Neues Ferienlager auf Utøya:Wie früh ist zu früh?

Volunteers who rescued victims from the island of Utoya were hono

Am 22. Juli 2011 drang Anders Breivik auf Utøya in das Lager einer Jugendorganisation ein. In diesem Jahr sollen dort wieder Workshops stattfinden.

(Foto: Vegard Groett/dpa)
  • Im August will die Jugendorganisation von Norwegens Arbeiterpartei erstmals nach dem Massaker wieder ein Ferienlager auf Utøya organisieren.
  • Manchen Angehörigen und Anwohnern geht das zu schnell; sie sind entsetzt über die bereits angelaufenen Umbauarbeiten auf der Insel.
  • Unter den Befürwortern der Wiedereröffnung sind auch Überlebende, die wiederkehren möchten.

Von Silke Bigalke, Stockholm

Sie wollen nicht mehr warten, sie wollen Utøya zurückhaben. "Es ist unsere Insel, ist sie immer gewesen", sagt Mani Hussaini, neuer Chef der AUF, der Jugendorganisation von Norwegens Arbeiterpartei. Es war ihr Sommerlager, das Anders Breivik am 22. Juli vor vier Jahren angriff. Er tötete 77 Menschen, acht durch eine Autobombe im Osloer Regierungsviertel, 69 erschoss er auf Utøya. Viele Opfer waren noch keine 20 Jahre alt.

Bereits am Tag nach der Tat verkündete die Parteijugend, sie werde sich Utøya zurücknehmen. Am liebsten hätte sie sich dort schon im Jahr nach dem Anschlag wieder zum Sommerlager versammelt. Doch die Gebäude auf der Insel waren beschädigt, Fenster zerbrochen, Wände von Einschüssen durchlöchert.

Mit ihrem Eifer wollte AUF dem Terror trotzen. Sie übersah dabei anfangs, dass Utøya zurückzuholen auch bedeutete, es den Eltern der Opfer zu nehmen. Vielen von ihnen gingen die hastigen Renovierungspläne zu schnell und zu weit. Einige wollten die Insel lieber als Ort der Erinnerung erhalten, mit allen Spuren des Terrors.

"Wir haben zugehört und unsere Pläne um zwei Jahre verschoben", sagt Hussaini. "Jetzt kehren wir endlich heim."

Zwei Jahre fand das AUF-Sommerlager an einem anderen Ort am Ufer des Tyrifjord-Sees statt, in dem Utøya liegt. Diesen August treffen sie sich erstmals wieder auf der Insel. Das Sommerlager wird kürzer als sonst, dauert nur drei Tage und steht unter dem Motto "Internationale Solidarität".

Wie viele Teilnehmer kommen werden, steht noch nicht fest, denn es gibt keine Anmeldefrist. Für die meisten ist es das erste Treffen auf Utøya. Doch die Organisation erwartet auch einige Überlebende des Camps von 2011.

Was die Hinterbliebenen sagen

Ein unerträglicher Gedanke für Catherine Lütken, die ihre Tochter Kathinka verloren hat. Die 17-Jährige kehrte 2011 nicht von der Insel zurück. "Wie können Kinder dort eine gute Zeit haben, wo 69 Menschen starben? Auf dem Grab meiner Tochter? Ich bin dagegen", sagt sie.

Gemeinsam mit anderen Hinterbliebenen hat sie dafür gekämpft, dass Utøya nach dem Anschlag nicht verändert würde. "Nun haben sie Bäume abgeholzt und alles neu gebaut. Es ist ein Desaster."

Wenn die Insel am Jahrestag für Besucher öffnet, möchte Lütken nicht hingehen. Sie habe Utøya sowieso jeden Tag im Kopf, sagt sie.

Für die Familien der Opfer und Überlebenden wurde nach dem Anschlag eine landesweite Unterstützungsgruppe geschaffen. Sie sprach sich schließlich dafür aus, dass AUF die Insel renoviert und weiter nutzt - allerdings erst, nachdem die Hinterbliebenen einen Aufschub bis Ende 2014 erreicht hatten. Vielen war es wichtig, dass sie den Ort, an dem ihre Kinder starben, am vergangenen Jahrestag noch einmal unverändert sehen konnten.

