Öffentlicher Nahverkehr:E-Scooter-Verbot in Bussen verärgert Behinderte

Öffentlicher Nahverkehr: Ein Elektromobil fährt in einen Bus ein (Foto aus Salzburg).

Ein Elektromobil fährt in einen Bus ein (Foto aus Salzburg).

(Foto: imago/Manfred Siebinger)
  • Weil ein Gutachten Elektro-Scooter für Ältere und Gehbehinderte in Bussen und Bahnen als gefährlich einstuft, haben Verkehrsbetriebe von Köln bis Oldenburg die Fahrzeuge verbannt.
  • Behindertenverbände kritisieren die Entscheidung und stellen das Gutachten in Frage.
  • Wird das Verbot auf weitere Städte ausgeweitet, dürften Tausende betroffen sein.

Von Jannis Brühl, Köln

Von einem Tag auf den anderen ist der Bus tabu. Gehbehinderte und alte Menschen, die auf Elektromobilen unterwegs sind, sitzen in Köln, Dortmund, Essen und anderen Orten an Haltestellen vor verschlossenen Fahrzeugtüren. Binnen weniger Tage haben mehrere öffentliche Verkehrsunternehmen, vor allem in Nordrhein-Westfalen, die beliebten Elektro-Scooter in ihren Fahrzeugen verboten.

Die zwischen sechs und 15 Stundenkilometer schnellen Geräte sind größer und schwerer als einfache Rollstühle und vor allem für Fahrten auf der Straße gedacht. Und den Verkehrsunternehmen zufolge gefährden sie die Sicherheit der Fahrgäste. Tausende Nutzer der elektrisch betriebenen Rollstühle mit Extra-Vorderrad und Lenker dürften betroffen sein, wenn noch mehr Städte dem Beispiel folgen.

Die Entscheidung irritiert Behindertenverbände nicht nur, weil sie mitten in der kalten Jahreszeit kommt. Sie fragen: Ist der faktische Ausschluss der oft gehbehinderten Fahrer die einzig mögliche Lösung für die Verkehrsbetriebe? In den betroffenen Städten wenden sich Behinderte an die Öffentlichkeit, weil sie nun lange Wege durch die Stadt selbst fahren müssen.

Die Scooter sind im vergangenen Jahrzehnt in Deutschland immer verbreiteter geworden. 2013 wurden etwa 10 000 verkauft, heißt es aus der Branche. Manche Modelle tragen schnittige Namen wie "Freerider" oder "Pride", andere weniger schnittige wie "Borkum-Neumünster". Sie kosten meist vierstellige Beträge und sind kein originäres Gesundheitsprodukt: Vor allem Menschen, die nur noch eingeschränkt gehen können, nutzen sie, zum Beispiel zum Einkaufen - die meisten haben einen Korb vor dem Lenker und eine Abstellfläche zwsichen den Füßen des Fahrers. Krankenkassen zahlen allerdings nicht jeden Scooter.

Warum sind die Fahrzeuge mit einem Schlag in so vielen in Bussen und Bahnen geächtet? Grund ist ein Gutachten, das der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) bei der Stuva bestellt hat, einer Forschungsanstalt für öffentliche Verkehrsmittel. Fazit: E-Scooter sind zu gefährlich, auch weil sie breiter als ein Meter und bis zu 500 Kilogramm schwer sind.

Weniger Stigmatisierung als durch Rollstühle

"Durch ein Kippen oder Rutschen eines Elektromobils können Dritte und auch die Nutzer des Hilfsmittels selbst gefährdet werden", besonders wenn der Fahrer bremse oder beschleunige, heißt es im Gutachten. Zudem würden Fahrgäste durch große Scooter behindert. Die werden demnach als deutlich problematischer eingestuft als Rollstühle, Kinderwagen und Fahrräder.

Auf das Gutachten reagieren nun reihenweise lokale Verkehrsbetriebe mit Scooter-Verboten. Sie gehen keinerlei Risiko ein. Rollatoren und Rollstühle können aber nach wie vor mitgenommen werden.

Elja Seifert, Vorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbandes findet die Verbote "unmöglich". Die Verkehrsunternehmen müssten Lösungen finden, die E-Scooter sicher unterzubringen. Er verweist darauf, dass die Scooter auch einen psychologischen Vorteil hätten: "Die sehen weniger aus wie ein Rollstuhl. Viele fühlen sich so weniger stigmatisiert." Auch die Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfe behinderter Menschen bezeichnet den Bann der Scooter als "Ausgrenzung".

Ulf Schwarz vom Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK) räumt zwar ein, dass besonders große Scooter eine Gefahr darstellen könnten, aber: "Es kann nicht sein, dass es einen pauschalen Ausschluss aller Scooter gibt." Schwarz ist auch "enttäuscht und empört", dass der VDV das Gutachten schon an die lokalen Verkehrsgesellschaften gegeben habe und damit die kurzfristig beschlossenen Verbote auslöste. Bei einem Runden Tisch im Verkehrsministerium von NRW im Herbst habe man vereinbart, gemeinsam eine Lösung zu finden und ein zusätzliches Gutachten abzuwarten.

Der Verkehrsbetriebe-Verband kontert: Man habe am Runden Tisch darauf hingewiesen, dass er seinen Mitgliedern - den Verkehrsbetreibern - ein Rundschreiben schicken werde, um auf die Gefahren hinzuweisen.

Konkrete Beispiele für Unfälle fehlen angeblich

Doch der BSK hat auch inhaltliche Kritik an dem Gutachten. Es nenne gar keine konkreten Unfälle, sondern beinhalte lediglich die vage Formulierung, "verschiedene Verkehrsunternehmen" hätten "kritische Situationen" beobachtet. Zudem stütze sich das Gutachten auf alte Daten, teils von 1992.

Vor der Verbotsempfehlung war die Lage dem Gutachten zufolge unübersichtlich: Oft lag es einfach im Ermessen des Fahrers, ob er einen E-Scooter und dessen Fahrer mitnahm. Auch die Deutsche Bahn nimmt E-Scooter in ihren Zügen nur mit Einschränkungen mit: Sie dürfen nicht zu groß und schwer sein, der Fahrer muss eine "amtlich anerkannte Gehbehinderung (Schwerbehindertenausweis mit Merkzeichen "G")" nachweisen.

Nordrhein-Westfalens Verkehrsministerium hat nun das zusätzliche Gutachten in Auftrag gegeben, mit neuen Experimenten. Es soll im ersten Quartal 2015 fertig sein. Zu den Verboten sagt ein Sprecher des Ministeriums: "Das kann ja jetzt nicht der Weisheit letzter Schluss sein." Die Behörde werde auch prüfen, inwieweit Scooter mit Spanngurten nicht doch sinnvoll in Bussen befestigt werden können. Auch Gespräche mit den Herstellern über eine sicherere Bauweise kann er sich vorstellen.

Bis es soweit ist, bleiben viele Menschen, die schlecht zu Fuß sind, mit ihrem Scooter am Bordstein stehen. In Oldenburg drückt ihnen der Busfahrer einen Zettel in die Hand: "Beförderung von E-Scootern in Bussen und Straßenbahnen leider nicht möglich." Dann müssen sie selbst durch die Kälte fahren.

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