Oregon:Spurensuche inmitten der Trauer

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Hunderte Menschen haben sich in Roseburg Stunden nach dem Amoklauf zu einer spontanen Trauerfeier versammelt.

(Foto: AFP)
  • In der amerikanischen Stadt Roseburg trauern die Menschen um die Opfer eines Amoklaufs mit neun Toten.
  • Der Tathergang ist rekonstruiert, als Täter wird ein 26-Jähriger identifiziert.
  • Über sein Motiv weiß die Polizei bislang nichts. Er hat Spuren im Internet hinterlassen.

Von Anna Fischhaber und Oliver Klasen

Roseburg, eine kleine Stadt im Süden Oregons mit etwas mehr als 20 000 Einwohnern, ist jetzt auch Teil dieser unrühmlichen Liste. Jener Liste, auf der US-Städte wie Columbine, Aurora, Newtown stehen, aber auch Erfurt und Winnenden. Es sind Städte, in denen viele Menschen starben, weil ein Amokläufer um sich schoss; Städte, deren Namen seither für ein abscheuliches Verbrechen stehen.

Am Abend nach der Tat ist Roseburg geschockt, fassungslos vor Trauer. Neun Menschen sind tot, erschossen worden in nur zehn Minuten am Umpqua Community College. Wie die regionale Zeitung The Oregonian auf ihrer Website schreibt, versammeln sich Stunden nach der Tat im Stewart Park in der Stadt spontan Hunderte Menschen zu einer Mahnwache. Sie haben Kerzen mitgebracht, es gibt auch ein paar Reden. Rita Cavin, die derzeitige College-Präsidentin, fordert die Menge auf, ihr Mitgefühl mit den Angehörigen der getöteten Studenten und Mitarbeiter zu teilen, aber nicht ihre Wut: "Wut war die Ursache für diese Tat. Aber jetzt in dieser Minute, unter uns, können wir keine Wut gebrauchen."

Trauernde rufen dazu auf, auch den Täter ins Gebet einzuschließen

Andere rufen dazu auf, auch den Täter und seine Familie in die Gebete mit einzuschließen. "Ich mag mir gar nicht ausmalen, welche Trauer ich fühlen würde, wenn mein Kind das getan hätte. Sie werden jetzt eine große Schuld mit sich tragen. Auch sie haben heute ihr Kind verloren", sagt Barbara Contreras, eine Mutter von sechs Kindern.

Die Trauerreden und das stumme Gedenken im Kerzenschein werden, so heißt es in dem Bericht, vom Aufleuchten der Smartphones begleitet. Wenn Einzelne in der Menge eine erlösende Nachricht bekommen, dass es ihren Freunden gutgeht und sie nicht unter den Opfern waren.

In die Trauer an diesem Abend mischen sich auch Fragen. Wie ist das passiert? Wer ist der junge Mann, der das getan hat? Und warum hat er es getan?

Die erste Frage ist noch einigermaßen gut zu beantworten. Wie sich die Tat abgespielt haben muss, ist inzwischen rekonstruiert. Von 10:38 Uhr, als der erste Notruf einging, über den Schusswechsel mit der Polizei bis zu dem Moment als ein Mitglied der Spezialeinheit über Funk gesagt haben soll: "Der Verdächtige ist getroffen."

"Sie werden mich nie diesen Namen sagen hören"

Die anderen beiden Fragen sind viel schwieriger zu beantworten. Zum einen, weil die Informationen über den Täter und sein Motiv derzeit ein Gemisch aus Mutmaßungen, Spekulationen und Halbwahrheiten sind. Zum anderen, weil in Roseburg ein Unbehagen zu spüren ist, man gebe dem Amokläufer zu viel Aufmerksamkeit, wenn die öffentliche Diskussion um ihn kreise und nicht um die Opfer. John Hanlin, der zuständige Bezirkssheriff, weigerte sich am Donnerstagabend sogar, die Identität des Attentäters preiszugeben. "Sie werden mich nie diesen Namen sagen hören", sagte Hanlin. Er wolle dem Täter nicht diese Ehre erweisen.

