Panzerreinigung für US-Militär:Tödlicher Lack

Panzerreinigung für US-Militär: Seit den frühen Achtzigern ist bekannt, dass Chrom 6 extrem krebserregend ist. Tony Lammers, im Bild, kam damit dennoch bis 2006 ständig in Berührung.

Seit den frühen Achtzigern ist bekannt, dass Chrom 6 extrem krebserregend ist. Tony Lammers, im Bild, kam damit dennoch bis 2006 ständig in Berührung.

(Foto: oh)
  • Bis 2006 hat das US-Militär Fahrzeuge aus den Krisenregionen in den Niederlanden wieder flottmachen lassen - mit gefährlichen Stoffen und ohne ausreichend Schutz für die Arbeiter.
  • Chrom 6 ist krebserregend. Die Arbeit damit hat möglicherweise Hunderte Menschen schwer krank gemacht.
  • Der Stoff wird auch in Deutschland verwendet.

Von Katja Riedel, Anna Neifer und Claudia Zimmermann, Brunssum

Irgendetwas stimmte nicht, das wusste Tony Lammers. Immer war er erkältet, und als ihm plötzlich Blut aus Mund und Nase lief, ging er ins Krankenhaus. Bläschen waren in der Lunge geplatzt. Inzwischen ist sein ganzer Körper voller Schmerzen, voller Entzündungen. Er schläft nicht mehr und er leidet unter einer Autoimmunkrankheit, die seine Blutplättchen angreift. Tony Lammers sieht fahl aus, seine Haut ist faltig, es ist das Gesicht eines alten Mannes. Eines alten Mannes, der gerade einmal 50 Jahre alt ist.

Lange wusste Lammers nicht, warum er so krank wurde, inzwischen hat er einen starken Verdacht, und der hat mit seiner Arbeit zu tun. Für das US-Militär hat Lammers im niederländischen Brunssum nahe Aachen Kriegsfahrzeuge aufbereitet, unter anderem für die Golfkriege und für die Einsätze im ehemaligen Jugoslawien. Panzer, Lkw, Jeeps - sie alle hat Tony Lammers repariert, die Farbe abgestrahlt und neu lackiert. Süßlich habe die Farbe gerochen, und zugleich scharf, der Geruch hing in seinen Poren und in seinen Haaren.

Bis 2006 hat das US-Militär die Fahrzeuge aus den Krisenregionen der Welt in die Niederlande verschifft und dort wieder flott machen lassen, von Lackierer Tony Lammers und seinen Kollegen, die seit Ende der Achtzigerjahre auf den fünf sogenannten Poms-Sites arbeiteten. Solche Zentren hat es auch in Deutschland gegeben, unter direkter Regie der Amerikaner. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden sie in die Niederlande verlegt. Und: Die Arbeit wurde outgesourced, an das niederländische Militär.

Gefährliche Stoffe

In strukturschwachen Gegenden sollte die Panzerreinigung gute Arbeit bringen. Doch seit Kurzem ist klar, dass diese gute Arbeit nicht nur Lammers, sondern möglicherweise Hunderte Menschen schwer krank gemacht hat. Denn sie sind über Jahre mit gefährlichen Stoffen in Berührung gekommen - ohne ausreichenden Schutz, und mit dem Wissen ihres Arbeitgebers.

Unter den gefährlichen Stoffen war einer, der als Korrosionsschutz in den Lackschichten vieler Fahrzeuge steckte: Chrom 6. Dieser Stoff kann über die Atemwege, die Speiseröhre und die Haut in den Körper gelangen und dort genotoxisch wirken, also erbgutschädigend.

Dass Chrom 6 krebserregend ist und Menschen deshalb möglichst nie damit in Berührung kommen sollten, ist seit den frühen Achtzigerjahren durch verschiedene Studien und Arbeitsschutzvorschriften belegt. Im zivilen wie militärischen Flugzeugbau, etwa bei Lufthansa Technik und bei Airbus, werden chromathaltige Lacke jedoch nach wie vor als Korrosionsschutz vor allem bei älteren Flugzeugtypen eingesetzt. Nur diese Lacke seien derzeit zugelassen, betonen beide Unternehmen. Airbus wartet im bayerischen Manching auch die Flieger der deutschen Luftwaffe. Dem Schutz der Mitarbeiter komme höchste Priorität zu, heißt es.

Grenzwert um das 15-fache überhöht

Auf den niederländischen Poms-Sites war dieser Schutz offenbar nicht gegeben. Dort ergaben Messungen 1999 und 2002 in Brunssum und Vriezenveen, dass der damals gültige Grenzwert an einzelnen Stellen um das 15-fache überhöht war. Das belegen Dokumente, die der Süddeutschen Zeitung und dem WDR vorliegen. Doch diese Dokumente verschwanden in Schubladen, bis zum vergangenen Herbst.

Ihr Auftauchen zwang das Ministerium im Dezember zu einem Aufruf: Alle Mitarbeiter, die sich Sorgen um ihre Gesundheit machen, sollten sich melden, sie sollen entschädigt werden. 1400 haben sich bisher gemeldet - 400 von ihnen sind bereits schwer krank. Und viele ehemalige Kollegen sind bereits gestorben, meist an Krebs.

Besonders gefährlich seien die Chromatschichten, wenn sie abgeschliffen werden. So beschrieb es der arbeitsmedizinische Dienst, der die Analysen 1999 und 2002 erstellt hat. "Jede Aussetzung, so klein sie auch ist, muss vermieden werden." Jeder Kontakt könne "im Prinzip zu Krebs führen". Verfahren, bei denen Chrom 6 freigesetzt werden könnte, "können nicht mehr ausgeführt werden an den heutigen Arbeitsstätten". Das Ventilationssystem basiere auf zirkulierender Luft, "es ist möglicherweise verunreinigt mit Chrom 6".

Sie trugen nur Blaumann, keinen Schutzanzug

Doch für Tony Lammers und seine Kollegen änderte sich nichts. Von den alarmierenden Werten haben sie erst jetzt, 15 Jahre später, erfahren. Die Arbeiter berichten, dass sie nach wie vor nur mit einer Gummimaske vor dem Mund arbeiteten, die sich häufig verschob, sodass Farbpartikel am Mund klebten. Sie trugen nur Blaumann, keinen Schutzanzug. Und sie aßen sogar ihre Pausenbrote in den Hallen und feierten dort Feste. Umso alarmierter waren sie, als an einem Zugang der längst stillgelegten Hallen in Brunssum plötzlich im vergangenen Sommer ein Schild hing: Betreten verboten - wegen hochgiftiger Stoffe.

Dabei wollte das niederländische Verteidigungsministerium die Sache lange auf kleiner Flamme halten. Noch im vergangenen Herbst, als erste Betroffene mit einer Sammelklage drohten, gab man sich bedeckt. Das änderte sich, als brisante Dokumente auftauchten. Einer der später Erkrankten hatte Tabellen mit überhöhten Grenzwerten in einem Kopierer gefunden - und all die Jahre aufbewahrt, nicht wissend, dass sie ihm und den Kollegen nun zu einer Entschädigung verhelfen können.

Wie hoch diese ausfällt, ist unklar. Ministerin Jeanine Hennis-Plasschaert hat dazu eine Untersuchungskommission eingesetzt. Tony Lammers wünscht sich vor allem eines: "Die sollen jetzt endlich mal sagen: Ja, okay, wir haben euch mit Gift arbeiten lassen. Wir wussten es. Es tut uns leid."

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