New Yorker Mafia-Boss packt aus:Der letzte Don

Mit zwölf hat er seine erste Brieftaube gestohlen, inzwischen ist er für acht Morde verurteilt: Das "Ohr" Joseph Massino ist der erste New Yorker Mafiaboss, der gegen den eigenen Clan aussagt - im Jogginganzug.

Jörg Häntzschel, New York

Seine Untergebenen nannten ihn "das Ohr". Statt seinen Namen auszusprechen, hatte er ihnen befohlen, mit dem Finger die Seite ihres Gesichts zu berühren. Nun werden sie Joseph "Big Joey" Massino vielleicht "den Mund" nennen. Der 68-Jährige ist der erste New Yorker Mafia-Boss, der vor Gericht gegen ein Mitglied des eigenen Clans aussagte.

MASSINO

New Yorker Mafia-Boss mit großer Mitteilungsfreude: Joseph Massino.

(Foto: AP)

"Der Typ da drüben im grauen Anzug", sagte Massino, als er gebeten wurde, den Angeklagten zu identifizieren, und zeigte von der Zeugenbank aus auf den 50-jährigen Vincent "Vinny Gorgeous" Basciano, den er selbst zu seinem Nachfolger als Boss der Bonanno-Familie gekürt hatte.

Dann erzählte er, wie Basciano 2005, als sie zusammen im Gefängnis saßen, damit geprahlt habe, den in Ungnade gefallenen Fußsoldaten Randolph Pizzolo ermordet zu haben. Was Basciano nicht wusste: Massino trug ein Mikrofon am Körper und zeichnete das Gespräch im Auftrag des FBI auf.

Nachdem er 2004 wegen siebenfachen Mordes, Brandstiftung, Erpressung und Geldwäsche zu lebenslanger Haft verurteilt worden war und ein Jahr später eines achten Mordes angeklagt wurde, begann Massino mit den Behörden zu kooperieren. Obwohl er für den achten Mord mit zweimal lebenslänglicher Haft bestraft wurde, hofft er nun, vor seinem Tod freizukommen.

Massino, der mit seinen schweren Hängebacken und im Jogginganzug wenig gemein hatte mit dem Bild eines Hollywood-Mafioso, genoss es sichtlich, aus seinem Verbrecherleben zu plaudern. Schon mit zwölf habe er Brieftauben gestohlen. In den sechziger Jahren, als er ein Restaurant im New Yorker Arbeiterbezirk Queens betrieb, war er dann bei Schutzgelderpressung, Überfällen und schließlich Mord angelangt. Zügig stieg er in der Hierarchie der mehrere hundert Mitglieder umfassenden Bonanno-Familie auf, einem der fünf New Yorker Mafia-Clans. 1991 wurde er der Boss.

Gebeten, die Reichweite seiner Macht zu beschreiben, antwortete Massino ohne zu zögern: "Morde, Verantwortung für die Familie, Capos machen, Capos brechen." Gerne teilte er dem Gericht auch seine Managementphilosophie mit: "Wenn es darum geht, jemanden umzubringen, sind Arbeiter nötig. Man braucht verschiedenes Fleisch für eine gute Sauce." Und dann rühmte er sich der Disziplin und Raffinesse, dank derer er den Detektiven jahrzehntelang entkommen konnte: "Man redet nie in einem Club, in einem Auto, über Handy oder Telefon. Man redet nie in einem Haus." Wenn Wichtiges zu besprechen war, sei er immer spazieren gegangen.

Dass ausgerechnet Massino nun den Boss seiner Familie verriet, stellt eine historische Wende in der Geschichte der New Yorker Mafia dar. Auch andere Mafiosi haben dem Druck der Ermittler und den Verlockungen der Medien nachgegeben. Massino jedoch, "der letzte Don", galt als altmodischer Ehrenmann des Verbrechens, als einer, der die Omertà, das Schweigegebot, niemals brechen würde.

Nur Bascianos Anwalt ließ sich von den Räubergeschichten nicht beeindrucken: "Massino ist ein pathologischer Lügner. Warum sollte er jetzt auf einmal die Wahrheit sagen?"

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