Orkan "Friederike":Eingesperrte Feuerwehrleute und Schneechaos im Norden

Sturmtief 'Friederike' - Hamburg

Wintereinbruch in Hamburg: Ein Mann bahnt sich seinen Weg durch den Schnee.

(Foto: dpa)

Vor "Friederike" kapitulieren nicht nur viele Baumwurzeln und Hausdächer im ganzen Land, sondern auch die Bahn und die SPD. Eine Auswahl.

Von SZ-Autoren

203 Kilometer pro Stunde: So schnell fegte Orkan Friederike am Donnerstag über den Brocken im Harz, das ist schneller als Sturm Kyrill, der vor exakt elf Jahren schwere Schäden in Deutschland anrichtete. Auch Friederike versetzte viele Regionen in den Ausnahmezustand. Umgestürzte Bäume blockieren Straßen, Dächer werden abgedeckt, die Feuerwehren fahren Tausende Einsätze. Der Fernverkehr der Deutschen Bahn steht still. Mehrere Menschen sterben im Sturm, etliche werden verletzt.

SZ-Korrespondenten berichten aus ihren Städten:

Glimpflicher Blechschaden in Hannover

Am späten Nachmittag ist in der Region Hannover das Schlimmste überstanden: Der Sturm ist weitergezogen, die amtliche Unwetterwarnung aufgehoben. Zuvor gibt es knifflige Minuten in der niedersächsischen Landeshauptstadt. Im Stadtteil Vahrenwald bemächtigt sich Friederike eines Baukrans, der auf ein Wohnhaus zu stürzen droht. Im Laatzener Stadtteil Rethen fahren zwei 25-Jährige mit ihrem Kleinwagen gerade aus der Garage, als ein mächtiger Baum aufs Hinterteil ihres Autos kracht. Großer Schaden, doch beide bleiben unverletzt.

Die Feuerwehr wird im Stadtgebiet von Hannover an mehr als 160 Einsatzorte gerufen. Auch in der Region gibt es viel zu tun. Ebenfalls gerne ausgerückt wäre die Freiwillige Feuerwehr in der Ortschaft Nöpke bei Neustadt am Rübenberge. Geht aber nicht: Die Straße am Gerätehaus wird von zwei umgestürzten Bäumen blockiert. Die müssen zuerst weggeräumt werden.

Carsten Scheele

Stürmische Streitpause für die SPD in Sachsen

Am Morgen ist in Leipzig von Orkantief Friederike kaum etwas zu spüren außer ein paar Regentropfen. Doch gegen zwölf Uhr nimmt die Windgeschwindigkeit heftig zu, jeder Fußweg wird zum Hindernislauf. Dachschindeln stürzen von den Dächern, herumfliegender Müll landet im Gesicht. In mehreren Leipziger Stadtteilen werden Bäume entwurzelt, die Deutsche Bahn hat ihren Nahverkehr eingestellt. Wer kann, verlässt das Büro so früh wie möglich, aus Angst, dass auch Trambahnen und Busse ausfallen könnten. "Bei so einem Sturm bin ich lieber zu Hause", sagt eine Leipzigerin.

Friederike bedroht auch den innenpolitischen Frieden der sächsischen SPD. Die Genossen sind heftig zerstritten in der Frage um eine Neuauflage der großen Koalition. Bei einer Mitgliederversammlung wollten sich Gegner und Befürworter noch einmal austauschen. Doch das Treffen wird kurzfristig abgesagt. Zu gefährlich, Friederike.

Antonie Rietzschel

Umgewehte Kinder in München

Mittagspause mit dem Kollegen, in der Kantine hört man den Wind pfeifen. Man wagt sich heraus aus dem SZ-Glasturm und stellt sich so nah an die Fassade, wie es nur irgendwie geht. Da verlassen ein paar Hartgesottenere das Gebäude, es sind die Kinder aus der Kita mit ihren Betreuern. Eine rosafarbene Mütze fliegt davon, fünf Meter, zehn Meter. Und dann ein Kind, ein Meter, zwei Meter. Oje - alles in Ordnung? Da steht das Kind schon wieder auf und läuft weiter. Auch für den Rest Münchens verlief der Sturmtag vergleichsweise glimpflich. Baustellenabsperrungen machen sich selbständig und krachen auf Autos, einzelne Stromausfälle legen Rolltreppen und Aufzüge an U-Bahn-Stationen lahm.

