Odenwaldschule:Lehrer wegen Kinderporno-Verdachts entlassen

Die einst so renommierte Odenwaldschule kommt nicht zur Ruhe: Jetzt wurde einem Lehrer fristlos gekündigt. Bei ihm soll kinderpornografisches Material gefunden worden sein. Schüler des Internats kamen nach ersten Erkenntnissen nicht zu Schaden.

Von Tanjev Schultz

Es hört nicht auf. Die Odenwaldschule gerät erneut in die Schlagzeilen. Wie das Internat jetzt mitteilte, wurde vorige Woche die Wohnung eines Lehrers von der Polizei durchsucht. Diverse Datenträger seien dabei sichergestellt worden. Der Verdacht: Besitz von Kinderpornografie. Die Privatschule habe dem Pädagogen fristlos gekündigt.

Vor vier Jahren war bekannt geworden, dass an der Odenwaldschule im hessischen Heppenheim viele Schüler jahrzehntelang Opfer von Übergriffen waren. Die sexualisierte Gewalt ging von mehreren Lehrern aus, unter anderem von dem mittlerweile verstorbenen früheren Direktor Gerold Becker. Becker war ein bundesweit bekannter Reformpädagoge, die Odenwaldschule galt lange Zeit als "Leuchtturm" für eine vermeintlich kinderfreundliche Schulentwicklung. Mindestens 132 Schüler sollen von den zum Teil sehr schweren Übergriffen betroffen gewesen sein, einige von ihnen über lange Zeit hinweg. Die Dunkelziffer liegt vermutlich noch höher. Jahrelang waren die Taten vertuscht und Aufklärung verhindert worden.

Trotz des Skandals hat die Schule ihre Arbeit mit veränderten Strukturen und neuer Leitung fortgesetzt. Der Lehrer, der jetzt ins Visier der Ermittler geraten ist, soll erst seit August 2011 an der Schule gearbeitet haben. Er unterrichtete Mathematik, Physik und Chemie, teilt das Internat mit. Gemeinsam mit einer anderen Lehrerin betreute er auch eine Wohngruppe von Schülern.

Diese Wohngemeinschaften haben in der Odenwaldschule Tradition, sie werden "Oso-Familien" genannt. Als der Missbrauchsskandal öffentlich wurde, gab es heftige Kritik an diesem Familienprinzip. Die Schule hielt jedoch daran fest. Es gebe nun aber intensivere "Sicherungsmaßnahmen", wurde beteuert; etwa Fortbildungen, Supervison und eine sogenannte "doppelte Familienführung". Diese soll verhindern, dass einzelne Pädagogen unkontrolliert eine Gruppe von Kindern betreuen.

Nach derzeitigen Erkenntnissen, so das Internat, seien in dem aktuellen Fall keine Schüler des Internats betroffen. Jetzt sind Osterferien, deshalb ist eine Befragung der Kinder und Jugendlichen schwierig. Der entlassenen Lehrer hat Hausverbot. Die Durchsuchung soll nach einem Hinweis der australischen Polizei angesetzt worden sein. Ausgangspunkt waren offenbar Ermittlungen zu einem internationalen Handel mit Kinderpornografie.

Wissenschaftliche Aufarbeitung läuft

Die Präventionsbeauftragte der Schule, Regina Bappert, die früher selbst das Internat besuchte, sagt: "Wir wissen, dass keine mit Kindern und Jugendlichen arbeitende Institution davor gefeit ist, dass sich Mitarbeiter bewerben, die sich Kindern gegenüber grenzverletzend verhalten."

Erst vor wenigen Wochen hatte die Schule in Zusammenarbeit mit der Opferorganisation "Glasbrechen" eine umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung ihrer schlimmen Vergangenheit in Auftrag gegeben. Der Prozess der Aufklärung an der Schule hatte sich in den vergangenen Jahren zäh dahingeschleppt.

Der Fall der Odenwaldschule hat in der Pädagogik eine Debatte über Nähe und Distanz in Bildung und Erziehung ausgelöst und die reformpädagogische Tradition erschüttert. Vor wenigen Tagen erschien ein eindrucksvoller Sammelband dazu mit dem Titel "Reformpädagogik nach der Odenwaldschule - wie weiter?" Darin äußert sich auch Andreas Huckele, der früher an dem Internat selbst Opfer wurde und später unter dem Pseudonym Jürgen Dehmers maßgeblich dazu betrug, den Skandal aufzudecken. In seinem Beitrag schreibt Huckele über mehrere Grundirrtümer nach Bekanntwerden des Missbrauchs. Einer dieser Irrtümer sei: "Es passiert nicht jetzt." Angeblich seien die Kinder heute sicher, man sei ja sensibler geworden. Dies bezweifelt Huckele. Im November 2012 forderte er in seiner Dankrede für den Geschwister-Scholl-Preis mit Blick auf die Odenwaldschule: "Sperrt den Laden endlich zu!" Er bekam reichlich Applaus.

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