Abschnitt im Leben des künftigen Papstes: Am 16. April 1941, seinem 14. Geburtstag, wird er Mitglied der Hitlerjugend. "From Hitler Youth to Papa Ratzi" heißt 2005 die Headline des britischen Boulevard-Blattes Sun. Vor allem in den britischen und US-amerikanischen Medien hält sich die These: Über dem Pontifikat Benedikts liegt Adolf Hitlers langer Schatten.

Jedesmal, wenn sie vorgebracht wird, ärgert sich Peter Pfister. Neulich war wieder ein Journalist aus New York da, erzählt der Leiter des Archivs des Erzbistums München, hat einen Vormittag lang gelesen, ist heimgeflogen, hat die nächste Geschichte über Ratzingers angebliche Hitler-Vergangenheit geschrieben.

Da hat es Pfister gereicht. Er entsandte den 36-jährigen Historiker Volker Laube ins eigene Archiv und ins Studienseminar am Alpenrand. Laube hat gewühlt, gesichtet, sortiert und - rechtzeitig vor dem Papstbesuch in Bayern vom 9. bis 14. September - die Geschichte des Studienseminars bis zum Kriegsende aufgeschrieben. Hat dann die Akte des prominentesten Zöglings untersucht, das Ergebnis nach Rom geschickt. Papst Benedikt XVI. hat der Veröffentlichung zugestimmt.

Wie der Kleinkrieg begann

Das legt nahe, dass die Akten für das Kirchenoberhaupt sprechen, und tatsächlich belegen sie, was der Vatikan immer gesagt hat: Joesph Ratzinger war nie freiwillig Mitglied der HJ, sondern wurde zwangsweise Hitlerjunge.

Die Akten aber erzählen darüberhinaus vom Kampf des Seminars gegen die Ansprüche des nationalsozialistischen Staates, mittendrin ein kleiner Schüler namens Joseph Ratzinger. Sie helfen, die Herkunft des Papstes zu verstehen, wenn auch anders, als die Sun es meint.

Als Joseph Ratzinger 1937 an das Traunsteiner Gymnasium kommt, zwei Jahre vor dem Eintritt ins Studienseminar, ist der Kampf der Weltanschauungen in vollem Gange. Das Studienseminar soll Kindern aus armen Familien den Weg zum Priesterberuf ermöglichen.

Die Eltern der bis zu 170 Seminaristen arbeiten meist in der Landwirtschaft, die anderen sind Arbeiter, kleine und mittlere Beamte, Handwerker, Händler. 1938/39 zahlen nur elf Schüler das komplette Kost- und Pensionsgeld. Die Disziplin am Studienseminar atmet den Geist der Klerikerausbildung des 19. Jahrhunderts.

Die Buben sollen früh vorbereitet werden auf ihr Leben als Geistlicher, der zölibatär und der Welt enthoben durchs Leben schreitet. Allzu enge Freundschaften, gar mit Kindern außerhalb des Seminars, sind unerwünscht, der Tag ist genau eingeteilt, täglich soll die Heilige Messe gefeiert, wöchentlich gebeichtet und der Rosenkranz gebetet werden.

Direktor Johann Evangelist Mair lässt jedoch oft Menschlichkeit vor Disziplin gehen, ihm liegen der Sportunterricht und die Musikerziehung am Herzen. Der Neu-Seminarist Joseph Ratzinger leidet dennoch: "Ich gehöre zu den Menschen, die nicht fürs Internat geschaffen sind", schreibt er in seinen Erinnerungen, "in einen Studiensaal mit etwa sechzig anderen Buben eingefügt zu sein, war für mich eine Folter". Nur eins erschien dem Jungen noch schlimmer: der Sport.

Das Seminar ist den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Schon bald nach der Machtübernahme Hitlers beginnt ein Kleinkrieg gegen die Kirche und ihre Nachwuchsanstalt. 1934 wird der Traunsteiner Pfarrer Josef Stelzle verhaftet, eine Bombe explodiert vor dem Pfarrhaus.

Hitlerjugend zweiter Klasse

Die Kardinal-Faulhaber-Straße vor dem Seminar wird überschmiert ("Warme Bruderstraße") und 1938 umbenannt. Vor allem aber versuchen Kultusminister Hans Schemm und der berüchtigte Gauleiter Adolf Wagner das mit dem Seminar eng verbundene Traunsteiner Gymnasium "gleichzuschalten". Der Direktor wird abgelöst, missliebige Lehrer werden verhaftet und versetzt; Schüler, die nicht in der HJ sind, haben seit 1938 keinen Anspruch auf Schulgeldermäßigung.

