Oscar Pistorius vor Gericht:Bühne ohne Schauspieler

Oscar Pistorius

Oscar Pistorius schilderte am Dienstag die Ereignisse der Tatnacht.

(Foto: AP)

Stringent und in Übereinstimmung mit früheren Äußerungen schildert Oscar Pistorius, wie er auf Reeva Steenkamp geschossen hat - während er stundenlang um Fassung ringt. Sein Zustand bewegt viele im Gerichtssaal. Doch wie wirkt sich das auf den Richterspruch aus?

Von Lena Jakat

Bis auf den letzten Platz sind die Zuschauerreihen gefüllt. Mit Fachpublikum, Interessierten, Verwandten, die angespannt auf jedes Wort hören, das fällt. Kameras schwenken durch den Raum, Mikrofone zeichnen das Geschehen auf. Die Richterin, Regisseurin der Handlung, sitzt meist schweigend auf ihrem Platz. Oscar Pistorius ist an diesem Dienstag der Protagonist in einem Verfahren, das oft mit einem Drama verglichen wurde. In einem Gerichtssaal, der oft mit einer Theaterbühne verglichen wurde. Am Ende des 17. Prozesstages sind sich viele Beobachter einig: Oscar Pistorius, 27 Jahre alt, beidseitig beinamputierter Athlet, mag vieles sein. Paranoid, cholerisch, womöglich ein Mörder. Aber er ist kein Schauspieler.

Das Videomaterial von diesem Dienstag zeigt ausschließlich die Richterin, Anwälte, Ankläger, das Publikum. Von Pistorius im Zeugenstand gibt es keine Bilder. Wie etliche Zeugen vor ihm hat er das Recht in Anspruch genommen, während seiner Aussage nicht gefilmt zu werden. Doch die Mikrofone übertragen seine brüchige Stimme in Echtzeit ins Netz, durch die Nachrichtenkanäle der Welt. Tausende dürften an diesem Dienstag verfolgt haben, wie Pistorius mit stockender Stimme von der Nacht zum 14. Februar 2013 berichtete - der Nacht, als Reeva Steenkamp starb. Er spricht langsam und konzentriert. Höflich fügt er fast jedem Satz ein "Mylady" hinzu, er scheint sich ausschließlich an Richterin Thokozile Masipa zu wenden. Immer wieder entgleitet ihm die Stimme.

Detailliert schildet Pistorius, wie Steenkamp und er früh zu Bett gegangen seien, wie er wie jede Nacht die Schlafzimmertür abgeschlossen und einen Baseballschläger daneben platziert habe. Die Alarmanlage sei wie jede Nacht angeschaltet, seine Waffe unter seinem Bett abgelegt gewesen. Die Prothesen neben sich auf dem Boden, sei er bei geöffneter Balkontür eingeschlafen. Als er in den frühen Morgenstunden aufgewacht sei, habe Reeva wach neben ihm gelegen. "Kannst du nicht schlafen, Baba?" habe sie gefragt. Ohne seine künstlichen Beine sei er aus dem Bett gestiegen, um zwei Ventilatoren vom Balkon in das heiße Zimmer zu holen.

Pistorius: "Ich habe ein Geräusch im Badezimmer gehört. Es klang wie ein Fenster, das geöffnet wurde."

Verteidiger Barry Roux: "Was haben Sie da gedacht?"

Pistorius: "Das war der Moment, der alles veränderte. Ich dachte, da war ein Einbrecher."

Pistorius berichtet im Detail von jener Nacht - wie er sich mit vorgehaltener Waffe ins Bad vortastete, wie er fürchtete, jemand sei über eine Leiter dort eingestiegen. Wie er ein Geräusch in der Toilettenkabine vernahm. Wie er schließlich schoss: "Bevor ich wusste, wie mir geschah, hatte ich vier Schüsse abgegeben." Alles, was Pistorius an diesem Dienstag sagt, klingt erstens in sich stimmig. Zweitens steht seine Aussage nicht im Widerspruch zu seiner eidesstattlichen Erklärung vom August. Zwar hat Pistorius einiges erwähnt, das bisher nicht bekannt: das Gespräch mit Reeva kurz nach dem Aufwachen, das Zuschlagen der Toilettentür. Doch Inkonsistenzen gab es keine.

Ein stringenter Bericht, vorgetragen von einem Angeklagten, der sich über Stunden deutlich hörbar an einen letzten Rest Fassung klammert: Wäre es an der Öffentlichkeit zu urteilen, hätte dieser Prozesstag für Oscar Pistorius womöglich alles verändert. Selbst Reporter, die bislang äußerst nüchtern aus dem Gerichtssaal berichteten, schrieben von "herzerweichendem Schluchzen" des Angeklagten. BBC-Korrespondent Andrew Harding kommentierte auf Twitter: "Wir können und werden uneinig über Grund und Natur von Oscar Pistorius' Kummer sein. Aber ich glaube nicht, dass das jemand heute im Gericht als 'gespielt' empfand."

Würde in Pretoria ein Geschworenengericht wie in den USA tagen, Pistorius und sein Verteidiger-Team hätten heute wohl einen wichtigen Sieg errungen. Doch die Jury, die über schuldig oder unschuldig zu befinden hat, besteht nicht aus emotional berührten Prozessbeobachtern. Auch nicht aus ausgewählten Laien. Sondern einzig und allein aus Richterin Thokozile Masipa.

Professionelle Nachsicht

Sie hat schon am Montag dem Bitten der Verteidigung nach einem frühen Ende des Prozesstags nachgegeben, zeigt auch am Dienstag wieder Verständnis für die emotionale Ausnahmesituation des Angeklagten. Sie unterbricht den Prozess am Vormittag außerplanmäßig, sie lässt den Angeklagten reden, ermahnt ihn nur bisweilen, lauter zu sprechen. Sie erlöst Pistorius, als er bei der Schilderung, wie er Steenkamp in der Toilette fand, schluchzend zusammenbricht. Entlässt ihn aus dem Zeugenstand. Zu einer Mitleidsbekundung lässt sie sich jedoch nicht hinreißen. Alles, was sie preisgibt, zeugt von professioneller Nachsicht, mehr nicht.

Doch Masipa ist eine Juristin mit 16 Jahren Berufserfahrung als Richterin. Sie gilt als scharfsinnig und besonnen, führt das Verfahren bisher aus dem Hintergrund heraus, sagt selbst nur das Wichtigste. Fortwährend macht sie sich Notizen. Doch sie wird es sein, die - voraussichtlich Mitte Mai - mit dem Urteilsspruch die entscheidenden Worte in diesem Prozess formuliert. Wie er lauten wird, inwiefern sich von Pistorius' Auftritt beeindrucken lässt, ist derzeit in keinster Weise abzusehen.

Am Mittwoch muss Pistorius in den Zeugenstand zurückkehren, ihn erwartet das Kreuzverhör durch die Staatsanwaltschaft.

Linktipps:

Was sich am Montag und Dienstag ereignete, als Pistorius selbst erstmals in den Zeugenstand trat, lesen Sie hier.

War es Absicht? Die wichtigsten Fragen, denen sich Pistorius nun stellen muss.

Wessen Aussage entlastet Pistorius? Wer belastet ihn? Alle bisherigen Zeugenaussagen haben wir hier für Sie zusammengefasst und bewertet.

Was seit dem 14. Februar 2014 geschah: Eine Chronologie der Ereignisse.

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