Friederike (sic!) Zoe Grasshoff

Gestrandet in Bamberg

16.03 Uhr, geplante Ankunft mit dem ICE-Sprinter in München, 19 Uhr Vortrag über den NSU-Prozess halten. Viel Luft. Doch um kurz nach 15.30 Uhr hält der ICE plötzlich in Bamberg. In Bamberg? Kein regulärer Stopp auf der Strecke von Berlin nach München. Woche für Woche pendle ich auf dieser Strecke zum NSU-Prozess. Diese Woche ist der Richter krank, die Verhandlung fällt aus. Ich fahre trotzdem. Schlechte Idee.

Es geht mit einem Regionalzug weiter nach Nürnberg, von dort mit dem nächsten Regionalzug nach München. 17.17 Uhr: immer noch Nürnberg. Der Regionalzug fährt nicht. Zu voll, lautet die Durchsage. Wohl Hunderte Fahrgäste können das bestätigen. Doch aussteigen will niemand. "Nutze den Zug, der da ist, hoffe nie auf den nächsten", hat mir mal ein Bahn-Mitarbeiter geraten. Alle anderen denken offensichtlich genauso. Der Reporter, den wir draußen am Gleis erahnen, wird mit wenig freundlichen Worten bedacht, als er sich nach unserem Befinden erkundigt. 17.22 Uhr: Die Türen schließen sich, der Zug fährt los. Jubel, Applaus. Sturm gefährdet NSU-Vortrag, denke ich. Sturm! Ein blöder Witz. Beate Zschäpes Verteidigerin heißt Sturm.

Wiebke Ramm

Schneechaos im Norden

Schneefall ist kein alltägliches Wetterphänomen im nördlichsten Teil Deutschlands. Die Vorhersage, dass 20 Zentimeter der weißen Pracht über den Süden Schleswig-Holsteins kommen würden, wirkte deshalb zunächst irgendwie exotisch. Und viele staunen, als am Vormittag sehr dicke Flocken über Hamburg niedergehen. Sie sehen aus wie abgerissene Wattefetzen und beeinträchtigen den Alltag der Menschen sehr. Es kommt zu Verspätungen im Busverkehr. Am Hauptbahnhof stellt die Bahn Aufenthaltszüge zur Verfügung, weil Fahrgäste wegen des Wetters nicht mehr weiterfahren können. Die Polizei spricht von rund 150 Verkehrsunfällen im Stadtgebiet. Am Stadtpark in Winterhude fällt einem 18-Jährigen ein Ast von 30 Zentimetern Durchmesser aus zehn Metern Höhe auf den Kopf und verletzt ihn schwer.

Auf den Fernstraßen in Schleswig-Holstein geht es teilweise nur sehr langsam voran. Wo es nicht langsam vorangeht, wird vielen ihre Geschwindigkeit auf glatter Fahrbahn zum Verhängnis. Es gibt Unfälle und Verletzte. In Klinkrade im Kreis Herzogtum Lauenburg stürzt ein Linienbus um, in dem drei Personen sitzen; die Insassen bleiben unverletzt, kommen aber zunächst nicht aus dem Bus heraus. Hans Jacobs von der Forstabteilung der Landwirtschaftskammer warnt vor Spaziergängen unter Bäumen. In den Wäldern könnten unter der Last des nassen Schnees Zweige abbrechen. "Außerdem kann der Wind richtig Schneebänke herunterpusten, die möglicherweise auf rodelnde Kinder krachen", sagt Jacobs im Norddeutschen Rundfunk.

Thomas Hahn

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