Trotzdem bleibt ein Drittel der Gymnasiasten der HJ fern, die Schule gilt nach wie vor als "schwarz". Mit Beginn des Schuljahrs 1939/40 wird sie mit der örtlichen Realschule zusammengelegt; dort ist der Anteil NS-naher Lehrer höher als am Gymnasium.

Für die Schüler und Eltern, die wie die Ratzingers keine Nazis sind, wird die Lage Ende der 30er Jahre immer schwieriger. Der pensionierte Polizist Ratzinger erhält 1938 ganze 242 Reichsmark, da tut es weh, wenn die Schulgeldermäßigung für Joseph wegfällt, weil der nicht in der HJ ist. Mit der Aufnahme ins Studienseminar übernimmt dann das Erzbistum einen Teil des Schulgeldes; erst 450, dann 550 Reichsmark im Jahr.

Den Seminaristen ist die Mitgliedschaft in der HJ offiziell nicht verboten - den offenen Konflikt riskiert das Erzbistum nicht. Allerdings ist jedem Seminaristen klar, was die Kirche will. So gibt es bis 1939 keinen einzigen Seminaristen, der in der HJ ist.

Ab dem 25. März jedoch müssen alle 10- bis 14-Jährigen dem "Deutschen Jungvolk" und alle 14- bis 18-Jährigen der Hitlerjugend beitreten. Die Seminarleitung leistet hinhaltenden Widerstand - erst ab Oktober meldet sie alle Seminaristen ab 14 bei der HJ an; Anmeldungen zum Jungvolk unterbleiben weiterhin.

Ermäßigtes Schulgeld gibt es für die neuen Hitlerjungen trotzdem nicht: Die Nazis unterschieden zwischen "Stamm-HJ" und "Zwangs-HJ", einer Art Hitlerjugend zweiter Klasse, von der man sich erst hochdienen soll.

Der Obrigkeit gehorsam

Durch die Zwangsmitgliedschaft in der HJ ändert sich das Leben im Seminar: Schulungen, Übungen und Appelle werden bewusst auf die Gebets- und Gottesdienstzeiten gelegt, die neue Ordnung soll die alte ersetzen. Die Seminaristen protestieren nicht, sie fügen sich diszipliniert. Sie sind unpolitisch und zum Gehorsam gegenüber der Obrigkeit erzogen - und sie wollen Staat und Partei keinen Anlass geben, noch härter gegen das Studienseminar vorzugehen.

Papst Benedikt XVI., Reuters

Papst Benedikt XVI. bei seinem Auschwitz-Besuch im Mai.

(Foto: Foto: Reuters)

Längst suchen die Nazis nach einer Gelegenheit, das Seminar zu schließen. Die Gebäude werden nach einigem Hin und Her ab 1941 als Wehrmachts-Lazarett genutzt, die Seminaristen kommen in Ausweichquartieren oder wieder bei den Eltern unter. Wie Joseph Ratzinger, der mal im Klostergebäude der Englischen Fräulein in Sparz wohnt und mal bei den Eltern, bis er am 2. August 1943 als Luftwaffenhelfer nach München abkommandiert wird.

Die Auseinandersetzungen mit den Nationalsozialisten, der Krieg, der Dienst als Flakhelfer - das alles sieht der junge Joseph Ratzinger im Dezember 1945 in einem Brief an Seminardirektor Mair als Gelegenheit, "die Schönheit und Größe unseres Berufes tiefer zu fassen, als es uns vielleicht unter normalen Umständen möglich gewesen wäre."

So gesehen gibt es tatsächlich Linien vom zwangsrekrutierten Hitlerjungen Joseph zu Papst Benedikt XVI. Hier mag die Skepsis gegenüber innerweltlichen Heilsversprechen grundgelegt sein, die Wahrnehmung, dass eine starke, in der Tradition verwurzelte Kirche am ehesten die Stürme der Zeit übersteht.

Es erklärt auch, warum Papst Benedikt Ende Mai in Auschwitz in einer ansonsten großartigen Ansprache jenen Satz sagte, der ihm viel Kritik einbrachte: dass 1933 "eine Schar von Verbrechern" das deutsche Volk verführte, benutzte und missbrauchte.

Es war kein Versuch, die Deutschen zu Opfern zu machen, ihren Anteil an Krieg und Judenmord klein zu reden. Es war das, was der junge Joseph Ratzinger damals im katholischen Oberbayern erlebt hatte: Eine Schar von Ideologen und mieser Charaktere brach mit krimineller Energie in die katholische Welt ein, im Namen einer neuen Zeit. Und zwang den 14-jährigen Joseph in die Hitlerjugend.

Volker Laube, Das Erzbischöfliche Studienseminar St. Michael in Traunstein und sein Archiv. Schnell und Steiner-Verlag, 9,90 Euro.

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