Orchester-Mutprobe in Dänemark:Am Ende hilft nur Milch

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Tränen fließen über die Wangen, als es endlich vorbei ist, sinkt der Erste Geiger zu Boden und bleibt erschöpft liegen: Derart schmerzverzerrt wie das Danish National Chamber Orchestra haben Musiker selten gespielt. Der Grund: ein feuriger Snack - und ein Kampf ums Überleben.

Von Silke Bigalke

Es ist eine Verzweiflungstat, der letzte Tango des Danish National Chamber Orchestra: In einer Kopenhagener Konzerthalle spielen sie "Jalousie" von Jacob Gade. Tränen fließen über ihre Wangen, Schweiß in ihre Augen, sie wischen ihn mit Anzugärmeln von der Stirn. Leidensmienen gehören zwar zum Tango dazu. Doch derart schmerzverzerrt wie in diesem Video haben Musiker selten gespielt. Sie halten durch bis zum letzten Ton. Dann brechen sie zusammen, lassen Bögen und Blasinstrumente fallen, stürmen keuchend aus dem Saal. Der Erste Geiger sinkt zu Boden und bleibt erschöpft liegen.

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Was aussieht wie eine Tränengasattacke ist mehr eine Mutprobe. Als das Orchester sie bestanden hat, kann nur noch einer applaudieren: der Dirigent, der kein echter Dirigent ist, sondern ein dänischer Entertainer. Claus Pilgaard, Künstlername "Chili Klaus", füttert Prominente mit Chilis und schaut dann zu, wie sie vor laufender Kamera die Kontrolle verlieren. Dem Orchester hat er drei verschiedene Sorten zur Auswahl mitgebracht: Carolina Reapers, Ghost Peppers und Trinidad Scorpion Moruga. Die letzte Sorte ist die schärfste. In ihrem Herkunftsland Trinidad esse diese niemand, erzählt Pilgaard, weil sie den Menschen dort viel zu scharf sei. Ein paar Musiker, die im Video besonders leiden, haben sie sich trotzdem ausgesucht.

Eine Probe, ein Vorkosten gab es nicht. Eine Minute spielt das Orchester wie gewohnt. Dann gibt Pilgaard das Zeichen und jeder Musiker steckt sich eine ganze Chili in den Mund, kaut, spielt weiter, versucht zu schlucken, zu husten, zu atmen, und nicht aufzuhören, mit der Musik. "Das waren die härtesten Minuten, die ich in meinem Leben je gespielt habe", sagt Mette Bugge Madsen, Orchester-Vorsitzende und Klarinettistin. "Manche wären fast zusammengebrochen." Am Ende habe es geholfen, sich auf die Musik zu konzentrieren. Was man auf dem Video nicht sieht: Vor dem Saal warteten schon Helfer mit literweise Milch.

Die Qual hat sich gelohnt

Zum Löschen. Chili-Klaus sagt, das Orchester sei leicht für sein Experiment zu gewinnen gewesen. "Sie sind es gewöhnt, Gefühle zu zeigen. Hätten wir den Teil, in dem sie die Chili essen, rausgeschnitten, hätte man nur äußerst leidenschaftliche Musiker gesehen." Die Qual hat sich gelohnt: Das Video mit dem Chili-Tango wurde auf Youtube innerhalb weniger Tage mehr als 1,7 Millionen Mal angeklickt.

Genau das war der Zweck des Konzerts. Das Orchester kämpft um sein Bestehen und daher um Aufmerksamkeit. Es gehört zum öffentlich-rechtlichen Sender DR, der sparen muss. Ende des Jahres will er das Orchester, das vor allem für sein Mozart-Repertoire bekannt ist, auflösen - nach 77-jährigem Bestehen. Dabei war es für kommendes Jahr bereits gut gebucht, erzählt Mette Bugge Madsen, unter anderem für Konzerte in Graz und New York. Die sind abgesagt worden. "Wir versuchen jetzt alles, um zu überleben", sagt die Musikerin. Egal, wie weh es tut.

© SZ vom 06.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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