Oktoberfest in Paris:Wie Gott in Bayern

Oans, zwoa, drei, gsuffa! Überall auf der Welt feiern die Menschen Oktoberfeste - nun auch in Paris. Wenn nur die schweren Bierkrüge nicht wären!

Von Leo Klimm, Paris

Gerade kommt wieder eine dieser zarten Französinnen zu Jochen Mörz an den Bierausschank. Mit einer Mass in der Hand schwebt die Bedienung wieder davon. Mit einer Mass nur! Festwirt Jochen Mörz - ein kräftiger Mann, der früher einmal Eishockey-Nationalspieler war - könnte sich jetzt ärgern über seine neuen Mitarbeiterinnen. Das Bier-Ballett, das sie in ihren schnell herbeigeschafften Dirndln aufführen, mag fast anmutig wirken. Doch es kostet Umsatz. Beim Oktoberfest in München oder in den Zelten, die Mörz von Maisach bis Mallorca aufschlägt, schaffen die Kellnerinnen zwölf Masskrüge auf einmal. Mörz sitzt trotzdem ganz ruhig in seiner Lederhose da und brummt: "Das wird noch! Wir leisten hier Aufbauarbeit."

Er könnte auch sagen: kulturelle Entwicklungshilfe. Und das an einem Ort, dessen Entfernung von bajuwarisch-germanischen Feiersitten durch die kulturelle Distanz zwischen Hofbräuhaus und Académie française definiert ist. Überall auf der Welt wird das Oktoberfest schon lange nachgeahmt. In Italien, China, Japan, Brasilien, in den USA. Paris, die Kapitale von Hochkultur und Stil, schien bisher immun zu sein gegen den Reiz kollektiven Bierkonsums in stickigen Festhallen und Mitsing-Hymnen aus dem Lande der Helene Fischer.

Das Publikum ist ja so dankbar

Seit dem vergangenen Wochenende jedoch ist der Widerstand gebrochen. Es bebt das Zelt, in dem Mörz und der in Paris beheimatete Unternehmer Ralf Schneider das erste Oktoberfest in Frankreichs Hauptstadt ausrichten: "Die Leute gehen richtig mit, die sind so feierfreudig!" Schneider ist begeistert, weil seine Gäste es auch sind.

Schneider und Mörz starten ihren Pariser Oktoberfest-Versuch zu einer Zeit, in der das französische Selbstbewusstsein so angeknackst ist, dass vielen im Land alles Deutsche sowieso irgendwie besser vorkommt. Ein Ausflug zum "fête de la bière" ermöglicht da ein paar Stunden Leben wie Gott in Deutschland beziehungsweise wie in Bayern - oder das, was man dafür hält.

Die Besucher müssen sich das Pariser Oktoberfest allerdings wirklich verdienen. Denn es ist noch eine Randerscheinung, auch im Wortsinn: Das Zelt steht in einer unwirtlichen Gegend im äußersten Nordosten der Stadt, eingezwängt zwischen grauen Messehallen, der Stadtautobahn und Bahngleisen. Mit 1200 Menschen fasst es weit weniger Gäste als ein Wiesnzelt.

Von "Herzilein" bis "Sierra Madre"

Aber der Anfang ist gemacht. Auf der Bühne spielt eine Band, die auch auf der echten Wiesn auftritt, Schunkellieder von "Herzilein" bis "Sierra Madre". Den Zeltschmuck, die Bierbänke, die bayerischen Delikatessen - von Obazda bis Griebenschmalz - hat Mörz in acht Lastwagen herangekarrt. Am Ausschank füllen seine Leute Paulaner-Oktoberfestbier in die Krüge. 12,90 Euro kostet die Mass, 2,60 Euro mehr als auf der Wiesn. Solche Preise ist man in Paris gewohnt.

Das Publikum nimmt's gelassen. Es ist ja so dankbar. Viele in Paris lebende Deutsche sind darunter, aber die meisten sind Franzosen. Manche tragen wie selbstverständlich Dirndl und Lederhose, andere sind zum ersten Mal mit Ein-Liter-Krügen konfrontiert. Es dauert nicht lange, bis auch sie sich bierselig beim Tischnachbarn unterhaken. Zwischendurch schickt der Veranstalter eine Truppe Cancan-Tänzerinnen in Rüschenröckchen über die Bühne. Ein bisschen französische Frivolität, denkt er, passt gut ins Konzept. Es heizt die Stimmung weiter an. Vielleicht tun er und Mörz mit ihrem Fest auch mehr für die deutsch-französische Freundschaft als Angela Merkel und François Hollande es je könnten.

Les chopes en l'air!

Wobei selbst im Bierzelt besondere Anstrengungen zur Verständigung nötig sind. So kommt es, dass der Sänger der Band - ein Elsässer - sich selbst ständig simultan übersetzt. Auf "Die Krüge hoch!" folgt: "Les chopes en l'air!" Nach "Wo sind die Määäänner?" kommt: "Où sont les hommes?" Nur "Prosit, Gemütlichkeit" bleibt unübersetzt. "Gemütlichkeit" kennt das Französische nicht. Noch nicht.

Schneider und Mörz sind zufrieden. Das Zelt war voll am ersten Wochenende. Ihr Ziel, auf durchschnittlich 900 Besucher am Tag zu kommen, ist erreichbar. Jetzt müssen sie nur noch ein paar Sachen regeln: Den Vorrat an Heizöl aufstocken zum Beispiel, denn die Nächte werden frisch. Und den Bierkrug-Schwund stoppen. 70 Krüge knöpfen die Sicherheitsleute allzu begeisterten Gästen jeden Abend ab. Von den zarten Bedienungen haben einige noch am ersten Abend aufgegeben. Andere dagegen fühlen sich angespornt: Sie schaffen jetzt schon sechs Mass.

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