Weil das Informationsbedürfnis stärker ist als dieses Unbehagen, dringen später trotzdem Details über den Täter an die Öffentlichkeit: Von verschiedenen Medien wird der Schütze als Chris Harper Mercer identifiziert, 26 Jahre alt. Wie der US-Sender CBS unter Berufung auf die Stiefschwester berichtet, soll er in England geboren und als junger Mann in die USA gekommen sein.

Seine Eltern lebten zunächst in der Nähe von Los Angeles, sie sollen sich 2005 oder 2006 getrennt haben. Der Vater des Schützen, der noch immer in der Nähe von L.A. lebt, sagte mehreren US-Sendern, es sei für ihn und die Angehörigen ein erschütternder Tag gewesen. Die Stiefschwester des 26-Jährigen betonte, ihr sei die Tat unerklärlich. "Er stellte immer das Wohl anderer über sein eigenes. Er wollte, dass alle glücklich sind."

Es ist nicht bekannt, welche Verbindung Mercer zu dem Community College hatte - offenbar war er kein Student dort. Auch welchen Bezug er zu dem Literaturkurs hatte, den er mit seinen Waffen attackierte, ist unbekannt. Sein Name taucht nach Informationen des Guardian allerdings in Zusammenhang mit einer geplanten Theateraufführung an dem College auf.

Zuletzt soll Mercer mit seiner Mutter in einem Apartment gewohnt haben, das nur wenige Meilen vom Umpqua Community College entfernt liegt. Es handele sich dabei um ein dunkles Gebäude in dem Ort Winchester, vor dem nun ein Absperrband der Polizei hängt, berichtet die New York Times. Polizisten versuchten, Journalisten zu verscheuchen und suchten im Inneren des Hauses nach Hinweisen auf ein mögliches Motiv.

Ob der Schütze sich selbst richtete oder von der Polizei getötet wurde, ist noch unklar. Mehreren US-Medienberichten zufolge wurden am Tatort Waffen und ein Handy mit Nachrichten sichergestellt. Nach Informationen der New York Times hatte Mercer drei Pistolen und ein langes Gewehr dabei. "Er scheint ein wütender, hasserfüllter junger Mann gewesen zu sein", mit diesen Worten wird ein Regierungsvertreter zitiert, der auch die Identität des Schützen offiziell bestätigte.

Nachbarn zufolge war Mercer ein verschlossener, schüchterner junger Mann, der jeden Tag dasselbe Outfit trug: Springerstiefel, grüne Armeehose und ein weißes T-Shirt. Andere Nachbarn erinnern sich in der New York Times an einen zerbrechlichen Mann mit Glatze und dunkler Brille. Er und seine Mutter seien oft zusammen gewesen.

Spuren im Internet

Über das Motiv des jungen Mannes weiß die Polizei bisher nichts. Nach Zeugenaussagen spekulieren mehrere Medien, dass Religion eine Rolle gespielt haben könnte. Studentin Kortney Moore, die mit ansehen musste, wie ihr Dozent von einer Kugel am Kopf getroffen wurde, erzählte der Zeitung Roseburg News-Review, dass der Schütze sie aufgefordert habe, aufzustehen und ihre Religion zu nennen. Dann habe er das Feuer eröffnet.

Der Vater von Stacy Boylan, einer anderen Studentin in dem Kurs, sagte dem Sender CNN, der Schütze habe die christlichen Studenten aufgefordert, aufzustehen und diese erschossen. Er soll gesagt haben: "Gut, wenn du Christ bist, wirst du Gott in nur etwa einer Sekunde sehen." Seine Tochter habe überlebt, weil sie sich tot stellte. Die Behörden bestätigten zunächst nicht, dass der Täter gezielt Christen ins Visier genommen habe. Dafür sei es zu früh. Sie prüfen nun Einträge in sozialen Medien.

Im Netz hat der Schütze offenbar zahlreiche Spuren hinterlassen. Im teils anonymen Webforum "4chan" wurde die Tat am Mittwoch angedeutet - möglicherweise vom Täter selbst, berichtet der Guardian. Auf einer MySpace-Seite, die Mercer gehören soll, ist ein Bild von ihm mit Gewehr zu sehen sowie Verweise auf die Irish Republican Army (IRA). Was das alles mit dem Amoklauf zu tun haben könnte, weiß bisher niemand.

Es sind nur Puzzleteile, die die Polizei jetzt mühsam zusammensetzen muss, während Roseburg weiter trauert.

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