Nordsee:Von wegen Freischwimmer

Strand von Hooksiel

Idyll am Meer. Aber hinter den Dünen von Hooksiel steht ein Zaun.

(Foto: Ingo Wagner/dpa)

Spaziergänge sind an vielen friesischen Stränden nicht umsonst. Nun wehren sich die Einheimischen: "Wir wollen an der Wasserlinie spazierengehen, und die wird von der Natur vorgegeben."

Von Thomas Hahn, Lüneburg

Das Urteil würde erst später kommen, aber das war Janto Just egal. Er wollte weg nach der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg. Er hatte keine Lust, stundenlang zu warten, bis die Vorsitzende Richterin Andrea Blomenkamp irgendwann am Abend die Entscheidung zu seiner Klage gegen die Gemeinde Wangerland für einen freien Zugang zum örtlichen Nordsee-Strand bekannt geben würde. "Wenn ein positives Ergebnis zu erwarten wäre, würde ich mir das überlegen", sagte er. Aber das war nicht zu erwarten, "keine Chance": "Das Gericht hat alle Argumente auseinandergepflückt und im Sinne der Gemeinde interpretiert." Frustrierend. Janto Just nahm seine Tasche und ging.

Janto Just, 66, Rentner und Lokalpolitiker aus Schortens im Landkreis Friesland, gehört zu den Bürgern, die nicht so leicht aufgeben. Seit Jahren kämpft er um einen freien Zugang zu den Stränden der niedersächsischen Nordseeküste, von denen nach seiner Aussage "95 Prozent gebührenpflichtig" sind. "Freie Bürger für freie Strände" heißt seine Bürgerinitiative, mit der er vor allem die Gemeinde Wangerland im Nordosten der ostfriesischen Halbinsel ins Visier genommen hat. Dass er sich damit nicht nur beliebt macht, ist klar. Wangerlands parteiloser Bürgermeister Björn Mühlena zum Beispiel könnte gut darauf verzichten, dass Just und die zweite Klägerin Jasmin Roos aus Wilhelmshaven seine Gemeinde vor Gericht gebracht haben, damit deren Strände Hooksiel und Horumersiel-Schillig nicht nur für Wangerlander Bürger frei zugänglich werden. Und es freute ihn, dass das Oberverwaltungsgericht die Berufung gegen ein früheres Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg am Dienstagabend tatsächlich abwies. Janto Just und Jasmin Roos haben demnach keinen Anspruch auf kostenlose Strandspaziergänge im Wangerland. Eine Revision ist nicht zugelassen.

Immerhin, Janto Just und seine Mitstreiter werfen Grundsatzfragen zum Umgang der Menschen mit der Natur auf. Der Strand als Fremdenverkehrskonzept steht in Frage. Darf man das - die natürliche Küstenlinie durchgängig zu einer Freizeitzone erklären, in die man sich als Besucher einkaufen muss? Es gerät in Zweifel, ob es die Tourismus-Branche in Niedersachsen nicht übertreibt, wenn sie weite Teile der Küste zu ihrem Privatgebiet erklärt, einzäunt, in der Badesaison durch Kassenwarte bewachen lässt und von Sommer bis Herbst für einfachste Erholungshandlungen Geld verlangt. Baden im Meer, ein Spaziergang - sind das nicht Aktivitäten, die man nicht in Rechnung stellen sollte?

"Wir wollen an der Wasserlinie spaziergehen, und die wird von der Natur vorgegeben", sagt Just. Er fordert einen angemessenen Zugang zum Meer, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern würden den ja auch gewähren. Just verweist auf das Bundesnaturschutzgesetz. Und der Anwalt Hans-Henning Adler, der im Verfahren Jasmin Roos vertritt, argumentiert mit dem "Recht auf Naturgenuss". Adler sagt: "Das hat Grundrechtscharakter."

27 Kilometer Strand hat das Gemeindegebiet von Wangerland, die meisten davon sind nicht begehbar. Neun Kilometer Strand hat die Wangerland Touristik GmbH, eine hundertprozentige Tochter der Gemeinde Wangerland, vom Land Niedersachsen gepachtet, um sie zu bewirtschaften. "Eine uralte Geschichte", sagt Mühlena. Das Strandbad-Geschäft gibt es in Wangerland schon seit dem 19. Jahrhundert. Der relativ junge Strand von Hooksiel wurde in den 1970ern aufgeschüttet. 820 000 Euro kostet es laut Mühlena jedes Jahr, die Strände zu säubern und herzurichten. Die Summe wird über Kurtaxe und Strandgebühren finanziert. Und die Gebühren rechtfertigt die Gemeinde damit, dass es sich bei ihren Stränden eben nicht um "freie, ungenutzte Landschaften" handle, zu denen jeder Bürger kostenlos Zugang haben müsse. Sondern um ein mehr oder weniger künstlich erschaffenes Gebiet mit Strandhäusern, sanitären Anlagen, Spielplätzen sowie Freilaufzonen für Hunde und Nacktbader, das man regelmäßig mit Sandvorspülungen befestigen müsse. So wie sie es darstellen, ist Just ein Freigeist, der umsonst ins Freibad will.

Janto Just und seine Mitstreiter wiederum erklärten, dass die verpachteten Wangerlander Strände keineswegs auf ihrer gesamten Neun-Kilometer-Strecke ein Werk von Menschenhand seien. Aber das Oberverwaltungsgericht folgte der Wangerlander Argumentation. Just ärgerte sich leise. Einen Trost hat er: Als ortskundiger Friese kennt er die verborgenen Wege, um kostenlos am Wangerlander Strand spazieren gehen zu können.

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