Niederlande:Arzt soll heimlich eigenen Samen bei Befruchtungen eingesetzt haben

Niederlande: Warten auf das Urteil: Sie sind Kinder eines Spenders, womöglich des Angeklagten Jan Karbaat.

Warten auf das Urteil: Sie sind Kinder eines Spenders, womöglich des Angeklagten Jan Karbaat.

(Foto: Remko de Waal/AFP)
  • Der Reproduktionsmediziner Jan Karbaat soll jahrzehntelang seinen eigenen Samen bei Befruchtungen eingesetzt haben. Er verstarb im April im Alter von 89 Jahren.
  • Ein Gericht hat nun entschieden, dass Gegenstände aus seinem Nachlass für einen möglichen DNA-Abgleich konserviert werden müssen.
  • Ob der genetische Abgleich nun wirklich kommt, wird erst in einem Hauptverfahren entschieden.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Im Gerichtssaal in Rotterdam flossen Tränen nach dem Urteil. Freudentränen. 14 Menschen, die durch künstliche Befruchtung gezeugt wurden, können nun endlich abschließend klären, wer ihr Vater ist. Sie alle vermuten, es sei der Reproduktionsmediziner Jan Karbaat, der im April im Alter von 89 Jahren starb. Der Mann soll jahrzehntelang seinen eigenen Samen bei Befruchtungen eingesetzt haben, ohne das kenntlich zu machen. Dutzende Kinder könnten von ihm stammen. Einem DNA-Abgleich hatte er sich verweigert, auch seine Witwe stellte sich stur. Doch Ende vergangener Woche entschied das Gericht, dass die Spuren, die Polizisten in seinem Haus an Gebrauchsgegenständen sicherstellten - einer Zahnbürste, einem Haarschneidegerät, Stützstrümpfen -, konserviert werden müssen.

Ob der genetische Abgleich nun wirklich kommt, wird erst in einem Hauptverfahren entschieden. Für Menschen wie Joey Hoofdman ist das Urteil jedoch eine große Erleichterung. "Die erste Schlacht ist gewonnen", sagt er, die Beweise würden nicht vernichtet. Das sei ein Schritt in Richtung größerer Klarheit. "Ich brauche diese Klarheit, um Ruhe in mein Leben zu bekommen."

In diesem Leben wohnt der Zweifel. Hoofdman, 30 Jahre alt, Manager in einem Telefonladen, hat schon als Kind das Gefühl, nicht zu seiner Familie zu passen. Und vor allem nicht zu seinem Vater, einem ruhigen und zurückhaltenden Bäcker. Hoofdman hingegen, so hat er es dem NRC Handelsblad erzählt, ist unternehmungslustig, früh selbständig. Sie verstehen einander kaum, mit 15 zieht er zu Hause aus. Als er eine feste Beziehung eingeht, werden die Zweifel stärker. Er möchte der Sache erst nach dem Tod der Mutter auf den Grund gehen, doch ein Psychologe rät ihm, sie gleich zu befragen. Im März dieses Jahres berichtet sie ihm von der künstlichen Befruchtung, und dass sie glaube, der Samen stamme von ihrem Mann. Zumindest habe dessen Namen auf dem Röhrchen gestanden, das man ihr zeigte.

Karbaat, das weiß sie noch, sei der behandelnde Arzt gewesen, und Bijdorp der Ort der Zeugung, jenes "medizinische Zentrum", das Karbaat in Barendrecht jahrzehntelang geleitet hatte. Hoofdmans Verdacht wird bestätigt, als ihm jemand ein Foto von Karbaat schickt. "Das war so klar, dass ich fast mein iPad fallen ließ. Als wäre es ein Bild von mir."

Moniek Wassenaar hat dasselbe Erlebnis schon 2011 gehabt. Zwei Jahre zuvor hatten die Behörden wegen Unregelmäßigkeiten die Schließung von Bijdorp verfügt. Wassenaar war von einer Tochter Karbaats auf die Ähnlichkeit hingewiesen worden. Sie besucht den Arzt zu Hause. Der will als Erstes ihre Hände sehen. Sind sie so breit und mächtig wie seine, diese "Kuhmelkerhände"? Sie sind es. Dazu dieselbe hohe Stirn, der breite Mund. "Es könnte schon sein", sagt er freimütig und gesteht, wie Wassenaar später sagt, regelmäßig eigenen Samen verwendet zu haben. Scham habe er nicht gezeigt, eher Stolz. Er sei ein "gesunder und schlauer Mann", der der Welt seine Gene habe geben wollen.

"Er hatte wohl eine Art Gotteskomplex. Ob ich den wohl auch habe?"

Offiziell gab Karbaat das nie zu. Der Gedanke sei doch verrückt, antwortete er auf den Vorwurf einer wütenden Mutter. Er habe schließlich seit Langem keine Prostata mehr. Was könnte ihn angetrieben haben? Geltungsdrang, der Glaube, den Kundinnen etwas Gutes zu tun, Geldgier, Nachlässigkeit? Vielleicht alles auf einmal, es wird sich kaum klären lassen. "Er hatte wohl eine Art Gotteskomplex", mutmaßt Joey Hoofdman. "Ob ich den wohl auch habe?"

Karbaat galt als Koryphäe. Schon in Surinam führte er in den Fünfzigerjahren erste künstliche Befruchtungen durch, arbeitete später in einem Krankenhaus in Rotterdam, gründete die eigene Klinik. 1995 gab er bekannt, mit seiner Samenbank 40 000 Kinderwünsche erfüllt zu haben. Das Geschäft lief gut, er exportierte und importierte Samen.

Wie schlampig der Laden geführt wurde, brachte erst 2015 ein Untersuchungsbericht ans Licht. Viele Dokumente enthielten falsche Angaben über die Spender. Mal stimmte der Beruf nicht, mal die Augenfarbe. Manche Frauen erhielten den Samen verschiedener Spender, obwohl sie nur einen Vater wollten für ihre Kinder. Manchmal mixte Karbaat auch das Sperma mehrerer Männer. Dann funktioniere es noch besser, behauptete er, denn die Spermien schwömmen schneller, wenn sie Konkurrenz bekämen. Informationen über die Spender habe er nur aus Nettigkeit weitergegeben, schließlich war es bis 2004 in den Niederlanden erlaubt, als Samenspender anonym zu bleiben.

Karbaats Sohn stellte seine DNA zur Verfügung

Einer der fleißigsten Spender, der auch Bijdorp belieferte, war ein Mann, der sich "Bryan" nannte. Er soll bis zu 200 Nachkommen gezeugt haben. Wie man jetzt weiß, leidet der gebürtige Surinamer am Asperger-Syndrom. Hinter dem laufenden Rechtsstreit steht unter anderem die Stiftung Donorkind, die versucht, betroffenen Müttern und ihren Kindern zu helfen. Unter anderem greift sie auf eine Datenbank der Organisation Fiom zurück, bei der sich Menschen, die künstlich gezeugt wurden, sowie Verwandte und Spender registrieren lassen können.

Nach Karbaats Tod stellte ein offizieller Sohn von ihm seine DNA zur Verfügung. Ende Mai kam heraus, dass er 19 bisher unbekannte Verwandte hat - vermutlich alles Söhne und Töchter des Arztes. Die Halbschwestern und -brüder können nun wenigstens Kontakt aufnehmen. Man führe die Klage im Interesse aller Kinder, die aus Samenspenden hervorgehen, sagt Ties van der Meer, Vorsitzender von Donorkind. "Sie sollen die Regie über ihre Familienverhältnisse zurückerhalten. So wie das jeder gerne möchte."

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