Die Cafeteria wurde schon abgerissen

Ein Jahr später hat sich Utøya sehr verändert. Die Parteijugend hat die meisten Gebäude renoviert, einige versetzt. Die Cafeteria, in der allein 13 Menschen starben, wurde abgerissen. Teile des Gebäudes sollen nun in ein neues Haus an einer anderen Stelle integriert werden, einer Art Lernzentrum, in dem Jugendliche über Extremismus und dessen Ursachen diskutieren sollen.

Mehrere Hundert Holzpfeiler werden das Gebäude umschließen, sie symbolisieren die Überlebenden des Anschlags. 69 Pfeiler, für jedes Opfer einer, tragen das Dach.

An die Toten erinnert zudem eine eigene Gedenkstätte auf der Insel. Ein schwerer Ring aus Metall schwebt dort zwischen den Bäumen über einer kleinen Lichtung. Eingraviert sind die Namen und das Alter aller Opfer bis auf neun, deren Angehörige dagegen waren.

Am Jahrestag wird das Denkmal eingeweiht. Dann eröffnet in Oslo auch eine Ausstellung, die mit Bildern, Texten und Originalgegenständen wie dem zerbombten Auto, das Breivik für seinen Anschlag im Regierungsviertel nutzte, plastisch über den 22. Juli 2011 informiert.

Anwohner wollen Denkmal verhindern

Jørn Øverby, einer der Helden vom 22. Juli, durfte die Ausstellung vorab besuchen. Øverby wohnt am Ufer des Sees, beinahe gegenüber von Utøya. Als Breivik dort vor vier Jahren um sich schoss, rettete er Flüchtende mit seinem Boot aus dem Wasser.

"Das ist erst vier Jahre her, und sie bauen und bauen", sagt Øverby nun über die Pläne in Oslo und auf der Insel. Das größte Denkmal, das die norwegische Regierung für die Opfer errichten möchte, haben er und andere Anwohner des Sees zunächst verhindert. Gegenüber der Insel sollte eine Landspitze vollständig vom Ufer abgetrennt werden, ein Schnitt durch die Natur als unübersehbares Symbol für den Verlust. Nach heftigen Protesten hat die Regierung das Projekt erst einmal aufgeschoben. "Wenn sie anfängt, dort zu bauen, werden wir klagen", sagt Øverby.

"Ich hätte nicht gedacht, dass ich so heftig reagieren würde"

Für Norwegen ist es eine schwierige Balance zwischen dem Bedürfnis, der Toten zu gedenken und dem Wunsch vieler, zurück zur Normalität zu finden.

Ein Balanceakt wird es auch für Emilie Bersaas werden, die 2011 auf Utøya war und dieses Jahr zurückkehrt. Bersaas ist Vize-Chefin der AUF. Für sie ist die Geschichte der Insel vor allem eine voll guter Erinnerungen an neue Freunde, gute Gespräche und Fußballspiele. "Aber auch an diesen dunklen, brutalen Tag 2011", sagt sie. "Für uns ist es wichtig, dass diese Finsternis nicht alle hellen Erinnerungen verdrängt."

Bersaas weiß, dass nicht jeder so fühlt wie sie. "Vier Jahre sind eine zu kurze Zeit für viele", sagte der 21-jährige Viljar Hanssen kürzlich dem norwegischen Sender NRK. Er überlebte 2011 schwer verletzt, nachdem Breivik ihn in den Kopf geschossen hatte. "Die Rhetorik darüber, Utøya zurückzuholen, ist zu wörtlich geworden. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so heftig darauf reagieren würde, aber das habe ich." Er fände es besser, mit der Rückkehr zur Insel zu warten, bis seine Generation von AUF-Mitgliedern der Organisation entwachsen ist.

Sie respektiere natürlich, dass es unterschiedliche Meinungen zu dem Sommerlager gebe, sagt AUF-Vizechefin Bersaas. Was die anderen Überlebenden angehe, so werde Utøya "bereit sein für sie, falls und wenn sie bereit sind, zurückzukehren".

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